Review

Szenen einer Ehe

„Ich kann’s Ihnen erklären…“

Mit der 1970er-Dekade neigte sich auch der Essener „Tatort“-Zweig seinem Ende entgegen: Der von Wolfgang Staudte („Die Mörder sind unter uns“) nach einem Drehbuch Peter Hemmers inszenierte Fall „Schussfahrt“ ist der neunzehnte und somit vorletzte der Essener Kriminalkommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge). Es ist die fünfte von insgesamt sieben Regiearbeiten Staudtes für die öffentlich-rechtliche Krimireihe. „Schussfahrt“ wurde im Mai und Juni 1979 gedreht und am 1. Juni 1980 – also rund ein Jahr später – erstausgestrahlt.

„Kennen Sie Herrn Zehle?“ – „Ich kenn‘ mich kaum selber…“

Der 47-jährige Manager Kurt Wiedemann (Heinz Baumann, „Das Spukschloss im Spessart“) hadert seit dem Konkurs seines Arbeitgebers nicht nur mit Arbeitslosigkeit und erfolgloser Suche nach einer neuen Anstellung, sondern auch damit, dass seine jüngere Frau Karin (Doris Kunstmann, „7 Tote in den Augen der Katze“) ihm durch eine Affäre mit Christian Zehle (Volkert Kraeft, „Die Buddenbrooks“) regelmäßig Hörner aufsetzt. Karin glaubt, ihr Mann wisse nichts davon, doch dieser plant längst, seinen Nebenbuhler um die Ecke zu bringen. Hierfür geht er derart gerissen vor, dass er glaubt, niemand – nicht einmal seine Frau – könne ihm auf die Schliche kommen: Er suggeriert durchaus glaubwürdig, dass sich Zehle zusammen mit einem Komplizen am Tresor der Wiedemanns zu schaffen gemacht und er ihn dabei ertappt und in Notwehr erschossen habe, während der Komplize (den es nie gab) entkommen konnte. Dass er durch den vermeintlichen Einbruchdiebstahl auch ein hübsches Sümmchen von der Versicherung kassiert, kommt Kurt dabei mehr als gelegen. Doch Kommissar Haferkamps Ermittlungen bringen in Zehles arbeitslosem Kumpel Herbert Rull (Burkhard Driest, „Steiner – Das Eiserne Kreuz“) tatsächlich einen möglichen Komplizen hervor. Dieser verschlagene Tunichtgut durchschaut bald darauf den Mörder und versucht, selbst Kapital aus dem Mord zu schlagen: Er erpresst Kurt Wiedemann…

„Die schicken uns von einer Kneipe in die andere…“

Die 1970er gehen zu Ende und die erste Hälfte des Jahrzehnts scheint länger zurückzuliegen, als es tatsächlich der Fall ist. Arbeitslosigkeit ergreift nicht nur Menschen vom Kaliber Herbert Rull, sondern auch die hier von Kurt Wiedemann verkörperte Mittelschicht. „Freie Liebe“ bzw. das, was man darunter verstand, ist wieder verpönt, der Rückzug ins Private wurde angetreten – wenn es sein muss mit Gewalt. In seiner Melange aus klassischem Krimi, Thriller-Anleihen und Ehedrama setzt Staudte Schauspielerin Doris Kunstmann sehr attraktiv in Szene und lässt sie zunächst auf die Mordkonstruktion ihres Mannes hereinfallen, gesteht ihr im weiteren Verlauf jedoch eine Entwicklung zu, die sie keineswegs als eindimensionale naive Blondine dastehen lässt.

„Du scheinheiliger Lügner!“

Nachdem das „Tatort“-Publikum Zeuge all dessen wurde, Täter und Motiv also von vornherein kennt, verbringt Kommissar Haferkamp harmonische Zeit mit seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum), was wie ein Gegenentwurf zur kaputten Ehe der Wiedemanns wirkt. Anschließend ermittelt er vor Ort und verhört zusammen mit Kreutzer den herrlich verkaterten vermeintlichen Komplizen Rull. Dieser fällt aus allen Wolken, als er von Christians Tod erfährt, lässt sich aber bald darauf von seiner Bauernschläue, gepaart mit krimineller Energie und einem eher ungesunden Drang nach inoffiziellen „Schmerzensgeldzahlungen“ leiten. Interessanterweise gerät auch Karin Wiedemann kurzzeitig in den Kreis der Verdächtigen, woraus jedoch Haferkamps erster großer Ermittlungserfolg innerhalb dieser Episode resultiert: Er ahnt alsbald, welche Art Verhältnis Karin zum Toten pflegte, was zum Schlüsselmoment für die Lösung des dennoch nicht trivialen Falls gerät.

„Wenn wir uns ‘n bisschen Mühe geben, wird vielleicht alles wieder gut!“

Die jüngste Entwicklung nimmt Karin zum Anlass für den Versuch einer offenen Aussprache, doch Kurt bleibt konsequent in seiner Rolle. Um der Handlung mehr Schärfe zu verleihen und ihr Eskalationspotenzial weiter auszuschöpfen, muss trotz der ersten Ermittlungserfolge eine weitere Person ihr Leben lassen. „Schussfahrt“ avanciert zum Duell zwischen zwei ähnlich intelligenten Gegnern auf Augenhöhe, in dessen Zuge Haferkamp seinerseits in die Trickkiste greift. Gegen Ende resultiert eine Kfz-Verfolgungsjagd daraus, die jedoch wie der ganze Fall unspektakulär und mit viel Respekt für die Beteiligten inszeniert wurde – und endet. Dies bedeutet indes nicht, dass es nicht befriedigend wäre, zuzusehen, wie hier ein vermeintlich perfekter Mord nach und nach dekonstruiert wird. Staudte-typische soziale Kommentare finden sich dabei zwischen den Zeilen, wobei der erschreckende Umstand, dass seinerzeit ein 47-Jähriger als zu alt für den Arbeitsmarkt galt, durchaus laut ausgesprochen wird.

„Wer ist denn hier das größere Schwein?“

Im Gegensatz zum vorausgegangenen Fall weist dieser vorletzte Haferkamp-„Tatort“ keinerlei Abnutzungserscheinungen auf, nur Kreutzer wirkt vielleicht noch etwas grummeliger als sonst. Auch ohne viel Spektakel ist „Schussfahrt“ ein gelungener, niveauvoll und sauber inszenierter Beitrag, der zu gleichen Teilen von persönlichem Drama und smarter Ermittlungsarbeit getragen wird und ein aus genannten Gründen sehenswertes Zeitdokument darstellt. Lediglich der rote Hering, den Ingrid anfänglich im Dialog mit ihrem Ex-Mann auswirft, hat sich mir nicht erschlossen. Wahrscheinlich sollte er das auch gar nicht.

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