Review


           Die geriatrische Revolution - (oder: Ein Plotspaziergang als Reaktion auf einen reaktionären Film)



Hand aufs Herz: Wer hat sich noch nie über sinnlos randalierende Jugendliche geärgert? Über junge Menschen, die versuchen, ihre mangelnden Ausdrucksmöglichkeiten, emotionalen Konflikte und die ihnen unzureichend Zuteil werdende Aufmerksamkeit der Erwachsenenwelt mit Vandalismus zu kompensieren? Eine eingeworfene Scheibe, ein zerbröselter Tongartenzwerg, ein neues Graffiti an der Garage des Nachbarn, das auch ohne detektivisches Gespür im Bruchteil einer Sekunde verrät, dass der Künstler erstens nie sein Geld mit Kunst verdienen und zweitens im Fach Deutsch eher am Rad drehen, als es neu erfinden wird? Und ist nicht ein jeder schon das Opfer von Klingelstreichen oder Telefonscherzen geworden? Die Liste der Missetaten unserer aus den Fugen geratenen Jugend ist endlos.

Die Reaktion der Meisten auf solches Fehlverhalten ist resignative Ohnmacht. Man könne ja sowieso nichts tun, heißt es da oft. Besonders tolerante Zeitgenossen meinen gar, solches Betragen gehöre zum Erwachsenwerden. Wie dem auch sei. Einen Mann gibt es jedenfalls, der solches Verhalten nicht dulden, der sich wehren würde. Der der Jugend zeigt, wo der Vorschlaghammer hängt. Paul Kersey - alias Charles Bronson.
Zugegeben, die von ihm ins Visier genommenen, fröhlich vor sich hin pubertierenden Zielscheiben benehmen sich ungleich schlimmer als alles, was man sonst so aus dem Alltag kennt. Sie stehlen. Sie vergewaltigen. Und sie morden aus purer Lust. Und da Paul Kersey Gesetzesübertretungen auf den Tod nicht leiden kann, es sei denn er begeht sie selbst, räumt er im Augiasstall New Yorks auf.

„Death Wish", zu Deutsch „Ein Mann sieht rot", geht Anno Domini 1985 in die inzwischen dritte Runde. Der Brite Michael Winner gab 1974 den Startschuss für eine von Fans geliebte, vom Feuilleton mitunter heftig kritisierte Filmreihe, indem er den zwei Jahre zuvor erschienenen Brian Garfield Roman „Death Wish" verfilmte und damit eine Diskussion über ausuferndes Verbrechen in amerikanischen Großstädten und die Berechtigung von Selbstjustiz lostrat. Der Film wurde bei einem Budget von gerade einmal drei Millionen Dollar mit einem weltweiten Einspielergebnis von 22 Millionen Dollar zu einem Erfolg, der unter anderem den Namen Charles Bronson in den USA erst bekannt, wenn auch nicht hoffähig machte. Vier Fortsetzungen sollten folgen, die, an objektiven Maßstäben gemessen, nie mehr die Qualität des ersten Teils erreichen sollten.

Doch wie wir inzwischen wissen, sind inszenatorische Tiefflüge (oder Tauchgänge) überhaupt gar kein Hinderungsgrund, nicht doch einen äußerst unterhaltsamen Abend in aufgeklärter Runde zu verleben. Gerade der erhöhte Actionanteil der Fortsetzungen und die später in unfreiwillige Komik abdriftenden Amokläufe Paul Kerseys bieten die Möglichkeit, sich an bisweilen herrlich realitätsverlorenem Unsinn zu erfreuen. Zumindest sofern man keine ideologischen Abgründe zu überwinden hat und außerdem das womöglich ernst Gemeinte nicht so ganz ernst nimmt. Nähert man sich Bronsons Selbstjustiz-Reißern also ganz vorsichtig und mit ganz viel schlechtem Gewissen auf diese Weise, dann wartet da eine Menge Gaudi. Außerdem schuf dann Michael Winner mit „Death Wish 3 - Der Rächer von New York" sozusagen den Höhepunkt der Reihe (Wobei man diese mutige These besser nicht mit einem Sozialpädagogen diskutiert).

Und los geht's. Der Streifen beginnt standesgemäß mit der Exposition des Helden, der am Ort des Geschehens (mit dem Auto) eintrifft - unterlegt mit lieblosem 80er-Gedudel aus der Retorte. Paul Kersey ist zurück in New York, der Stadt, die er einst nach dem von ihm angerichteten Blutbad verlassen musste. Doch kaum betritt er den Big Apple, wird er schon Zeuge der ersten niederträchtigen Gemeinheit. Sein alter Kamerad aus Koreakriegstagen wurde kurz zuvor grundlos von kitschig aussehenden Punks in den eigenen vier Wänden brutal attackiert. Ein schwacher Trost - er stirbt zumindest in den Armen seines Kumpels Paul. Die Polizei, die natürlich zu spät am Tatort eintrifft, verhaftet Kersey als mutmaßlichen Mörder des tot auf dem Boden liegenden und ganz offensichtlich nicht von ihm ermordeten alten Mannes.

Kaum sitzt Kersey - der hier so dreinblickt, als könne er kein Wässerchen trüben - im Kittchen, lernt er auch schon den Spitzbuben des Films kennen: den Gang-Anführer Manny Fraker (Gavan O'Herlihy), der für sein albernes Fantasiepunkoutfit eigentlich viel zu alt ist. Jedenfalls dauert es nur ein paar Minuten in der gemeinsamen Zelle, bis die beiden Todfeinde sind. Dass Manny, wie sich herausstellt, der Boss derselben Rasselbande ist, die sich im Stadtteil für die Belästigung der alten Herrschaften zuständig fühlt, trifft sich in filmzeitökonomischer Hinsicht ganz hervorragend.

Binnen Kurzem wird für den verlotterten Ober-Punker Kaution von dessen Anwalt gestellt (hier wird zum ersten Mal die Plausibilität der Story etwas strapaziert), und er darf den Knast verlassen. Während also Feuermeldervisage Manny von den zuständigen Polizisten rausgeführt wird, schwört er noch, bis zu den Abendnachrichten eine alte Dame zu töten - was im wahren Leben vermutlich selbst für einen Gehörlosen verdächtig klänge und sicher ein triftiger Grund für echte Beamte wäre, so einen potentiell gefährlichen Zeitgenossen eher doch nicht auf die Straße zu entlassen. Nicht jedoch für die manisch überforderten Gesetzesverhüter in diesem Film. Die lassen den offensichtlich Allerschlimmstes im Schilde führenden Paradiesvogel (alle Mitglieder der Gang tragen so etwas Ähnliches wie Kriegsbemalung) achselzuckend seiner Wege gehen. Leben und leben lassen, oder so.
Und was die augenblickliche Situation unseres Helden Paul Kersey angeht, so wäre die doch relativ hohe Wahrscheinlichkeit, einen auf Rache sinnenden Psychopathen vor der Tür wiederzutreffen, für einen normal denkenden Menschen nicht nur ein überaus beunruhigender Gedanke, sondern womöglich gar ein Grund, bei nächster Gelegenheit aus dem Viertel zu schleichen. Doch nicht für Großpapa Kersey, der Mannys Morddrohungen mit schläfriger Langeweile quittiert.

Recht so, denn auch der routinierte Actionfreund weiß, hier droht keine Gefahr. Klar, das ein oder andere Familienmitglied Kerseys wird im Jordan tauchen gehen und der ein oder andere alte Kriegskamerad aus seiner Plattenbauwohnung in die ewigen Jagdgründe umziehen, aber Charles Bronson wird nach dem nun heraufziehenden reinigenden Gewitter der Last Grandpa Standing sein. Ein unverwundbarer Wiederhersteller der Gerechtigkeit in der Brandung des abgrundtief Bösen. Und genau so muss das sein. Oft gehörte Kritik von oberschlauen Zeitgenossen an solchen Filmen, die bemängeln, dass das Gezeigte nicht sehr realistisch sei, geht jämmerlich ins Leere. Man stelle sich einen (der Realität näheren) Film vor, der völlig überraschend nach dreizehn Minuten damit endet, dass der Held beim gedankenverlorenen Nasebohren vor dem Schaufenster eines Dessous-Ladens von einem Kaugummi kauenden Scharfschützen erschossen wird. Solch einen Ausflug ins womöglich wahre Leben fände der Genreliebhaber schwerlich unterhaltsam. Denn der will nicht die triste Wirklichkeit. Er will Theater. Und davon gibt es in der Folge eine ganze Menge.

In der nächsten Szene sitzt Paul Kersey im Büro des einzigen halbwegs fähigen Menschen bei der Polizei, dem Lieutenant Richard Shriker (Ed Lauter). Einem Beamten, der versteht, dass die Stadt langsam vor den Wuffi geht. Nachdem Shriker ohne ersichtlichen Grund seinen vor sich im Stuhl sitzenden Gesprächspartner zur Begrüßung mit Faustschlägen traktiert hat, kommt der Kommissar in der nächsten Sekunde (aus dem heiteren Himmel) doch zur Besinnung und auf die Idee, dass er den alten Mann mit blutiger Vergangenheit noch gebrauchen kann. Und zwar zum Reinemachen in der Stadt, das er aus rechtlichen Gründen leider selbst nicht in Angriff nehmen darf. „Tun Sie was Sie für richtig halten, aber melden Sie sich regelmäßig." Mit diesem Freibrief in der Tasche geht Kersey nun quietschvergnügt daran, jeden Raufbold im Viertel zu erschießen.

Bevor der erfahrene Vigilant sichtlich entspannt das Polizeirevier verlässt, lernt er noch kurz seine spätere Liebschaft kennen (Deborah Raffin), die von Beruf Pflichtverteidigerin und außerdem - im Film völlig unkommentiert - über dreißig Jahre jünger ist als er. Aber wen wundert es, dass eine echte Kanone wie der 64-jährige Charles Bronson einen Schlag bei scharfen Miezen hat? Zumindest keinen Krachfilmfreund. Er könnte sogar noch ein bisschen älter sein und noch ein bisschen zerzauster rumlaufen - die Biene fliegt ihm vor die Flinte.

Als Kersey schließlich an die frische Luft hinaustritt, erfährt der Zuschauer, wie dringend Not es tut, dass der Rächer wieder in der Stadt ist. Keine drei Schritte nach dem Verlassen der Wache eröffnet sich ihm ein wahres Tollhaus an Gesetzlosigkeit. Wirklich jeder beklaut wirklich jeden auf offener Straße (die Plausibilität der Story ist ab dieser Szene überstrapaziert). Da geschehen gefühlt dreißig Straftaten gleichzeitig. Und kein Polizist weit und breit. Macht aber nichts, denn während Kersey zu West-Side-Story-Klängen unbeeindruckt durch die Verbrechensapokalypse schlendert, wird klar, dass das sinnbefreite Treiben um ihn herum bald ein Ende haben wird. Eine leichte Vorfreude schleicht sich schon ins Gesicht des Spaziergängers - und des Actionfilmfans.

Kersey bezieht inzwischen Stellung in der inzwischen ja unbewohnten Wohnung seines ermordeten Kumpels, wo er es sich zwischen Kriegs-Spolien, Panzermodellen und US-Flaggen gemütlich macht - während es unten auf der Straße zugeht wie auf dem Ballermann. Zeitgleich muss der ältere jüdische Nachbar, mit dem sich Kersey auf Anhieb gut versteht, der Polizei seine Waffe aushändigen und damit die einzige Möglichkeit abgeben, sich zur Wehr zu setzen. Er hatte die Punks damit unerlaubter Weise daran gehindert, sein Zuhause abzufackeln. Auch diese wunderliche Szene unterstreicht unterhaltsam plakativ die Unfähigkeit der Polizei und damit die Notwendigkeit der bald heraufziehenden Selbstjustizorgie.

Neben den sympathischen jüdischen Leuten nebenan sind als weitere Minderheiten ein junges Latinopärchen sowie eine Reihe in die Jahre gekommener Senioren Bewohner des vom Mob offenbar dauerbelagerten Wohnhauses. Ohne unnötigen Zeitverzug lernt der Zuschauer in den folgenden zwei Minuten - musikalisch untermalt mit dem Soundtrack eines 70er Jahre Erotikfilms - diese schablonenhafte Schicksalsgemeinschaft kurz ein wenig kennen. Das sind sie, die Menschen, die den Schutz eines Helden benötigen. Und nicht nur einmal wird er ohne zu zögern und ohne mit der Wimper zu zucken für sie eintreten, während viele andere abtreten.

Kersey nutzt die nächsten Tage, um seine Falle zu spannen. Er kauft ein Auto, das er neben einer Kamera als Köder benutzt und bestellt eine übergroße Handfeuerwaffe. Die wird später zwar durch schon in den Wohnzimmerschränken der Nachbarschaft bereitliegende Maschinengewehre ersetzt, die die alten Scherzkekse aus dem Krieg mitgebracht haben, und außerdem kommt noch ein über den Postweg (!) bestellter Raketenwerfer zum Einsatz. Doch wissen wir spätestens mit der von Kersey georderten 475 Wildey Magnum - einer Waffe zur Großwildjagd -, dass der Spaß der Spinner unten auf der Straße nicht länger ein ungetrübter sein wird. Wir brauchen nur noch eine Initialzündung. Einen Mord von Sarajevo. Und den liefern die Punks wie bestellt.

Die nette mexikanischstämmige Nachbarin Maria (Marina Sirtis) wird eines Nachts von Mitgliedern der lächerlich kostümierten Straßengang vergewaltigt und stirbt wenig später im Krankenhaus an den erlittenen Verletzungen. Während ihr Gatte als Reaktion darauf - politisch korrekt - eine Art Schrein mit allerlei christlichen Devotionalien auftürmt, ist für Kersey - politisch unkorrekt - Schluss mit lustig. Er nutzt nur kurze Zeit später seinen neuen Wagen und den Fotoapparat, um Diebe anzulocken, die er dann unter dem Beifall der Anwohner am hellichten Tag erschießt. „Wenn Sie die Kakerlaken ausrotten wollen, müssen sie alle töten", empfiehlt er und geht fröhlich feixend auf Amoklauf. Unter dem Schulterklopfen der Rentner des Viertels ballert er in der Folge mehreren Latexindianern die Lampen aus, bis, wie sollte es dramaturgisch anders kommen, der Gegner zum Gegenschlag ausholt.

Und wieder einmal rächt es sich, eine intime Beziehung mit dem Rächer von New York zu unterhalten. Die inzwischen völlig in Kersey verschossene, dreißig Jahre jüngere hübsche Pflichtverteidigerin wird vom Oberbösewicht nach einem Date mit Paul bewusstlos geschlagen und mitsamt ihrem Wagen auf eine befahrene Kreuzung geschubst. Der dabei angerichtete Blechschaden lässt das Auto genreüblich wie eine Bombe explodieren. Das hätten die Spitzbuben natürlich lieber nicht getan, denn nun holen die Rentner ihre verstaubten Schnellfeuerwaffen aus der Kommode und schießen auf alles, was nicht über 50 ist. Kersey, der den Tod seiner neuen Freundin offenbar relativ schnell verwunden hat, wird zwar von Shriker unter Schutzhaft genommen, doch gelingt es ihm, aus dem Krankenhaus zu entkommen. Er gesellt sich zu den bereits aus allen Rohren feuernden Pensionären und läutet endlich das Jüngste Gericht im Viertel ein (Die Plausibilität der Story ist an dieser Stelle des Films gerissen).

Bei aller Liebe zum Protokoll kann sich Lieutenant Shriker eine solche Sause dann doch nicht entgehen lassen und mischt kurzentschlossen mit. Seite an Seite mit Kersey spazieren oder joggen die beiden gemächlich durchs Viertel, das inzwischen einem Kriegsgebiet gleicht und mähen alles nieder, was blöde genug ist, den zwei in die Quere zu kommen. Wie im Actionfilm üblich, warten die im Sekundentakt abgefertigten menschlichen Tontauben vor ihrem Kopfsprung auf die Straße so lange dekorativ an Fenstern oder auf Dächern, bis sie im Vorbeigehen von den beiden älteren Herren abserviert werden können. Gut auch, dass die Gegner sich allesamt rote Streifen auf die Stirn gemalt haben, denn so kann Kersey die Schufte auch ohne Brille schon von weitem von den Guten unterscheiden. Ein Glück und überlebenswichtig für die vielen dazwischen wuselnden Unbeteiligten!

Standesgemäß dauert es etwas länger, den Oberbösewicht zu erledigen. Der wird zwar angeschossen, doch trägt er, schlauer als er aussieht, eine kugelsichere Weste. Hier muss Paul Kersey wohl doch andere Mittel anwenden und greift zur schon bereit liegenden Panzerfaust. Damit gelingt es ihm malerisch, den Punkerhäuptling endgültig zu zerlegen. Nachdem die noch nicht erschossenen Mitglieder der Gang die auf die Straße geschleuderte Leiche ihres zerrupften Anführers sehen, stellen sie den Kampf ein, suchen das Weite und überlassen den jubelnden Rentnern das Viertel. Shriker sagt Kersey Lebwohl und lässt ihn laufen, unter der Auflage, die Stadt zu verlassen.

Die Unterwelt von Los Angeles kann also ihr Testament machen, denn dahin wird der Rächer in Teil 4 der Reihe - wie schon in Teil 2 - vorübergehend umziehen. Jedenfalls so lange, bis auch da alle knietief im Blut waten. Ist die Welt nicht einfach schön? Schön einfach?

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