Eine Metapher über verlorene Liebe
"2046" bildet mit Wong Kar Wais Liebesdrama "In the Mood for Love" eine Einheit, die nicht weggedacht werden darf, wenn man den Film komplett verstehen und einschätzen will. Die Fülle von Themen in "2046" kann vom Zuschauer nur sinngebend geordnet werden, wenn er die Vorgeschichte Chows (Tony Leung Chiu Wai) aus "In the Mood for Love" im Hinterkopf hat.
Chow liebte in dem Vorgängerfilm seine verheiratete Nachbarin (Maggie Cheung), deren Ehemann mit Chows Frau eine Affäre hatte. Obwohl die Gefühle auch von seiner Nachbarin erwidert wurden, konnte sich aufgrund der gesellschaftlichen und selbst auferlegten Zwänge keine Liebesbeziehung entwickeln und die Lebenswege der beiden trennten sich.
"2046" behandelt nun vor allem den Versuch Chows diese gescheiterte Liebe zu vergessen, die Narbe auf seinem Herzen verblassen zu lassen. Wong Kar Wai verwendet hauptsächlich Metaphern, um seine Geschichte zu erzählen. Beispielsweise wohnt Chow in einem Hotelzimmer in Zimmer 2046 - dieselbe Zimmernummer hatte das Hotelzimmer, in dem Chow mit seiner Nachbarin in "In the Mood for Love" eine Nacht verbracht hatte. Chow beginnt - ebenfalls metaphorisch aufzufassen - eine Affäre mit seiner Nachbarin, die Zimmer 2047 bewohnt. Die wohl stärkste Metapher stellt der Zug dar, welcher im Roman Chows die Stadt der Erinnerungen verlässt. Dieser Zug fährt scheinbar endlos in eine Richtung, mittendrin sitzt Chow, der versucht die Erinnerung an die verlorene Liebe hinter sich zu lassen, umgeben von Androiden, die keine Gefühle haben und die Sektoren 12-24 und 12-25 durchreisend, in denen es so kalt ist, dass die Reisenden sich gegenseitig wärmen sollen (die beiden Sektoren stehen - wie man später erfährt - metaphorisch für Weihnachten).
"2046" ist ein atmosphärisch dichter Film, der auf allen filmtechnischen Ebenen Oberliga spielt. Sei es die geniale Kamera von Christopher Doyle, die ausgefeilte Bildsprache, die treffenden Off-Kommentare Chows, der geniale Schnitt oder die außerordentlichen schauspielerischen Leistungen aller Beteiligten (hervorzuheben sind vor allem Tony Leung und Faye Wong).
Unter der versierten Regie von Wong Kar Wai ist wieder einmal ein Kronjuwel des Kunstkinos entstanden, dessen Stil irgendwo zwischen Wongs Frühwerk und "In the Mood for Love" einzuordnen ist. "2046" ist ein ausgereifter Film, der auf ehrliche Art und Weise große Themen des Menschseins behandelt: Den Schmerz einer verlorenen Liebe, die Orientierungslosigkeit des Individuums in einer komplexen Gesellschaft, Sex, Einsamkeit, Gefühlskälte, Schmerz,...
Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Meisterwerk des künstlerisch anspruchsvollen Films und ein großartiges Drama, das die innersten Gefühle und Ängste eines Menschen berührt, der die unfassbaren Höhen und vernichtenden Tiefen der wahren Liebe am eigenen Leib erfahren hat.
Bleibt nur eine Frage offen: Warum hat Michael Moore in Cannes gewonnen und nicht der ebenfalls nominierte Wong Kar Wai? Wohl eine politische Entscheidung...
10/10 Punkten