Review

„Wer verarscht Sie?“

Nach Kriminalhauptkommissar Brammers (Knut Hinz) erstem Fall, dem enttäuschenden „Kneipenbekanntschaft“, ging es in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover am 6. Juli 1975 mit „Mordgedanken“ sogar noch schwächer weiter. Der angeblich authentische Fall misslang Regisseur Bruno Jantoss („Frau Brückl muss sich umstellen“) und den Autoren Rainer Boldt und Rüdiger Humpert leider gründlich. Ob es an der Romanvorlage „Mord im September“ aus der Feder Stefan Murrs lag, kann ich nicht beurteilen, denn diese ist mir unbekannt. Es handelte sich um Jantoss‘ erst zweite Regiearbeit und es sollte seine letzte innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe bleiben.

„Liebe – was ist das schon…“

Irgendjemand verpackt Teile einer Frauenleiche in Kartons und schickt diese mittels Güterzügen auf Reisen nach nirgendwo. Kommissar Brammer, gerade aus dem Urlaub zurück, versucht, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Derweil reist die attraktive junge Daniele Bontoux (Silvia Reize, „Der Steppenwolf“) von Brüssel in den niedersächsischen Ort Rhüden, um Wurtstfabrikant Edmund Freese (Gunnar Möller, „Hunde, wollt ihr ewig leben?“) zu treffen, zu dem sie eine Affäre unterhält. Während ihrer Reise stellt ihr Bundesbahnoberrat Sperling (Ulrich Matschoss, „Tatort: Strandgut“) nach. Freese möchte sich von seiner zurzeit verreisten Frau Tina scheiden lassen. Sein Schwager Alfred Georgie (Peter Herzog, „Ermittlungen gegen Unbekannt“) wiederum trauert um Freeses jüngst verstorbene Schwester. Georgies Tochter Ricki (Jutta Speidel, „Die letzten Ferien“) hingegen ist ein Verhältnis zum Familienanwalt Robert Kenzie (Herbert Bötticher, „Tatort: Acht Jahre später“) eingegangen, Freeses Sekretärin Frau Kotelecki (Angela Hillebrecht, „Der Pendler“) schwor einst einen Meineid für ihren Chef und sieht daher eher sich denn Daniele als Tinas Nachfolgerin an seiner Seite – und wer durch all diese komplizierten Beziehungskisten noch vollumfänglich durchsteigt, dem sei mein Respekt versichert. Sperling konnte zwar nicht bei Daniele landen, kann aber dem zunächst nur Bahnhof verstehenden Brammer helfen, indem man gemeinsam ermittelt, dass alle Leichenteilewege zurück nach Rhüden führen. Sperling konstruiert einen Zusammenhang mit Daniele und so landet irgendwie Brammer in all dieser Mischpoke…

Nach dem kruden Leichenteilkartonfund im Prolog verfärbt sich das Bild mit einem Animationseffekt effektheischend blutrot und beteuert ein Lauftext die Authentizität des Gezeigten, nur die Namen und Orte habe man geändert. Schon bald wendet man irrsinnig viel Zeit dafür auf, Daniele und ihre Familie zu Hause vorzustellen – die französischen Dialoge werden untertitelt –, bis sie endlich auf Reisen geht. Handelt es sich um Rückblenden zu den letzten Minuten der Toten, stammt der abgetrennte Arm von ihr? Schon zu weit gedacht: An dieser Stelle wird schlicht einer von mehreren parallelen Handlungssträngen etabliert. Bahnblockwart Sperling erweist sich als verschlagener Stalker, verschwindet jedoch erst einmal aus der Handlung. Dafür kommt Herr Freese ins Spiel, dem gegenüber Daniele mal mit französischem Akzent spricht, diesen aber nicht konsequent durchhält. Ein Indiz in einem Mordfall? Wieder zu weit gedacht, denn es handelt sich offenbar schlicht um schauspielerisches Unvermögen.

Zu Daniele, Sperling und Freese gesellen sich nach und nach die zahlreichen weiteren Figuren aus der Inhaltsangabe, bis das Seifenoper-Ensemble mit seinen komplizierten Verhältnissen, durch die kaum noch jemand durchsteigt, komplett ist. Brammer, der junge Kommissar in Lederjacke, bekommt einen Rüffel wegen Verstoßes gegen die Vorschriften, was wie ein hilfloser Versuch wirkt, ihm Charakter angedeihen zu lassen. Aufhorchen lässt da eher der Kirschlikörkonsum Sperlings, der, kaum greift die Handlung diesen Bahnfuzzi wieder auf, bedenkliche Ausmaße annimmt. Was seiner Figur eine tragische Note verleihen soll, avanciert zu einer Art Running Gag. Dafür arbeiten Sperling und Brammer nun eng zusammen, und auf den Badener „Tatort“-Kommissar Gerber (Heinz Schimmelpfennig) entfällt der damals obligatorische Gastauftritt – als sei das Figurenensemble noch nicht groß genug. Immerhin hat er den Überraschungsmoment auf seiner Seite, denn angetäuscht wurde zunächst ein weiterer der unzähligen Gastauftritte Kommissar Veigls aus München.

So plätschert die Handlung ohne erkennbaren roten Faden lange vor sich hin, frei von jeder Action, kaum spannend und von einer derart drögen, seifigen Stimmung, dass man inständig darauf hofft, die Auflösung möge es noch herausreißen. Im Finale lässt man noch ein enervierend lautes Uhrenticken über sich ergehen, um schlussendlich zu realisieren, dass (Achtung, Spoiler!) es hier nicht einmal einen Mord gibt! Brammer klugscheißt unangenehm belehrend am Schluss, doch woran die Tote letztendlich verstorben ist, behält dieser „Tatort“ für sich. Ein weiterer Lauftext verkündet am Ende die Gerichtsurteile. Pickt man sich nur die Rosinen unter den Wiederholungen klassischer „Tatort“-Episoden heraus, läuft man Gefahr, zu vergessen: Auch so war der bundesdeutsche Kriminalfilm damals – bieder, hölzern, ereignisarm und langweilig. 3,5 von 10 Leichenteilen behalte ich, der Rest geht postwendend an den NDR retour!

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