Das Epos erlebt im Kino gerade eine Durststrecke. Angedeutet hat es sich schon mit dem letzten Teil der „Herr der Ringe“-Trilogie, der meiner Ansicht mit den beiden ersten Teilen nicht mithalten konnte. Offensichtlich wird die Flaute spätestens mit Wolfgang Petersens „Troja“ – was ich sehr, sehr bedauerlich finde.
Dummerweise habe ich bisher (noch) nicht die „Ilias“ von Homer gelesen, deshalb ist es mir leider nicht möglich, Film und Erzählung miteinander zu vergleichen. Geläufig sind mir allenfalls die ganz offensichtlichen Abänderungen, die Petersen für seinen Film vorgenommen hat. Daher bezieht sich meine nun folgende Kritik nicht auf den Vergleich von Homers Vorlage und Petersens Adaption, sondern ist nur filmimmanent.
„Troja“ ist ein äußerst unrundes Filmvergnügen, es passt nichts zusammen. Die Geschichte ist sehr holprig und unausgewogen erzählt, zu viel Zeit wird mit unwichtigen Szenen vergeudet, einzelne Handlungsmuster wiederholen sich ungebührlich oft, die Dialoge bestehen großteils aus erschreckend flachen Phrasen, die meisten Charaktere bleiben eindimensional (ausgenommen bleiben – und auch die nur mit Einschränkung – Achilles und Hektor). Aus diesen Gründen kann man als Zuschauer mit dem Geschehen auf der Leinwand auch nicht wirklich mitgehen. Das Potential so vieler Figuren wurde so gnadenlos verschenkt, das es schmerzt, wenn man sich vorstellt, was man aus deren Geschichte alles hätte herausholen können. Und die Schauspieler agieren auf ganz unterschiedlichem Niveau, was den Film in fast jeder Szene völlig zerreißt. Einige Darsteller kämpfen noch relativ erfolgreich gegen das schlechte Drehbuch an, besonders Eric Bana, der als Hektor das Bestmögliche aus seiner mittelmäßig geschriebenen Rolle macht, und auch noch einigermaßen Brad Pitt, der hier als Achilles zwar durchaus seine Schwächen offenbart, sich aber schauspielerisch sehr bemüht und immer tut was er kann. Brian Cox und Brendan Gleeson spielen das Königsbrüderpaar Agamemnon und Menelaos routiniert und souverän, aber es sind undankbare Chargenrollen. Sean Bean ist als Odysseus verschenkt, er macht seine Sache wirklich gut, aber seine Rolle ist viel zu klein und flach gestaltet. Der große Peter O’Toole enttäuscht als Priamos, er scheint völlig teilnahmslos und verfügt scheinbar nur noch über etwa drei Gesichtsausdrücke; nur in einer Szene mit Brad Pitt deutet er an, was wirklich in ihm steckt. Orlando Bloom ist kein Schauspieler, seine Darstellung das Paris bewegt sich auf dem Niveau von Schülertheater. Die Deutschfranzösin Diane Krüger ist wirklich schön, aber hölzern (was nicht an der mehrfach kritisierten Synchronstimme liegt); überhaupt ist ihre Helena völlig unbedeutend, weil sie nicht mehr als ein Auslöser für den Krieg zwischen den Griechen und den Trojanern ist, aber ihre Funktion in der Geschichte bald einbüßt und von da an nur noch überflüssig ist (gerade hier hat Petersen eine seiner vielen falschen Entscheidungen getroffen). Kurz: In den handlungstragenden Szenen verfällt der Film meistens in Mittelmäßigkeit, geht nicht selten sogar richtig baden.
Jetzt noch einige Bemerkungen zu den Schauwerten des Films. Ist der Film wenigstens spektakulär, wenn er schon als Drama nicht funktioniert? Auch hier bleibt der Film einiges schuldig. Die Sets sind zwar monumental (aber nicht abwechslungsreich genug, die Sets bleiben stets die gleichen), die Kostüme sehr detailliert und „authentisch“ gestaltet, auch gibt es etliche Massenszenen und nicht wenige aufwändige Kampfszenen, aber trotzdem funktioniert langst nicht alles so, wie es soll. Woran liegt es? Wahrscheinlich an Petersens biederer Inszenierung, d. h. der oft uninspirierten Kameraarbeit, die einfach nur abfilmt, statt sich um stimmungsvolle Bilder zu bemühen, dem meist ungeschickten Schnitt (auch in den Schlachtsequenzen – was aber auch unter Umständen damit zu tun hat, dass der Film hier fürs Kino um 8 Minuten gekürzt worden ist) und der wirklich absolut grausamen, kontraproduktiven, unmodernen Musik (es gibt nur zwei gute Musikstücke: das wuchtige Thema ganz zu Beginn, als die beiden griechischen Heere aufeinander treffen; das Percussion-Stück beim Zweikampf zwischen Achilles und Hektor). Ein Film über den größte Krieg der Antike (auch wenn er nur ein Mythos ist), verlangt einfach nach aufregenden Schlachtszenen, die den Zuschauer förmlich in den Kinosessel pressen. Und das klappt hier nicht so richtig. Waren die Schlachtszenen in „Die Rückkehr des Königs“ zu überdreht und zu realitätsfern, so dass sie einen mit der Zeit eigentlich nur noch langweilten, waren die Kämpfe hier, obwohl sehr zahlreich, einfach zu bieder gefilmt und haben ihr Potential in keiner Weise richtig ausgereizt. Die ebenso zahlreichen Zweikämpfe schneiden hier deutlich besser ab (Paris vs. Menelaos, Hektor vs. Ajax, Hektor vs. Patroklos): Besonders der finale Zweikampf zwischen Hektor und Achilles bringt den Kinosaal zwischendurch tatsächlich richtig zum kochen. Eine der besten Kampfszenen überhaupt. Aber gerade diese Szene verdeutlicht umso schmerzhafter, was bei „Troja“ alles auf der Strecke geblieben ist. Und das ist für einen wahren Filmfreund mit etwas Phantasie wirklich schon ein bisschen skandalös. So bietet beispielsweise die Erstürmung Trojas, der eigentliche Showdown des Films, zwar noch ein, zwei gelungene Kamerafahrten, aber als Höhepunkt taugt sie nicht. Sie ist zu sehr nach dem Muster von Hollywood-Action-Duzendware abgedreht.
Wolfgang Petersen wollte mit „Troja“ ein Epos inszenieren. An diesem Anspruch gemessen hat er versagt, auch weil er den Trojanischen Krieg zu einem mehrtägigen „Scharmützel“ zusammenschrumpft, zu viele interessante Figuren der Vorlage der totalen Bedeutungslosigkeit zuführt oder ganz aus dem Geschehen entfernt hat (das kann ich auch einschätzen, ohne die „Ilias“ zu kennen), überhaupt die meisten Figuren keine richtige Entwicklung durchmachen lässt und allenfalls Klischees zu bieten hat. Petersen schafft es einfach nicht, eine archaische Zeit wie die Bronzezeit so glaubhaft zum Leben zu erwecken, wie es z. B. Ridley Scott mit „Gladiator“ für das Römische Imperium getan hat. So ist aus einem großen Stoff eine monumentale Soap-Opera geworden. Nicht auszudenken, was ein Michael Mann („Heat“, „Insinder“) oder vielleicht James Cameron in Hochform aus diesem Stoff hätte machen können.