„Sie werden sich freuen: eine Woche Veigl-frei!“
Der in Paris geborene Regisseur Axel Corti („Der Fall Jägerstätter“) inszenierte Mitte der 1970er seinen ersten von insgesamt zwei Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“, der am 9. Mai 1976 erstausgestrahlt wurde: „Wohnheim Westendstraße“ ist der siebte Fall der bayrischen Kriminaloberinspektors respektive Kriminalhauptkommissars Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), der zusammen mit Kriminalhauptmeister Ludwig Lenz (Helmut Fischer) ermittelt. Das Drehbuch verfasste Herbert Rosendorfer, der ein von Luigi Squarzina geschriebenes Hörspiel fürs Fernsehen frei adaptierte.
„Ich komm‘ mir bei den Vernehmungen vor wie der Uhrmacher, der mit Handschuhen arbeitet!“
Der just zum Kriminalhauptkommissar beförderte Veigl muss auf Geheiß von oben zu seinem Leidwesen Kriminalhauptmeister Lenz für Ermittlungen gegen die grassierende Schwarzarbeit abstellen. Die Wege kreuzen sich jedoch alsbald wieder, denn ein angeblicher Betriebsunfall mit Todesfolge auf dem Gelände der Bundesbahn – ein italienischer Gastarbeiter soll an die Starkstromleitung geraten sein – kann sich nicht wie vor Ort behauptet ereignet haben. Dafür wird auf einem Schwarzbau Material entdeckt, das offenbar der Bahn entwendet wurde. Veigl recherchiert innerhalb des italienischen Gastarbeitermilieus und verhört zusammen mit seinem Assistenten Brettschneider (Willy Harlander) sowie der Dolmetscherin Welponer (Margot Leonard, „Moselbrück“) die Arbeiter, stößt jedoch auf eine Mauer des Schweigens. Was ist wirklich vorgefallen und wovor haben die Männer Angst?
„Italiener ham‘ immer ‘n Grund, sich gegenseitig umzubringen!“
Dieser „Tatort“ wirft in einer Mischung aus Kriminal-, Sozial-, Liebesdrama und Milieustudie ein Schlaglicht auf die Situation italienischer Gastarbeiter – und wie sie von windigen deutschen Bauunternehmern ausgenutzt werden. Die Handlung um den Tod eines Arbeiters wird erweitert um die Dreiecksbeziehung um die stets schwer beschäftigte Kellnerin Eva Krüner (Veronika Fitz, „Dieser Platonow…“), ihren Verflossenen Türken Murat Bugra (Kurz Weinzierl, „Kottan ermittelt“) und ihren aktuellen Lebensgefährten, den Italiener Ernesto Legrenzi (Renzo Martini, „Die Ermordung Matteottis“) aus dem Wohnheim Westendstraße. Bugra ist nicht nur alles andere als gut auf Legrenzi zu sprechen, er hat auch Beobachtungen gemacht, die der Polizei weiterhelfen würden, die er jedoch als Pfund in die Waagschale im Kampf um Eva wirft.
Bestimmt wird dieser Fall jedoch über weite Strecken von Sprachbarrieren. Veigl versteht die Italiener nicht und fühlt sich in seiner Arbeit stark eingeschränkt, weil er nur über die Dolmetscherin mit ihnen kommunizieren kann. Und das Publikum oberhalb des Weißwurstäquators versteht darüber hinaus die Bayern nicht, denn ohne allzu viel Rücksicht auf Zuschauer(innen) aus anderen Regionen wird hier munter drauflosbajuwart. Veigl indes scheint auch Vorurteile gegen die „Itaker“ zu haben, wofür er von der Dolmetscherin zurecht kritisiert wird. Diese tritt generell als Fürsprecherin der Gastarbeiter auf, von der Veigl lernt. Das ist recht ordentlich und ohne erhobenem Zeigefinger, jedoch mit sozialem Anspruch in die Handlung integriert worden und dürfte bei einer damaligen Einschaltquote von über 50 % tatsächlich zum Abbau von Vorurteilen beigetragen haben.
Der eigentliche Fall jedoch zieht sich längere Zeit recht ereignisarm hin, für ein wenig Action sorgt lediglich der Hahnenkampf zwischen Bugra und Legrenzi. Türke Bugra wird kurioserweise von Kurt Weinzierl gemimt, aber immerhin sind die Italiener echt. Etwas Komik bringt Brettschneiders Inkognito-Einsatz auf dem Schwarzbau mit sich. Höhepunkt ist der Showdown in Form einer Schießerei in einem Parkhaus, während die Auflösung der Geschehnisse verdeutlicht, mit welchen Lügenkonstrukten Bauunternehmen ihre Schwarzarbeiter in Schach zu halten versuchten. Unterm Strich ein sehenswertes Zeitdokument.