Wir schreiben das Jahr 2006. In Disney-Landen schickt sich der CGI-Film an, das dritte Jahr der absolutistischen Regentschaft in die Tat umzusetzen. Der König ist tot, lang lebe der König: Das Volk hat sie gefordert, die CGI-Krone. Es wollte den Regierungswechsel, und jetzt ist er da. Nieder mit der Handanimation, deren letzte Amtshandlung im Jahr 2003 mit “Die Kühe sind los” getätigt wurde, auf dass die Nullen und Einsen hoch leben. Dreamworks’ “Madagascar” wird derzeit als DVD für die Masse verramscht, Fox’ “Ice Age 2" wurde kürzlich im Kino noch begeisterter aufgenommen als das Original und Disney / Pixar machen sich bereit, mit “Cars” noch in diesem Jahr erneut anzugreifen.
In diesen Zeiten fällt einem dann plötzlich ein sechs Jahre altes “Relikt” in die Hände, ein Zeichentrickfilm namens “Ein Königreich für ein Lama”, aus dieser inzwischen nur noch mythenhaft existierenden Epoche nur wenige Jahre vor dem Regierungswechsel. Man schaut ihn an, als sei er ein Dokument. Den Bildschirm erfüllt der Zauber vergangener Zeiten, aber nichts von alledem wirkt angestaubt, nichts erscheint so, als wäre die Zeit gekommen für einen neuen “Emperor”. Eine schockierende Erkenntnis macht sich breit beim gehorsamen Untertanen des neuen Königs: Der alte König wurde ermordet! Er war doch noch so jung und wurde einfach so vor seiner Zeit abgesäbelt. Die Zeit war doch noch gar nicht reif! Und jetzt frage ich:
Erm... wie konnte unser CGI-König noch gleich so triumphal den Thron erobern?
Ganz so dramatisch wie in der zugegeben etwas reißerischen Einleitung sollte man die Situation selbstverständlich nicht betrachten. Die neuen Möglichkeiten im Bereich der Computerarbeit müssen so respektiert werden. Sie gehören in diese Zeit wie die Butter aufs Brot, und vergleicht man sie mit den letzten Atemzügen des großen Zeichentricks auf der Kinoleinwand, muss man auch anerkennen, dass die direkte Konkurrenz aus der CGI-Abteilung allen Zweiflern gehörig eine Lektion erteilt hat. Pixar ist ganz ohne Frage einer der wenigen großen Gewinner des Filmbusiness der letzten Jahre, doch der Erfolg kam nicht einfach dahergeflogen, er wurde hart erarbeitet. Ganz speziell Pixar, später dann auch die Nachzügler anderer Studios brachten nicht nur Innovationen in der Animation mit, sondern auch in anderen Bereichen - da konnte der hauseigene Zeichentrickfilm, aus welchen Gründen auch immer, bald nicht mehr mithalten.
Wie unabhängig gute Animationsfilme aber eigentlich wirklich von ihrer Animationstechnik sind, das beweist die Geschichte um den in ein Lama verwandelten jungen Inka-König Kuzco (Bully Herbig bzw. David Spade), die vor lauter herrlichen Charakteren und spritzigem Humor nur so sprüht, dass sich die an ersten Ermüdungserscheinungen leidenden CGI-Filme (“Madagascar”, “Robots”) schon ganz schön umgucken müssen, um nicht von den dicken Tropfen des Einfallsreichtums besprüht zu werden. Disney fasste endlich mal den Mut, sich zumindest ein wenig von manch nerviger Tradition zu lösen, die scheinbar untrennbar mit ihrer Zeichentrickabteilung verschmolzen war, um eine modern erzählte, dabei aber niemals aufdringlich auf jugendlich getrimmte Story in wunderschöne Animationen einzuweben und Charaktere zum Leben zu erwecken, die so menschlich erscheinen, als wären sie reale Wesen.
Den Musical-Hasser (mich inklusive) wird es freuen, dass das zur Zeit der Inkas angelegte Abenteuer durch Wildnis und Kultur fast komplett ohne Gesangseinlage auskommt. Der für den Oscar nominierte Soundtrack (Sting wurde für “My Funny Friend and Me” mit einer Nominierung geehrt) lässt lediglich zu Anfang und am Ende ein paar melodische Takte los, am Ende sogar garniert mit einer herrlich selbstironischen Bemerkung zu dem Disney-typischen Drang, alles Geschehene in Songs nochmals aufzuarbeiten. Mit zunehmender Laufzeit des Films wird diese gewöhnungsbedürftige Art der Darstellung durch neue Formen ersetzt, die alles in allem weniger aufdringlich daherkommen. Sei es der immer wieder auftauchende Off-Kommentar des Hauptdarsteller-Lamas, Parallelschnitte, welche die zeitliche / örtliche Trennung verschiedener Erzählstränge verdeutlichen oder sonstige Spielereien; einmal wird gar das Bild angehalten, das Lama tritt davor und markiert auf dem Standbild wichtige Dinge mit dem Rotstift, womit die Mechanismen des klassischen Erzählmusters Disneys absichtlich hintergangen bzw. aufgebrochen werden. Nun, dieses Aufbrechen traditioneller Schemata wirkt zu keinem Zeitpunkt gewöhnungsbedürftig oder gar unpassend - auf Anhieb funktionieren die neuen Darstellungsformen. Die Kleinen sollten trotz der neuen Muster zu keinem Zeitpunkt überfordert werden; genau genommen dürfte das inhaltliche Übertragungspotenzial von Gesang und Tanz durch sein höheres Maß an Abstraktion sogar noch deutlich schwieriger zu encodieren sein, als wenn im Hintergrund der Hauptdarsteller alles recht einfach erklärt.
Indem weiterhin nicht immer wieder die Handlung für Musical-Einlagen unterbrochen wird, läuft das Geschehen zudem deutlich flüssiger ab. Leichte Eingewöhnungsschwierigkeiten bezüglich der Dramaturgie sind vielleicht vorhanden (vor allem nach etwa einer Stunde könnte die Konzentration leicht nachlassen), aber es hilft doch sehr, wenn man nicht immer wieder vor eine rote Ampel gestellt wird, bis es handlungstechnisch dann endlich weitergeht. Das trägt auch mit dazu bei, dass Disneys nunmehr 39. abendfüllender Spielfilm bis zum Schluss sehr temporeich vorangetrieben wird und damit wirklich zu einem einzigen verrückten Abenteuer wird, das sich keine Pausen gönnt. Die 75 Minuten Laufzeit sind auch keine Minute zu wenig, denn Momente der Ruhe sind so rar gesät, dass in dieser dicken Stunde mehr passiert als in so manchem Zweistünder.
Freigegeben ist der Film für alle Altersklassen, und allen Altersklassen kann er dann auch wirklich mal empfohlen werden - denn nicht nur Kinder werden was zu lachen haben. Der Humor ist nun nicht sonderlich tiefgründig oder subtil, aber er ist eindeutig so konzipiert, dass ihm auch Erwachsene einiges entnehmen können. Selbst sarkastische Brocken und knallharte Zyniker sollten ruhig mal einen Blick auf den Film werfen. Die Gefahr der Vergiftung durch Versüßung besteht in keiner Sekunde. Die Wortgefechte sind immer rasant, witzig und spritzig, ohne selbstverständlich mal das jugendfreie Metier zu verlassen, das sollte klar sein. Und doch kommen die Schmunzler fast im Sekundentakt. Selten sind Lachanfälle zu erwarten, Rohrkrepierer aber ebensowenig, denn die ganze Geschichte ist einfach durch und durch charmant. Dass Disney so konsequent auf Slapstick setzt, verwundert sehr, ist aber absolut zu begrüßen, weil schwerfällig emotionale Szenen damit verhindert werden. Der Grundgedanke hinter der Geschichte, nämlich die Warnung davor, den gesellschaftlichen Status über Freundschaft und Freundlichkeit gegenüber den Mitbürgern zu stellen, wird also ausnahmsweise mal nicht mit Gewalt in den Rachen des Zuschauers gestopft. Im Vordergrund steht endlich mal das, was bei Disney eigentlich immer im Vordergrund stehen sollte: Die Unterhaltung.
Vieles an Entertainment ist auch den Charakteren zu entziehen, die nicht zu überzogen sind, aber dennoch schön abgedreht. Allen voran selbstverständlich das Lama, das schon in seiner ursprünglichen Form als König ein wahrer Genuss ist - hochnäsig, naiv, infantil und doch mit grenzenloser Macht gesegnet. Daraus macht Regisseur Mark Dindal zum Glück sehr viel. Dieser Kuzco ist zwar nicht wirklich ein Sympathieträger, doch verfluchen wollen wir ihn auch nicht. Ihm wird also eine angenehm vielschichtige Charakterzeichnung zuteil, die (im Deutschen) von Michael Herbig auf akustischem Wege auch durchaus attraktiv transportiert wird. Und wenn dieser König sich dann in ein Lama verwandelt, sozusagen seine “wahre” Gestalt annimmt, dann ist die Figur perfekt. Das Design des Lamas ist göttlich und seine Animation ein zeichnerischer Traum, der den angestrebten Humor hervorragend transportiert. Der wird nämlich daraus geschöpft, dass wir hier ein Wesen vor uns haben, das glaubt, ein Inbegriff von Würde, Recht und Freiheit zu sein, dabei aber optisch eher trampelig, dumm und dämlich wirkt. Die restlichen Charaktere gehen allesamt in Ordnung: Pacha (Reinhard Brock bzw. John Goodman) ist ein klassisches Buddy-Gegenstück, dem gerade durch die Szene bei seiner Familie viel Charakterprofil zuteil wird, während Isma (Elke Sommer / Ertha Kitt) und ihr Gehilfe Kronk (Thomas Amper / Patrick Warburton) ein nettes Bösewichter-Pärchen abgeben - nicht zu fies, aber wenigstens markant genug, um Eindruck zu hinterlassen. Manchmal schleichen sich einige wenige Klischees im Verhalten der Akteure ein, die leicht störend auffallen. Der Engelchen-Teufelchen-Dialog hat bei Disney beispielsweise Tradition bis in die Kurzfilmzeit der Dreißiger und Vierziger, und so ganz frei von Ironie wirken solche Gags heute zu abgedroschen, um mehr Zuschauer als nur die Kleinen zu erreichen.
Visuell ist der ganze Film eine einzige Wucht. Die Kultur der Inkas wurde mit den Hängebrücken, peruanischen Gebirgen, Dörfern, dem Königshof etc. wie üblich wunderschön und detailgetreu recherchiert und in tolle Bilder umgesetzt, wobei auch das Figurendesign (wie u.a. seinerzeit in “Hercules”) der zeitgenössischen Architektur leicht angepasst wurde. Einzelne Passagen erreichen gar den nostalgischen Bildwert der großen Disney-Klassiker, in anderen Momenten wird die tricktechnische Klasse deutlich (Pacha und Kuzco vor dem Gewässer).
Würden alle Trickfilme aus der Disney-Schmiede so aussehen wie das “Königreich für ein Lama”, wäre ich mit Sicherheit ein weit größerer Disney-Fan. Denn die schräge Geschichte um den egozentrischen Kuzco nervt keine Sekunde mit übertriebenem Geschnulze oder unnötigen Gesangspassagen. Der Humor ist zweifellos auch für Erwachsene gemacht, die Charaktere sind herzallerliebst und die Animationen machen so manchem CGI-Film noch was vor. Natürlich hätte er gerne noch bissiger sein können; bei Disney geht ja eigentlich immer noch mehr. So aber kann man sagen: Ein Film für die ganze Familie. Und diesmal ist es wirklich so gemeint.