Review

Durchaus beeindruckend, was Emmerich hier auf die Leinwand zaubert. Ich rede dabei nicht vom "Katastrophenfilm" mit Effekten, toller Show, Spannung und das übliche. Nein, es ist beeindruckend, wie Emmerich es schafft einen Naturkatastrophenfilm so darzustellen, daß er in jeder Minute glaubwürdig erscheint. Passend der Einstieg in den Film: Klimaforscher unterhalten sich, ja streiten sich beinahe, ob es hundert oder doch noch tausend Jahre dauert bis der Klimawandel kommt. Und sind dann selbst überrascht, wie schnell es geht.

Das erinnert sehr an die Realität, auch die Warnungen an die Politik die aus wirtschaftlichen Gründen diese völlig ignoriert (im Film in erster Linie die USA, gilt aber natürlich für alle Länder). Hier schleicht sich aber auch diesbezüglich der einzige grobe Schnitzer ein: Der Vizepräsident der USA wird niemals aus dem Exil zu seiner Nation sprechen und seine Fehler eingestehen und sich beim amerikanischen Volk entschuldigen. Nicht mal wenn er durch einen selbst ausgelösten Atomkrieg das Ende der Welt heraufbeschwören würde, egal ob Republikaner oder Demokrat.

Was mich beeindruckt hat, wie sanft und unfassbar real Emmerich in die Katastrophe einsteigt. Hagel, tennisballgroß in Tokio alles zerstörend - aha, wirklich nur ein Film? Wir erinnern uns an unseren letzten Hagelschlag in Süddeutschland, da sah es genauso aus. Stürme, die Häuser abdecken, ganze Städte zerstören - hatten wir das nicht auch schon? In Deutschland "Lothar" und ähnliche Konsorten, aber schauen wir in die Welt hinein - solche Tornados sind mancherorts nicht unbekannt. Und natürlich Überschwemmung, da brauchen wir nur an die Elbe denken. Und zusätzlich erreichen uns jedes Jahr mehrfach Bilder von Überschwemmungen halber Nationen in Asien, Südamerika oder Afrika.

Und das ist der Punkt, der den Film so unwahrscheinlich an uns rangehen lässt. Wir kennen die Bilder und können es uns sofort vorstellen: ja, genauso wird es ablaufen. Alles wie bisher auch, nur ein bisschen schlimmer. Dass der Film der Dramaturgie willen alles stark verkürzt ablaufen lässt, inklusive Rettung des Sohnes aus dem ewigen Eis während Millionen anderer Menschen drumherum erfrieren, muss man einer Hollywoodproduktion zugestehen, da drücken wir ein Auge zu. Die eigentliche Dramaturgie wird durch die Vater-Sohn-Story nicht schlechter, auch wenn sie teilweise irrwitzige und unglaubwürdige Blüten treibt. Die Wetterkatastrophe bleibt im Kern dieselbe und somit vordergründiges Filmthema. Der Film stellt in zwei, drei Wochen das dar, was wir in zwei, drei Jahrzehnten erleben werden. Und das ist packend, fesselnd, erschütternd. Alle wissen wir es, aber gesehen haben wir es noch nie. Und nie so nah gespürt.

"The Day After Tomorrow" wird zu Recht als Galionsfigur einer neuen Katastrophenfilm-Ära gehandelt: Real dargestellt, glaubwürdig, im Kern nicht übertrieben. Die ganzen Endzeitkatastrophenfilmchen insbesondere der 70er und Anfang 80er Jahre waren nie so fesselnd, weil eigentlich zu jeder Zeit klar war: Hey, es ist nur ein Film, irgendwann geht der Vorhang zu und die Lichter an und das war’s. Doch hier weiß man: hey, es ist zwar nur ein Film, aber irgendwann... wenn wir so weitermachen... au Mann. Und das hinterlässt ein anderes Gefühl als bei den bisherigen Endzeitdramen.

Positiv anzumerken ist ebenfalls, dass Emmerich die Welt nicht untergehen lässt, sondern sie nur verändert und als durchaus überlebensfähig darstellt. Ebenso die Auswahl der Schauspieler, sie alle spielen überzeugt und glaubwürdig. Gelungen ebenso die aufkeimende schüchterne Liebesbeziehung zwischen Sam und seiner umschwärmten Mitschülerin, die zu keiner Zeit kitschig wirkt.

Persönlich haben mich einige Details beeindruckt. Emmerich bahnt mehrfach ganz typische und zigmal zuvor gesehene "Katastrophenszenen" an, jedes Mal denkt man "genau, das kenn ich schon" und weiß was nun passieren wird - doch nein, Emmerich führt uns in die Irre, die Situationen enden anders als erwartet. Danke, dass hier einige der Katastrophenklischees endlich mal so richtig vorgeführt werden und mit Humor hoffentlich endgültig in der Versenkung verschwinden.

"The Day After Tomorrow" ist ein "must" für jeden. Einfach nur um einen guten Film zu genießen genauso, wie aus Interesse am Thema an sich heraus. Bleibt zu hoffen, dass der Film das Denken der breiten Massen anregt. Nicht zuletzt ein guter Grund und eine kluge Entscheidung den Film weltweit zeitgleich zu starten, statt wie üblich mit synchronisationsbedingten Verzögerungen.

(9/10)

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