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Wenn man im Filmlexikon "Underground" nachschlagen möchte, so wird man fortan dort wohl als exemplarisches Beispiel "Pig" lesen können. "Pig" ist mehr Underground als alles zuvor. Gleich vorweg: "Pig" ist schwer zu schauen und fast unmöglich zu verstehen - zumindest im traditionellen Sinne. "Pig" sieht so aus, als hätten Richard Kern und Nick Zedd zeitgleich ein Remake von "Begotten" und "Schramm" gedreht. Aber doch waren es die filmisch eher unbescholtenen Rozz Williams und Nico B.

Wagt man einen groben Umriss dessen, was man auf dem Bildschirm zu sehen bekommt, dann wird man es als Geschichte eines Killers beschreiben, der sein Gesicht hinter einer Schweinemaske versteckt, ein ebenso gesichtsloses, unter Bandagen verstecktes Opfer irgendwo in der Wüste aufgabelt. Der Killer bringt sein Opfer in ein Haus, wo er mit der Folter beginnt - anscheinend inspiriert von einem bizarren Zauberbuch namens "Why God Permits Evil".

Der Höhepunkt der wilden schwarzweißen, auf grobkörnigem und verschmutzten 16mm-Material gedrehten Tortur sind jene Schockszenen, in denen dem Akteur James Hollan das Wort "Pig" mit einem Rasiermesser auf die Brust geritzt, und ein amateurhaftes Genitalpiercing gesetzt wird. Da die groben, verwackelten Bilder keinen Zweifel an der Authenzität der gezeigten Schockbilder lassen, wird eine Grenze in diesem Underground-Flick überschritten, die sonst nur im pornographischen Sadomaso-Bereich links liegen gelassen wird. Diese Szenen dürften die sein, die am härtesten zu verdauen sind. Aber es sind auch die einzigen Szenen, die nicht jene bedrohliche, abgefahren-kaputte Atmosphäre bieten, sondern die sich selber auf die eigene "Gross-Out"-Attitüde der beiden Darsteller reduzieren, und somit für wenige Minuten nur eine bessere Jahrmarkts-Freak-Show sind, als wirklicher Horrorfilm.

Konzipiert als Versuch in eigene dunkle Fantasien abzutauchen, änderte Rockmusiker Williams ("Christian Death") den Kurs seines Kurzfilmes, und machte daraus einen detaillierten Tauchgang in die wirren Tiefen einer Killer-Psyche. Ohne verständlichen Dialog und ohne klar strukturierten Soundtrack und mit einem Schnitt, der jegliche Verbindung zur Realität aufhebt und verneint, schuf er ein abstraktes, avantgardistisches, surreales Werk voller Bosheit und Hass. Dass dieser Film, der mit dem Thema eines durch einen Killer kalkulierten Todes spielt, kurz vor dem Selbstmord der Gothic-Rock-Ikone Williams fertiggestellt wurde, mag kein Zufall sein. Für viele Verfolger der Karriere des Rozz Williams dürfte "Pig" eine seiner, trotz der ständigen Abstraktion der Bilder, persönlichsten Arbeiten sein.

Wenn man von den platten Schocksequenzen absieht, hat man mit "Pig" ein diabolisches Filmfragment. Verstörend, böse und brutal. Der Kurzfilm funktioniert genauso als subjektive Beschreibung des verständnislosen Killer-Daseins, als auch als Testament für Rozz Williams.

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