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„Mein Gott, das ist ja schrecklich!“

Für den siebten Fall der Essener „Tatort“-Ermittler Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) arbeitete Karl Heinz Willschrei, einer der damaligen Stammautoren der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, erstmals mit Regisseur Wolfgang Staudte („Die Mörder sind unter uns“) zusammen, der nach dem famosen „Tatort: Tote brauchen keine Wohnung“ seinen zweiten „Tatort“ inszenierte. Am 14. März 1976 wurde „Zwei Leben“ erstausgestrahlt.

„Ach Scheiße, ich weiß es eben…“

Franz Scheller (Heinz Bennent, „Nea – Ein Mädchen entdeckt die Liebe“), ehemaliger Kronzeuge in einem US-amerikanischen Prozess gegen die Mafia und US-Bürger mit deutschen Wurzeln, befindet sich seit seinen Aussagen in einem Zeugenschutzprogramm und lebt unter neuer Identität als Fotolaborant in Essen. Dort ist er glücklich verheiratet, doch gibt es dummerweise auch noch seine Ex-Frau aus Mafiazeiten, Vivian Hamilton (Gisela Uhlen, „Drei Männer im Schnee“). Diese sucht fieberhaft nach ihm und weiß genau, wo sie nach ihrem Ex-Mann Ausschau halten muss: In den illegalen Pokerhinterzimmern der Republik. Ihre einzige Chance, ihn zurückzugewinnen, ist, ihn an die Mafia zu verraten, damit er aus seinem bürgerlichen Leben fliehen muss. Genau das tut sie, nachdem sie ihn hat ausfindig machen lassen, und prompt liegt der erste Fall eines toten Mafiosos (Günther Stoll, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“) auf Kommissars Haferkamps Schreibtisch. Dieser muss erst einmal die unübersichtliche und zudem geheime Gemengelage sortieren, während Scheller zu allem Überfluss auch noch von seiner Angestellten (Susanne Beck, „Bitte keine Polizei“) erpresst wird. Wird der ebenso tollkühne wie teuflische Plan seiner Ex-Frau aufgehen? Werden weitere Mitglieder der Mafia auf den Straßen Essens sterben? Oder müssen gar Hamilton und/oder Scheller ihr Leben lassen…?

Der Prolog vermittelt Einblicke in Vivian Hamiltons detektivisches Vorgehen, Kamera und Licht spielen gekonnt und passend zu den verborgenen Pokerrunden mit schummrigen Ausleuchtungen. Es folgen Schellers Enttarnung und dessen zunächst, da man noch kaum etwas über diese Figur weiß, überraschende Flucht nach vorn: Er verfolgt den Mann, der zu viel weiß, und bringt ihn um. Ein Foto aus dessen Kamera bringt Haferkamp auf Schellers Spur, doch dieser versteht es, seinen Kopf auch aus der Schlinge der Essener Bullen zu ziehen. Haferkamp ist einmal mehr auf die Unterstützung seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) angewiesen, wir haben es also mit einem sehr Ex-Frauen-lastigen „Tatort“ zu tun. Zusätzlich holt sich Hafi Informationen beim Kieler Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) ein. Ingrid recherchiert kräftig und erfolgreich, erfolgreicher als Haferkamp, und auch der unvermittelt zum Nichtraucher gewordene Kreutzer wuselt sich so durch diesen Fall um eine skrupellose geschasste ehemalige Mafioso-Gattin und einen Kronzeugen, der über Leichen geht und somit Opfer und Täter zugleich ist.

Über weite Strecken bietet der mitunter etwas zeitgenössisch betulich erzählte „Zwei Leben“ eine gelungene Mischung aus Spannung und aus dem Informationsvorsprung des Publikums resultierender Suspense. Zuschauerinnen und Zuschauer dürften in erster Linie recht lange um Vivian Hamilton und ihre Rolle in diesem Spiel rätseln, denn diese wird erst recht spät aufgedeckt – und kulminiert in einem kaltschnäuzig konstruierten Finale. Dieses setzt einen schönen Schlusspunkt unter einen Mafiakrimi der etwas anderen Art, denn er kommt weitestgehend ohne Hypergrausamkeit und Action aus und überzeugt allein mit seinem Ensemble, seiner wohlgestalteten Handlung und nicht zuletzt den augenschmeichelnden Kamerafahrten und -perspektiven Gernot Rolls. Für die musikalische Untermalung wird auf den ersten Satz der Sinfonie in Fis Erich Wolfgang Korngolds zurückgegriffen und, ja: das musste ich erst recherchieren.

7,5 von 10 starken Ex-Frauen für diesen sehr sehenswerten „Tatort“, der im Jahre 2017 übrigens eine Episode gleichen Titels zur Seite gestellt bekam.

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