2046 heißt Wong Kar-Wais Film. 2046, eine Zahl, die wir schon aus In The Mood For Love kennen sollten und, interessanter Weise, politisch gesehen das Jahr ist, in dem Hongkong seinen Sonderstatus völlig verlieren und als normale Stadt vollständig in China eingegliedert wird.
2046 ist es also, das den Abschluss einer kleinen aber feinen—wenn man so will—Trilogie bildet. Es ist ein facettenreiches Kunstfilmdrama, das als direkte Fortsetzung zum Film In The Mood For Love zu sehen ist, und das man nur ganz verstehen und schätzen kann, wenn man besagten Vorgänger kennt. Wer zusätzlich noch Wong Kar-Wais Film Days Of Being Wild von 1991 kennt, wird an 2046 noch mehr Freude haben. Denn auch aus diesem Film finden wir Zitate und Erwähnungen von Personen, ja selbst die gleiche Filmmusik ("Perfidia") wieder.
Wir erinnern uns: Im Hongkong der 60er Jahre war es in In The Mood For Love der Schriftsteller Chow Mo-Wan (Tony Leung), der sich in seine Nachbarin Su Lizhen (Maggie Cheung in einer Rolle, die schon in Days Of Being Wild zu leiden hatte) verliebte, obwohl eine offene Liebe in ihrer Situation unmöglich war. Ein Happy End der beiden Verliebten fand also niemals statt.
Nun ist Chow Mo-Wan, immer noch im Hongkong der 60er Jahre, wieder allein. Er trauert seiner verlorenen Liebe hinterher und zieht in ein Zimmer in einem kleinen Hotel. Er arbeitet als Journalist und Schriftsteller und hält sich mit regelmäßigen Abenteuern mit wechselnden Frauenbekanntschaften am Leben. Chow Mo-Wan möchte endlich aus der Vergangenheit ausbrechen, die ihn noch immer umklammert hält, doch möchte er die Zeit mit Su Lizhen nicht verlieren. In den anderen Frauen sucht er nur nach einem Ersatz für sie, doch kann er dabei niemals befriedigt werden. Er schreibt einen Science Fiction-Roman namens 2046. War es in In The Mood For Love noch das Hotelzimmer, in dem er und Su Lizhen sich heimlich treffen mussten, wird es in seiner Geschichte ein Ort, an dem man seine verlorenen Erinnerungen wiederfinden kann. Ein Zug fährt dort hin, doch wie lang die Reise dauern wird, ob sie jemals endet und ob die Idee vom Wiederfinden jener Erinnerungen tatsächlich wahr ist, kann niemand sagen, denn niemand ist je wieder von dort zurückgekehrt.
In den kurzen Sequenzen, die in einem futuristischen in übersättigte Farben getauchten Zug spielen, in dem die Reisenden von Androiden mit weiblichen Zügen bedient werden, schafft es Wong Kar-Wai meisterhaft, den Zuschauer in eine fantastische Traumwelt zu entführen, die als Fabel den Film erklärt oder verkompliziert und uns vor allem die Gefühlswelten der Hauptprotagonisten näher bringen möchte. Denn sie alle tauchen in dieser fantastischen Welt wieder auf. Vor allem Faye Wong, die im realen Teil des Films die junge Miss Wang spielt, die ihre Liebe zu einem japanischen Mann wegen der Ablehnung ihres Vaters nicht leben darf, gibt im bunten Neonlicht des Zuges als wunderschöner Android eine wunderbar eindringliche Vorstellung ab.
Besonders positiv hervorzuheben ist auch Zhang Ziyi, die noch nie so emotional nachdrücklich und reif gespielt hat wie in 2046. Sie mimt die junge Bai Ling, die eine heiße Beziehung mit Chow Mo-Wan hat, ihn später frustriert verlässt, nur um ihm noch Jahre später hinterherzutrauern. Auch in den glamorösen 60er-Jahre Outfits wirkt sie überaus betörend und sinnlich, eine fragile Frau mit einem starken Äußeren. Enttäuschend hingegen Tony Leungs Charakter, der kaum noch die Sympathie, die er in In The Mood For Love ausstrahlte, aufrecht erhalten kann. Er ist zu einer leeren Hülle mit Oberlippenbärtchen geworden, mit der er wie ein schmieriger Frauenverführer wirkt, der am Ende jede Frau, mit dem er eine Affäre hatte, ins Unglück stürzt. Einzig für Miss Wang und ihren japanischen Freund schafft er ein Happy End, vielleicht auch deshalb, weil sie Chow Mo-Wan nie geliebt hat und als freundschaftliches Mittel zum Zweck benutzt, um ihrem Freund in Japan immer noch nahe sein zu können.
Interpretationsversuche über diesen Film gibt es viele, und doch wird so manche Szene wohl immer ein wenig unverständlich und unnahbar bleiben. Die außergewöhnliche Optik des Films hilft dabei aber eifrig mit, über Mängel wie Verständnisprobleme, eine nur beschränkt sympathische Hauptfigur oder eine insgesamt zu lange Laufzeit von über zwei Stunden hinwegzusehen. Nie waren Wong Kar-Wais Filme so formvollendet wie 2046, nie seine Bilder so malerisch und wunderschön wie hier. Jede einzele Kameraeinstellung wirkt wie ein kleines Kunstwerk in einem großen, das durch die künstlerische Ausreizung manchmal leider ein wenig zu aufgebläht und selbstverliebt wirkt und den Betrachter mit seinen offen zur Schau gestellten Kunstfilmansprüchen fast schon erschlägt.
Auch die musikalische Untermalung ist in 2046 dementsprechend oppulent ausgefallen. Neben einem nostalgisch anmutenden Stück, das auch schon in Days Of Being Wild zum Einsatz kam, ist es vor allem Shigeru Umebayashis Filmmusik, die dem Drama mit klassischer Orchester- und sogar Opernmusik die entsprechende künstlerische Schwere verleiht.
Unterm Strich ist 2046 ein einzigartiges, wunderschönes Filmerlebnis mit traurigem aber auch optimistischen Ausgang, das mit melancholischem, nostalgischen Blick zurück eine kleine Filmreihe würdig abschließt, auch wenn es Wong Kar-Wai hier mit seinen künstlerischen Spielereien hin und wieder fast schon übertreibt. 2046 ist großes Intellektuellenkino mit hervorragenden Schauspielern und von einem meisterhaften Regisseur in Szene gesetzt, das dank der komplizierten Inszenierung sicher nicht bei jedem Anklang finden wird und bestimmt nur von Kennern der vorangegangenen beiden Filme als ganz großes intelligent zusammengesponnenes Meisterwerk voll versteckter Anspielungen akzeptiert werden kann.