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„Franzosen sind Hosenscheißer!“

Das Langfilmdebüt des französischen Regisseurs Jean-Luc Godard, das komplett in Schwarzweiß gedrehte Kriminal-/Liebesdrama „Außer Atem“ aus dem Jahre 1960, zählt zu einem der bedeutendsten Werke der Nouvelle Vague und bedient sich eines eigenwilligen Stils. Das von Godard bearbeitete Drehbuch stammt von François Truffaut. Die folgenden Zeilen enthalten massive Spoiler:

Michel Poiccard heißt eigentlich Laszlo Kovacs (Jean-Paul Belmondo, „Angst über der Stadt“) und schlägt sich als Kleinkrimineller und Draufgänger durchs Leben. Doch als er mit einem gestohlenen Fahrzeug auf dem Weg nach Paris ist, gerät er in eine Polizeikontrolle und erschießt einen Polizisten. In Paris kommt er bei der US-amerikanischen Studentin Patricia (Jean Seberg, „Das Attentat“) unter, die er aus Südfrankreich kennt, und verliebt sich in sie. Sie beginnen eine Liebelei, doch ist sie sich ihrer Gefühle nicht sicher. Als der Arm des Gesetzes schließlich nach Michel greift, verrät sie ihn an die Polizei…

„Das Angenehme ist nicht das Einschlafen, sondern das Aufwachen neben einem Mädchen!“

Wer anhand der Inhaltsbeschreibung zu glauben geneigt ist, es handele sich um eine Romantikschmonzette voll tiefer zarter Gefühle mit tränentreibendem tragischem Ausgang, liegt falsch. Vielmehr handelt es sich um eine französische Interpretation klassischen Bogart-Film-noir respektive eine Ehrerbietung an denselben. Poiccards großes Idol scheint Humphrey Bogart als verwegener, draufgängerischer Macho zu sein, den er in Kleidung und Verhalten zu imitieren versucht. Vor einem Plakat Bogarts streicht er sich über die Lippen, er hält sich für einen Frauenhelden, raucht Kette und nimmt in seinem Narzissmus das Leben nicht sonderlich ernst bzw. scheint den Sinn für die Realität verloren zu haben. In der Tat gerät auch er an einen Typus der Femme fatale, ein gängiges Motiv des pessimistischen Film noir. Die kurzhaarige Schönheit Patricia verdreht ihm den Kopf und verkörpert einen für das Entstehungsjahr ungewöhnlichen, selbstbewussten und eigensinnigen Frauentyp. Sie möchte ihr Studium abschließen, jobbt nebenher als Zeitungsverkäuferin, strebt offenbar Unabhängigkeit an. Sie lässt sich gern von Michel lieben, hat jedoch ganz andere Pläne als an dessen Seite nach Italien zu fliehen.

„Ich will nicht in dich verliebt sein, Michel!“

Michel wiederum scheint so von sich eingenommen, dass er gar nicht recht auf die Idee kommt, dass sie nicht in ihn verliebt sein könnte, ihn vielleicht gar für das halten könnte, was er eigentlich ist: ein Verlierer. Um sich zu beweisen, dass sie ihn nicht liebt, verrät sie ihn schließlich an die Polizei. Ob sie es für das Beste für ihn hielt, ob sie damit auch ihr Gewissen erleichtern wollte, sie sich verpflichtet fühlte, den Polizistenmörder zu verraten, sie mit seiner Tat haderte – darüber verrät uns Godard nichts, vielmehr scheint er als naheliegendsten Beweggrund einen ebenfalls recht ausgeprägten Egoismus der jungen Dame anzubieten. Doch Patricias Entscheidung selbst fällt wesentlich nachvollziehbarer aus, als Michels Reaktion auf die bevorstehende Verhaftung: Er greift zum Revolver und lässt sich erschießen, schleppt sich die Straße hinunter und spricht während seiner letzten Begegnung mit seiner Angebeteten im Sterben jene berüchtigten Worte: „Du bist wirklich zum Kotzen!“ Weshalb er so reagierte, bleibt ebenfalls offen; möglich wäre, dass er aus einer Art Liebeskummer heraus eine Todessehnsucht entwickelte.

Godard lässt Michel einerseits erst Selbstgespräche führen und dann direkt zum Zuschauer sprechen, was die Illusion einer filmischen Realität empfindlich stört, um andererseits einen peinlich genauen Realismus verfolgen, der auf sämtliche Studiokulissen verzichtet, ausschließlich Originalschauplätze aufsucht und natürliches Licht verwendet. Dass sein sehr dialogreicher Film ursprünglich zweieinhalb Stunden lang geriet, zwang ihn zu radikalen Schnittmaßnahmen, die er nicht zu vertuschen versuchte: Sichtbar für jeden Zuschauer finden nicht nur innerhalb einzelner Szenen, sondern gar innerhalb einzelner Dialoge sog. Jump Cuts statt, die hier aus der Not heraus geboren später zu häufig und gern bewusst eingesetzten Stilmitteln avancierten. Klassisches Hollywood-Erzählkino jedenfalls sollte „Außer Atem“ keinesfalls werden und so wird dem Zuschauer auch keinerlei wirkliche Identifikationsfigur angeboten. Statt eines tragischen, bemitleidenswerten Helden präsentiert man in Michel eine betont schnoddrige Hauptrolle, die sexistische Sprüche von sich gibt, sich wie die Axt im Walde aufführt, stiehlt, lügt und betrügt, in Nackt-Zeitschriften blättert etc. Auch die Liebesszenen fallen fast bar jeder Erotik aus und bieten stattdessen (pseudo-)philosophische Dialoge. Der Schnitt indes verhindert jegliche Sperrig- und Langatmigkeit und versieht den Film in Kombination mit dem beschwingten Jazz-Soundtrack mit einer gewissen Spritzigkeit. Auch schauspielerisch ist „Außer Atem“ bestimmt von Leichtigkeit; die großen Gesten lässt Belmondo seinen Michel suchen, aber nicht finden.

All das macht Godards Debüt zu einem Film der Gegensätze, der mehr eine Demonstration originellen Filmemachens denn ein auf eine Aussage oder emotionale Wirkung hin zugeschnittenes Melodram geworden ist – wenngleich die viel- und auch von mir gespoilerte Pointe sicherlich überraschend wäre, würde sie nicht fast jeder Auseinandersetzung mit dem Film vorangestellt werden. Ein zeitgenössisches Publikum jedoch dürfte sich etwas schwer damit tun, ohne Weiteres zu erkennen, was 1960 an diesem Werk als revolutionär galt und evtl. Schwierigkeiten bekommen, es hinsichtlich seiner filmhistorischen Relevanz einzuordnen.

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