„Den Lumpen find‘ ich!“
Wäre die erst im Jahre 1974 erstausgestrahlte Episode „3:0 für Veigl“ wie ursprünglich geplant bereits 1972 gesendet worden, wäre „Weißblaue Turnschuhe“ von Regisseur Wolf Dietrich („Luftkreuz Südost“) der dritte Fall des Münchner Oberinspektors Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) geworden. So aber avancierte sie zu seiner Episode, geschrieben von Herbert Rosendorfer und Niklas Frank. Dietrich debütierte mit dieser Arbeit innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe, drei weitere Inszenierungen folgten zwischen 1978 und 1980. Die Erstausstrahlung flimmerte am 24. Juni 1973 über die Bildschirme.
„Keine Diskussion – so gut wie gelöst!“
Eine ältere Dame wird am hellichten Tage während eines Friedhofsbesuchs die Handtasche gestohlen. Der rücksichtslose Täter entkommt weitestgehend unerkannt mit seiner kargen Beute, lediglich an seine Turnschuhe in den Landesfarben erinnert sich das Opfer. Veigl kommt dem Täter, dem obdachlosen Tunichtgut Franz Sondermeier (Karl Obermayr, „Eros-Center Hamburg“), rasch auf die Schliche – und findet Schmuck bei ihm, der nicht der Seniorin gehörte. Anschließend tritt Veigl zusammen mit seinem Saarbrücker Kollegen Kommissar Liersdahl (Dieter Eppler) seinen Urlaub am Chiemsee an, wo Liersdahl aus einem Zeitungsartikel über einen Einbruch zitiert. Veigl vermutet, dass dieser etwas mit dem Schmuck zu tun hat, unterbricht seinen Urlaub und sucht den Hof der Einbruchsopfer auf. Dieser wurde mittlerweile an einen Herrn Schilling (Nikolaus Schilling, „Pippi in Taka-Tuka-Land“) veräußert, der ihn jedoch nicht bewohnt. Es gelingt Veigl, Sondermeier auch dieser Tat zu überführen. Oberwachtmeister Lenz (Helmut Fischer) macht derweil den einschlägig vorbestraften Schilling ausfindig, der sich verdächtig verhält. Möglicherweise hat dieser etwas mit der bisher unaufgeklärten Entführung des Millionärs Schneck (Ulrich Beiger, „Die Klosterschülerinnen“) zu tun, und es scheint mit einem Herrn Zimmermann (Edd Stavjanik, „2 Girls vom roten Stern“) einen in Buenos Aires lebenden Hintermann zu geben. Führt diese Verkettung von Zufällen endlich zur Überführung der Schneck-Entführer…?
„Ich ess‘ jetzt noch ein Sardellenbrot!“
Wie in „3:0 für Veigl“ beginnt die Handlung bereits, während noch die Vorspannmusik läuft. Die gezeigte Entführung entpuppt sich als Lehrfilm, der die Schneck-Entführung nachstellt und den Veigl gerade vor auffallend tumben Polizisten zeigt. Der anschließende Handtaschendiebstahl findet jedoch in der filmischen Gegenwart statt, und wieder erklingt die Vorspannmelodie, wird gar der Vorspann fortgesetzt, wenn auch nur kurz. Kapriziös, was man sich in München erlaubte. Offenbar konnte man sich seinerzeit mit dem einfachen Konzept, den Vorspann zu zeigen und anschließend die Handlung ablaufen zu lassen, in Bayern partout nicht anfreunden – weshalb auch immer.
„Do legst di nieder…“
Das aufgelöste 83-jährige Diebstahlsopfer wird bei der Polizei vorstellig und bringt alles Weitere dank ihrer Erinnerung an die Turnschuhe des Täters ins Rollen. Ironischerweise hätte Lenz viel lieber im Fall Schneck weiterermittelt, statt Strauchdieben nachzustellen – ahnt er doch nicht, dass genau dieses Angeln nach einem kleinen Fisch später zum großen Karpfen führen wird. Nachdem Schilling in die Handlung eingeführt wurde, wird dessen Treiben parallel zur Polizeiarbeit gezeigt, wodurch dem Publikum ein Wissensvorsprung gewährt wird. Auch Zimmermann kommt ins Spiel, vor dem Schilling ganz klein mit Hut wird: Er hat Angst vor ihm.
Am Schluss kommt ein wenig Action ins Spiel und Lenz übertrumpft gar seinen Vorgesetzten Veigl. Letzterer agiert nach seinem drömeligen Einstand in „Münchner Kindl“ nichtsdestotrotz aufgeweckt, autoritär und resolut sowie mit guter Kombinationsgabe, nun also ganz wie ein echter Fernsehbulle. Seine Dialoge mit Lenz und die Kabbeleien mit dem (siegreichen) Kriminalwachtmeister Brettschneider (Willy Harlander) sind humorgespickt und er trinkt gern Schnaps und Bier. Fast alle für diesen Fall erdachten Rollen sind gut konstruierte und ebenso gespielte Typen, denen man gern 77 Minuten lang folgt, auf eine Leiche wird jedoch erneut verzichtet: Wie in Veigls Debüt gibt es weder Mord noch Totschlag. Damit ist der in einem kalten April spielende Fall harmlos, aber unterhaltsam und sein Humor sympathisch, „Kommissar Zufall“ jedoch ebenso wie der nördlich des Weißwurstäquators mitunter Verständnisprobleme bereitende Dialekt allgegenwärtig.
Der „Tatort: Weißblaue Turnschuhe“ pendelt sich in etwa auf dem Niveau heutiger Vorabendserien ein, was nicht despektierlich gemeint ist. Veigl und seinem Dackel sei die im Abspann gezeigte Fortsetzung des Urlaubs gegönnt.