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Was uns Yann Samuel mit „Liebe mich, wenn du dich traust“ abliefert, ist in der Tat so etwas wie der emotionale Overkill. Er lässt Charaktere und auch Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle durchleben, das es nur selten in solch einer nahezu perfekten Form gegeben hat. Doch der Reihe nach…

Julien (Thibault Verhaeghe) und Sophie (Josephine Lebas Joly) sind acht Jahre alt und beste Freunde. Und sie haben ihr ganz eigenes Spiel: Top oder Flop. Einsatz ist immer eine Spieldose, die Julien von seiner im Sterben liegenden Mutter geschenkt bekommen hat: Wer die Dose besitzt, darf dem anderen eine Aufgabe stellen – halt ein ganz normales Kinderspiel, ein „Jeux d’enfants“. Jahre später. Julien (Guillaume Canet) und Sophie (Marion Cotillard) sind mittlerweile erwachsen, und immer noch eng befreundet. Im Laufe der Jahre haben sich zwischen den beiden Gefühle entwickelt, die sie sich als Kinder noch nicht so vorstellen konnten. Doch eines hat sich nicht geändert: Sie spielen noch weiterhin mit Hingabe ihr Spiel, das jedoch im Laufe der Jahre immer abstrusere – ja, fast perversere – Formen angenommen hat. Durch dieses Spiel versuchen sie, die gegenseitigen Gefühle herunterzuspielen. Doch kann das Spiel irgendwann beendet werden, gewinnt schließlich doch die Liebe zwischen beiden ihr „Jeux d’enfants“?

Mit wundervollen, fantasievollen, förmlich poetischen Bildern bannt Yann Samuel eine Geschichte auf Zelluloid, die wahrlich einer Fahrt auf der Achterbahn der Gefühle gleicht. Tragisch, komisch, traurig, fröhlich, romantisch und unmenschlich hart wird die Geschichte zweier Menschen erzählt, die füreinander bestimmt sind, es sich aber über Jahre – ja, Jahrzehnte – nicht gegenseitig eingestehen können.

Das Leben ist: einen Tacho zu haben, der bis 210 geht, aber immer nur 60 zu fahren.

Eine Erkenntnis, die nicht nur Julien betrifft, sondern ein Gedanke, der eigentlich jedem Menschen im Laufe seines Lebens einmal begegnen könnte. Wir haben die Möglichkeit, Vollgas zu geben, doch die Angst, Fehler zu begehen, bringt uns zwangsläufig dazu, ein gemächlicheres Tempo einzuschlagen. Doch dabei ist das Leben viel zu kurz, um permanent mit angezogener Handbremse zu fahren bzw. zu leben. Und so beschließt Julien für sich, die Handbremse zu lösen und den Tacho seines Lebens bis zum Anschlag zu bringen. Und siehe da… was erlebt der gute Julien?

Das reinste Glück, ursprünglich, natürlich, vulkanisch, welche Klasse... Das war besser als alles: Besser als Drogen, besser als Heroin, Dope, Kokain, Crack, Fixen, Joints, Shit, Schuss, Sniffen, Hasch, Ganja, Marihuana, Cannabis, Gras, Löschblatt, Acid, LSD, Ecstasy. Besser als Sex, Fellatio, 69, Swingerparties, Masturbation, Tantra, Kama Sutra. Besser als Nutella auf Kakaobutter und Bananen-Milch-Shake. Besser als alle Trilogien von George Lucas, die Muppet-Show, das Ende von „2001“. Besser als der Hüftschwung von Emma Peel, Marilyn, Schlumpfinchen, Lara Croft, Naomi Campbell und der Leberfleck von Cindy Crawford. Besser als die B-Seite von „Abbey Road“, die Solos von Jimmi Hendrix, Neil Armstrongs Schritt auf dem Mond, der Space-Mountain, das Lied von Weihnachtsmann, das Vermögen von Bill Gates, die Trance des Dalai Lama, Nahtodeserfahrungen, die Auferweckung des Lazarus, all die Testosteronspritzen von Schwarzenegger, das Collagen in den Lippen von Pamela Anderson. Besser als Woodstock und die orgiastischste Raver-Party…

(Fast) genau so könnte man auch meine Reaktion auf diese märchenhafte Liebes-Tragikomödie umschreiben.

Ich war schlichtweg begeistert! Es hat sich auf ein Neues – nach der „Fabelhaften Welt der Amèlie“ – erwiesen, dass es gerade die Franzosen sind, die es am besten verstehen, große Gefühle publikumswirksam auf die Leinwand zu bringen. Und hier sprechen wir ausnahmsweise mal nicht von plumper Romantic Comedy, wie wir sie als Massenware aus der Traumfabrik jenseits des großen Teiches geliefert bekommen, sondern wir sprechen hier in der Tat von einem Film, der sowohl zum Lachen als auch zum Nachdenken anregt. Dabei versteht es Yann Samuel, seinem Publikum diese an wunderschönen Bilder stark angereicherte Liebesgeschichte so abwechslungsreich zu erzählen, dass wirklich in keiner der 90 Minuten Laufzeit Langeweile aufkommt. Es gelingt ihm sogar, dass sich nicht nur die beiden Liebenden gegenseitig mit ihren neckischen Spielen reinlegen, nein: er legt auch immer wieder sein eigenes Publikum mit geschickten Kniffen herein, dass es einem als Zuschauer manchmal sogar entfleuchen mag: „Dieser alte …… , jetzt bin ich schon wieder drauf reingefallen.“

Und gerade in solchen Momenten erkennt man: Drehbuch und filmische Umsetzung harmonieren perfekt. Doch fügen sich die Darsteller auch in die Harmonie ein? Selbstverständlich! Sowohl die beiden Kinderdarsteller zu Beginn des Filmes als auch später die erwachsenen „Exemplare“ von Julien und Sophie spielen ihre Rollen überaus ambitioniert und mit großer Leidenschaft.

„Liebe mich, wenn du dich traust“ ist also ein rundum stimmiger Film von überbordender Emotionalität geworden, der mit bebilderten Metaphern und zitierwürdigen Aussagen nur so um sich wirft. Ein echter Geheimtipp, der wohl jeden, der nicht gerade emotional vollends abgestumpft ist, beeindrucken wird. Für ein schönes, noch viel zu unbekanntes Kino-Juwel aus Frankreich vergebe ich hier liebend gerne 9 von 10 Punkten. Ja, ich hab’ mich getraut! Top!

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