Ein klassischer Fall von "Regisseur nimmt sich zu viel vor".
Der Wille, ein zweites AKIRA zu schaffen ist eindeutig da und gewisse Parallelen, wie zB die atemberaubende Optik, vielschichtige Story (zumindest in der ersten Hälfte) und der scheinbar größenwahnsinnige Oberböse sowie der mit jenem Oberbösewichten verbundene Held sind da. Otomo nutzt für sein "zweites Akira" die technischen Möglichkeiten bis aufs Letzte aus. Die Animationsqualität und Detailverliebtheit ist derart herausragend, dass andere, vergleichbare Animes der letzten Zeit wie plumpe Strichmännchen Zeichnungen aussehen. Man kann eigentlich nicht anders, als sich sofort in die Bilder zu verlieben und rasante wie elegante Kamerafahrten und bombastische Actionszenen gibt es obendrauf.
Aber leider kann der Anime am Ende inhaltlich nicht mit den optischen Schauwerten mithalten. Wobei er es in der ersten Stunde durchaus schafft.
Zuerst die eigenartige Welt, irgendwo zwischen Realität und Science Fiction, dann der mysteriöse Steamball, hinter dem verschiedene Interessensgruppen her sind und nicht zu vergessen die beinahe schon ambivalenten Hauptfiguren. In den ersten 60-70 Minuten wird eigentlich nie recht klar, wer hier Gut und Böse repräsentiert bzw. ob es überhaupt die klassische Gut und Böse Verteilung gibt. Es spielt sich viel in einer Grauzone ab. Wo der Vater und Großvater vom Protagonisten Ray Steam stehen, bleibt immer unklar, genau so fragt man sich welche Rolle der rivalisierende Wissenschaftler Stevenson einnimmt und die anfangs doch recht eindimensional gestaltete, typisch verwöhnte Millionärsgöre bekommt mit zunehmender Laufzeit auch mehr Facetten verpasst. Zusammen mit der undurchsichtigen und spannenden Story, die mal hier und mal da Fragen zur Wissenschaft und dessen Zweck aufwirft, sowie dem ständigen Vater-Sohn Konflikt, der aus unterschiedlichen Motivationen und Sichtweisen herrührt und dem damit zusammenhängenden Loyalitätskonflikt des Protagonisten, ist Otomo ein absolutes Meisterwerk gelungen, aber eben nur für die erste Hälfte.
Denn ab einem gewissen Zeitpunkt verliert STEAMBOY irgendwie den Faden. Keine Grauzonen mehr, keine vielschichtige Story mehr, kein intensiver Familienkonflikt mehr und eigentlich nur noch ein typischer Gut gegen Böse Kampf, dessen bombastischen Action Szenen aber immer noch viel hergeben. Trotzdem ist es ärgerlich, dass ab der zweiten Hälfte wohl nur darauf geachtet wird, eine extraklasse Optik sowie Action zu bieten, anstatt sich weiter um die Geschichte zu kümmern, dessen Potential man zuvor viel zu schnell verschossen hat. Das Ärgerlichste ist jedoch, dass der Protagonist Ray Steam ab der zweiten Hälfte nur den typischen "Superhelden" gibt. Wo er in der ersten Hälfte ständig zwischen Vater und Großvater hin und hergerissen und permanent der Situation ausgesetzt war, die Wahrheit für sich selbst zu finden, ist in der zweiten Hälfte nicht viel davon übrig. Er ist der Superhero, der "Steamboy", der alle und jeden rettet und sich keine Gedanken mehr darüber macht, wem er nun folgen soll und welche Sichtweise zur Wissenschaft nun die richtige ist, bzw. ob es überhaupt diese eine richtige gibt.
Am Ende ist es wirklich unfassbar schade, dass Otomo und seiner Crew inhaltlich die Puste ausgegangen ist und so unglaublich viel Potential so unglaublich leichtfertig verspielt wurde, denn optisch ist es, wie schon Jahre zuvor AKIRA, ein absoluter Ausnahmevertreter im Anime Bereich.