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Es gibt wenige Filme, denen man schon in der ersten Szene den Charakter ansieht, der für die gesamte Laufzeit bestimmend bleiben wird, und dessen viel sagender Titel - der ausnahmsweise wörtlich ins Deutsche übersetzt wurde - zusätzlich die Thematik bereichert.

Vielleicht lag das auch an dem Team, dass hier auf Grund des frühen Todes von Regisseur Antonio Pietrangeli zum letzten Mal zusammenarbeitete, und nach einer Vielzahl teilweise hervorragender Filme (unter anderen "Adua e le compagne", "La visita") mit "Ich habe sie gut gekannt" einen abschließenden Höhepunkt erzielte. Wie bei fast allen Filmen Pietrangelis seit den 50er Jahren ("Amore di mezzo secolo") hatte er zusammen mit Ettore Scola und, wie in diesem Fall auch, Ruggero Maccari das Drehbuch geschrieben. Auch wenn Scolas zehn Jahre später entstandener Film "Brutti, sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, Hässlichen und Gemeinen) an Fatalismus und Pessimismus nur schwer zu überbieten war, deuteten seine gemeinsam mit Pietrangeli entworfenen Filme diese Haltung schon an, gaben aber dem Geist der Komödie noch etwas mehr Gewicht.

Dieser komödiantische Geist entsprang dem Neorealismus, an dem Pietrangeli in seinen Lehrjahren intensiv mitgearbeitet hatte. Der daraus entstandene Humor, mit denen die Verhältnisse in ihrer Realität rigoros geschildert wurden, hatte sich in den 50er Jahren den Ruf verdient, nicht weniger dezidiert den Finger in die Wunde zu legen, als es die ernsteren Werke taten. Durch die Leichtigkeit, mit der teilweise unerträgliche Zustände geschildert wurden, war man erst in der Lage diese zu betrachten. Pietrangeli hatte sich zudem als Frauen - Regisseur einen sehr guten Ruf erarbeitet, denn das weibliche Geschlecht stand bei seinen Filmen eindeutig im Mittelpunkt. Da es sich bei seinen Darstellerinnen ausnahmslos um schöne Frauen handelte, deren Aussehen nicht unwesentlich für die Inszenierung genutzt wurde, läge der Verdacht nahe, dass eine kritische Story nur dazu herhalten musste, um eine Frau doch als Objekt zu präsentieren. Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall.

Stefania Sandrelli, damals erst knapp 20 Jahre alt, spielte die Adriana so natürlich, das jeder voyeuristische Abstand unmittelbar verloren geht. Ähnliches gilt für die Story, die sich trotz aller Authentizität optimistisch entwickelt, die kleinen Momente der Tragik sehr sparsam und in ihrer Dramatik nachvollziehbar setzt, und daraus eine ganz persönliche Geschichte entstehen lässt. Pietrangeli stellt keine zwingenden Zusammenhänge her und verzichtet auch auf besonders üble Zeitgenossen. Natürlich handeln Viele egoistisch und rücksichtslos – ganz auf den eigenen Vorteil bedacht - aber immer in einer für ihre Situation nachvollziehbaren Weise. Letztlich – wenn auch sehr viel sympathischer in ihrer Passivität – will Adriana selbst nichts anderes erreichen.

Entscheidend für die Wirkung des Films, basierend auf dem Respekt vor der Hauptfigur, ist die Individualität und damit Tiefe in der Charaktergestaltung. Adriana ist zwar ein hübsches Mädchen vom Land und möchte in Rom ein Filmstar werden – äußerlich entspricht sie damit einem bis heute gültigen Klischee – aber Pietrangeli und Scola beschreiben den Menschen hinter dieser Fassade. Alles, das Adriana widerfährt, könnte jederzeit einer jungen Frau in ihrer Situation passieren, aber es könnte auch ganz anders ausgehen. Parallel zu den Mechanismen des Show-Business, die sich vor allem in einer kurzen Szene mit einem großartigen Ugo Tognazzi als alterndem Darsteller offenbaren, setzt der Film aus schnell erzählten Episoden ein Puzzle zusammen, dass zunehmend ein klareres Bild der Adriana vermittelt.

Dabei kommt es zu anrührenden Episoden, etwa als Adriana im schicken Kleid nach Jahren überraschend bei ihren Eltern auf deren Bauernhof bei Pistoia auftaucht. Erst reagiert die Mutter gewohnt kritisch. Noch während der Vater das zu relativieren versucht, legt sie ihrer Tochter eine Jacke über die schmalen Schultern, nicht ohne damit eine Kritik an ihrer „Stadtkleidung“ zu verbinden. Gleichzeitig birgt diese Szene große Zärtlichkeit in sich, die weit von üblichen Klischees über eine harte Kindheit und damit erzwungener Landflucht entfernt ist. Der Film leugnet nicht die Armut, in der Adriana aufgewachsen ist, aber er verdeutlicht auch, dass sie eine Wahl hatte.

Das gilt auch für ihre vielen Männergeschichten. Während sie sich in einen Angeber (Jean-Claude Brialy) verliebt, der sie in einem Hotel, ohne die Rechnung zu bezahlen, mit einer gestohlenen Kette (wie sich später herausstellt) sitzen lässt, verschafft sie in einer der schönsten Szenen des Films, als sie nach einer Box - Veranstaltung, bei der sie in der Pause als Model auftrat, den zuvor unterlegenen Boxer (Mario Adorf) kennen lernt, diesem nur mit ihrer Aufmerksamkeit und einem Abschiedskuss einen Moment des Glücks. Es begegnen ihr noch viele Männer (darunter der junge Franco Nero), aber nie haben diese Beziehungen genug Gewicht, um etwas zu verändern. Selbst ihre Abtreibung, zu der sie ihre Förderin (Karin Dor) in Rom überredet, verkommt so zu einer Fußnote, die der Film quasi nebenbei abhandelt. „Ich habe sie gut gekannt“ enthält sich jeder Bewertung und vermeidet Schuldzuweisungen, womit erst die äußerlichen Regeln, denen sich sämtliche Beteiligte – egal ob als Haupt-, Neben- oder Verliererfigur – unterwerfen, offensichtlich werden.

Adriana selbst wirkt in ihrem unreflektierten, meist passiven Verhalten prototypisch, aber gleichzeitig ist sie in ihrer direkten, fast naiven Art sehr liebenswert. Nicht nur die Vielzahl von Tanzveranstaltungen, Kinobesuchen oder Partys erzeugen ein stimmiges Bild der 60er Jahre, auch die Musik, die mal im Hintergrund, mal ganz konkret als aufgelegte Schallplatte, eine Vielzahl zeitgenössischer Schlager spielt, vermittelt ein authentisches Lebensgefühl der damaligen Jugend. Und in der konkreten Musikauswahl auch vom Charakter Adrianas.

Besonders aussagekräftig ist die für den Film geschriebene Musik, die auch die erste Szene untermalt und immer wieder anklingt – sie hat viel von einer fröhlichen, schlagerartigen Musik, aber man spürt schon die Melancholie. Es ist wie der Strand bei Rom, an dem die schöne Adriana liegt – sonnig, heller Sand, aber überall liegt Müll herum. Und es ist wie der Weg, den sie vom Strand in die nahe gelegene Stadt nimmt – fröhlich lässt sie sich das Bikini-Oberteil von einem älteren Mann, der an der Straße sitzt, schließen, ein anderer spendet ihr aus einem Wasserschlauch einen kühlen Strahl, bis sie auf ihren hohen Absätzen den Friseurladen erreicht, wo sie zuerst eine mürrische Kundin bedienen muss und später vom Besitzer ganz selbstverständlich belästigt wird.

Der Titel „Ich habe sie gut gekannt“ spricht aus der Sicht des Außenstehenden, der glaubt, eine junge Frau wie Adriana zu kennen, und letztlich meint Pietrangeli damit uns, die Betrachter des Films. Er entwirft hier ein abwechslungsreiches Kaleidoskop, das seinen Unterhaltungswert durchgehend hoch hält, und die Geschichte einer leicht naiven jungen Frau vom Land erzählt, die unbedingt ein Star werden will. Mit allen schönen und schlechten Seiten, die eine solche Zielsetzung mit sich bringt. "Nichts dramatisches, irgendwie auch selbst verschuldet und in der Logik der Entwicklung nicht wirklich überraschend ".

„Ich habe sie gut gekannt“ - selten hat eine Aussage weniger gestimmt, die gleichzeitig in ihrer Generalistik die Ursache einer Entwicklung betont, die sich auf jedes Leben übertragen lässt - gleich in welche Richtung es driftet (10/10).

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