`Cruising` ist ein gängiger Ausdruck in der amerikanischen und internationalen Schwulenszene für die einvernehmliche, szeneninterne Suche nach einem gleich geneigten Sexualpartner, eventuell auch für diverse Fetisch- oder Rollenspiele. Oft findet Cruising statt auf öffentlichen Plätzen wie Stadtparks oder Parkplätzen und natürlich in homosexuellen Clubs, Saunen etc. Diese Praxis (an der sich längst nicht alle Homosexuellen beteiligen) wird nicht selten geächtet, vor allem Aufgrund der angeblichen Nachlässigkeit beim Schutz vor Krankheiten. So entstanden diverse Vorurteile über Schwule als Brandherde der weltweiten AIDS-Epidemie. Genau vor dem Boom des AIDS-Virus in den Medien und damit auch in den Köpfen der Menschen herrschte eine kollektive Meinung über Homosexuelle vor. Schon vor über zehn Jahren erkämpfte sich die Randgruppe öffentliches Gehör was ihre Rechte betraf, was einen Höhepunkt in den berüchtigten Stonewall-Aufständen 1969 erfuhr. Doch was die Sexualität betraf, obwohl von der Öffentlichkeit toleriert, dieser Aspekt wurde immer noch stiefmütterlich behandelt – im geheimen galten die Schwulen aber gänzlich als dekadent und pervers. Die Entgleisungen, welche im Untergrund stattfanden, die wollte sich ein konservativer Hetero wohl nicht mal vorstellen. Und wenn sich ein Film diese mystische Aura zunutze macht um eine ansprechend verpackte Geschichte zu erzählen, so macht das den Film nicht gleich zum Täter, zum Anstifter zur Homophobie.
Als William Friedkins gleichnamiger Film 1980 erschien, löste er erbittert geführte Diskussionen aus, war überall in den Medien präsent, ein weiterer Skandalfilm war geboren. Doch anders als zum Beispiel „Basic Instinct“ kann „Cruising“ auch heute noch schockieren, hat nur wenig von seiner emotionalen Wucht verloren. Die Handlung ist platziert in der homosexuellen SM-Lederszene und erzählt eine an sich triviale Serienkillergeschichte – doch nicht die Ermittlungen oder das Psychogramm des Täters stehen im Vordergrund, vielmehr ist es die emotionale Entwicklung der Hauptfigur, des undercover ermittelnden Polizisten Steve Burns. Mit Al Pacino hat man einen echten Charakterdarsteller an der Hand, der seine Rolle durchaus ernst nimmt. Karen Allen ist in einer Nebenrolle als dessen Freundin zu sehen und ist der einzig wichtige weibliche Charakter im ganzen Film. Ihre sensible Ausstrahlung reicht trotz verhältnismäßig wenig Screentime aus um den Verfall ihrer Beziehung auszuleuchten und die Chemie zwischen ihr und Pacino stimmt auffallend. Bei genauerem Hinsehen hinterfragt der Film seine eigene Aussage und die oben angeführten Klischees überaus doppelbödig, so das der Handlungsverlauf unberechenbar und aggressiv wirkt.
Langeweile kommt nicht auf, dank der rasanten Inszenierung Friedkins. Wichtiger Faktor ist die drastische Bildsprache, derer sich der Film häufig bedient, seien es die brutalen Morde mit expliziten Details oder derbe sexuelle Anspielungen, bekanntes Beispiel ist hierfür die Fisting-Szene, die den prüden Zuschauer mit harten Sexpraktiken in Underground-Clubs konfrontiert. Doch so bizarr das Gezeigte sein mag, beim Zuschauer soll nicht die Abneigung gegen die hier praktizierte Lebensweise erreicht werden. Dass die Studios dennoch Angst bekamen zeigen die radikalen Kürzungen in der Handlung und die offensichtliche Plakativität mit der das Sujet behandelt wird. Sensibilität steht hinter der Schockwirkung der Bilder, die Spannungskurve ist der schlüssigen Ermittlung untergeordnet und tatsächlich erscheinen einige Details selbstzweckhaft. Doch nur aufgrund dieser explosiven Mischung schafft es Friedkin seinen Film so polarisierend erscheinen zu lassen. All die schlechten Kritiken („Cruising“ genießt die zweifelhafte Ehre erster Preisträger der Goldenen Himbeere zu sein und das in drei Kategorien) demontierten den Erfolg des Films, der heute nur noch als angestaubter Skandalfilm vor sich hin gammelt und einer Neuauflage immer noch entgegen sehnt.
Motiv für die Morde ist offensichtlich die Homophobie seitens des Mörders, entsprungen aus einem Selbsthass. Offensichtlich ist der Killer homosexuell, will es selbst aber nicht wahr haben oder kann nicht damit umgehen. Diese Auslegung wird jedenfalls angedeutet mit dem Leitsatz des Mörders „Du hast mich dazu gezwungen“, einen Kommentar den nur das bereits tote Opfer und der Zuschauer zu hören bekommt. Knackpunkt für die Empörung der Kritiker ist allerdings nicht diese simple Tatsache sondern vielmehr die heteronormative Sicht auf die schwule SM-Szene. Den gesamten Film und seinen Regisseur deshalb aber als homophob abzutun, halte ich für falsch und oberflächlich betrachtet. Friedkin schuf mit dem Kultfilm „The Boys in The Band“ 1970 schließlich einen der allerersten Mainstreamfilme über die homosexuelle Szene. Schon vor Beginn des Films weist eine Texttafel deutlich darauf hin, dass keineswegs eine Diffamierung in der Absicht der Macher steht. Immerhin handelt es sich weder um eine Dokumentation noch um ein umfassendes Portrait der Lederszene, genauso wenig wie „Black Rain“ eine Abhandlung über die Yakuza ist. Dennoch reduziert Friedkin seinen Schauplatz nicht auf bloßen Hintergrund, im Gegenteil: „Cruising“ taucht tief ein in die Szene, viel Recherche und Experteninformationen stehen hinter der optischen Gestaltung und den trockenen Dialogen.
Anlass zur Diskussion bietet nicht zuletzt auch die Wandlung des Hauptcharakters, dessen innerliche Zerrissenheit von Pacino glaubwürdig verkörpert wird, ähnlich wie schon in „Hundstage“. Als er mehr und mehr der Faszination der für ihn völlig neuen Welt erliegt und seine sexuelle Identität ins Schwanken gerät, wird er damit nicht fertig und kanalisiert seine Selbstverleugnung zum Schluss ebenfalls in Gewalt, ganz so wie der Killer und der Kreis schließt sich unversöhnlich und kompromisslos. Die Verdrängung der eigenen Homosexualität kommt auch im Charakter des Streifenpolizisten Di Simone zum tragen, exzellent gespielt von „Maniac“ Joe Spinell. Sein schmieriger Charakter und die gegensätzliche Offenheit bzw. Ehrlichkeit der Schwulen steht eindeutig für die Tatsache, dass „Cruising“ kein in der Intention homophober Film ist. Friedkin zeigt eine große Zahl Männer, die sich ihrer Sexualität bewusst sind und diese mit Leidenschaft ausleben und auch wenn einige Figuren sehr stereotyp erscheinen, so muss man bedenken das diese Extrembilder nun mal zweifellos existieren. Viel wichtiger ist jedoch, dass das Drehbuch keineswegs alle Homosexuellen über einen Kamm schert und den Killer als auch die Hauptfigur als gestört zeigt, nicht andersherum alle anderen.
Fazit: Letztendlich ist „Cruising“ ein formal nahezu perfekt in Szene gesetzter Film mit vielen diskutablen Ansätzen, die nicht alle vollständig ausgebaut werden im Verlauf der Handlung. Doch die intensiven darstellerischen Leistungen garantieren in Kombination mit der unterhaltsamen Machart und dem flotten Soundtrack ein außergewöhnliches Filmerlebniss mit einer suggestiven Atmosphäre, die ihresgleichen sucht.
9,5 / 10