Review

„Glauben Sie, Sie sind der Erste, der dasteht, als hätt’ er sich in die Hose geschissen?!“

Nach den Fällen 3 und 4 des Essener „Tatort“-Kommissars Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und dessen Assistenten Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) griff man auf das bewährte Regie/Drehbuch-Duo Wolfgang Becker und Karl Heinz Willschrei zurück, das für die ersten beiden Essener Episoden verantwortlich zeichnete. Erstmals über bundesdeutsche Bildschirme flimmerte „Die Abrechnung“ am 8. Juni 1975.

„Scheiß reiche Weiber!“

Der vermögende Professor Stürznickel wird in seinem Zuhause erschlagen. Schwiegertochter Evelyn (Maria Schell, „Der Hexentöter von Blackmoor“) sagt aus, dass es ein Einbrecher gewesen sei, den sie im Affekt erschossen habe. Kommissar Haferkamp jedoch ist davon überzeugt, dass Evelyn die Täterin ist und den vermeintlichen Einbrecher, mit dem sie eine Affäre hatte, für ihre Zwecke als nützlichen Idioten ausgenutzt hat. Evelyn wird angeklagt, doch die Beweislage ist schwach. Der renommierte Anwalt Dr. Alexander (Romuald Pekny, „Das Wunder des Malachias“) erwirkt Evelyns Freispruch. Doch kurz darauf verschwindet Evelyns Stieftochter, die 14-jährige Angela (Irina Wanke, „Die Verdammten“), spurlos. Zuvor hatte sie ihren Erbanteil abgelehnt, weil sie mehr wusste, als Evelyn lieb sein konnte…

„Die Menschen brauchen so etwas: Mythen…“

Dieser „Tatort“ wartet mit gleich zwei Toten zu Beginn auf, wobei spannungsfördernd nicht gezeigt wird, wer den Professor erschlagen hat. Dass Evelyn Dreck am Stecken hat, wird indes schon früh deutlich, zumal auch ein Kumpel des nun toten Kriminellen Neugebauer nicht an dessen Täterschaft glaubt und die gemeinsame Ganovenehre beschwört. Haferkamps Telefonat mit dem Münchner Kommissar Veigl (Gustl Bayrhammer) beschert diesem den damals obligatorischen Gastauftritt, wirkt jedoch überflüssig und konstruiert – weshalb er schon recht früh abgefrühstückt wird. Überraschend schnell kommt es dann auch zur Gerichtsverhandlung, in der „Die Abrechnung“ Züge einer Gerichtsposse annimmt. Der geniale Anwalt Dr. Alexander liefert eine formidable Show und schafft es, Haferkamp als Spießer hinzustellen. Der Höhepunkt dieser Episode!

Jedoch ist nun erst die halbe Laufzeit um. Mit Angelas Verschwinden wächst dem bisherigen Fall ein Ableger. Kurze visualisierte Erinnerungsfetzen Angelas sorgen für einen Wissensvorsprung des Publikums gegenüber der Polizei, bei der der gute Kreutzer leider eine sehr untergeordnete Rolle einnimmt. Angelas Tod komplettiert den Bodycount und wird zum Anlass genommen, die damals minderjährige Irina Wanka splitterfasernackt in der Leichenhalle zu zeigen. Das würde man heutzutage so wohl nicht mehr machen, aus Gründen. Erneut darf Dr. Alexander antreten und eine entscheidende Rolle spielen, womit dieser „Tatort“ über eine Femme fatale und die Macht guter Advokat(inn)en zwar unwahrscheinlich überkonstruiert, letztlich aber eben auch rund, in sich schlüssig, endet und der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Da Hafi dabei diesmal eher eine Statistenrolle bekleidet, macht er mitunter ein in sehr distanzlosen Großaufnahmen eingefangenes langes Gesicht und philosophiert desillusioniert seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) gegenüber. Gute, sehr ansprechend besetzte, versiert gefilmte Krimiunterhaltung und vermutlich einer der erinnerungswürdigsten Essener Beiträge zur öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Reihe.

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