Jodi Hurtz (Starr Andreeff, The Terror Within) hat es vermasselt. Nachdem ihre Ehe gescheitert und die Scheidung vollzogen wurde, sprach das Gericht das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Daniel (Chuck Rhee) ihrem betuchten Ex-Mann zu. Jodi mußte sich mit einem Besuchsrecht begnügen, was ihr zu wenig war, weshalb sie ihren Sohn "entführte" und mit ihm flüchtete. Drei Wochen später wurde sie gefaßt, und nun darf sie Daniel weder sehen noch mit ihm sprechen. Selbst sein heutiger Geburtstag bildet da keine Ausnahme, was Jodi sehr zu schaffen macht. So sehr, daß sie nach ihrem Auftritt - sie schlägt sich als Stripperin in einem billigen Etablissement durchs Leben - mit dem Gedanken an Suizid spielt. Ein Besucher des Stripschuppens (Cyril O'Reilly, Bloody Birthday) spürt ihre Verzweiflung und ihre Todessehnsucht und spricht sie kurzerhand an. Jodi soll die Nacht mit ihm verbringen, aber nicht als Sexgespielin; der mysteriöse, gutaussehende Mann braucht heute Nacht lediglich Gesellschaft und jemanden zum Reden über Gott und die Welt. Als er ihr für diesen Dienst sogar Geld anbietet und er sich während einer Busfahrt als Retter in der Not erweist (er wirft einem zudringlichen Punk den Stängel einer Rose ins Auge!), willigt sie schließlich ein. Im Haus ihrer charmanten Bekanntschaft gibt es dann jedoch ein böses Erwachen, als dieser ihr seine wahren Absichten offenbart. Er ist ein uralter Vampir, der diese Nacht Nahrung zu sich nehmen muß, will er nicht sterben. Und da er Jodis Selbstmordgedanken aufgefangen hat, hat er sie als Opfer auserkoren.
Ab Mitte der 1980er-Jahre versuchten einige Filmemacher, dem angestaubten Genre des Vampirfilms eine dringend nötige Frischzellenkur zu verpassen und das klassische, langzahnige Monster im modernen Horrorfilm zu etablieren. Das Ergebnis waren so unterschiedliche Werke wie Fright Night, Vamp, Near Dark, The Lost Boys, Graveyard Shift und Vampire at Midnight. Und auch Katt Sheas Dance of the Damned fügt sich in diese Reihe nahtlos ein. Das von Roger Corman mitproduzierte und von Shea und ihrem damaligen Ehemann Andy Ruben geschriebene B-Movie ist eine kleine Genreperle. Überhaupt halte ich Katt Shea (Jahrgang 1957) für eine sehr unterschätzte Filmemacherin, die ihren Low-Budget-Produktionen stets eine gewisse Duftnote verpaßte, sodaß sie sich vom uninspirierten Einheitsbrei deutlich absetzten. Ihre beiden Stripped to Kill-Streifen (1987 und 1989) sind nette Exploitationfilme, wobei Sheas Gespür für Atmosphäre und ihre stilsichere Inszenierung vor allem den zweiten Teil sehenswert macht. Mit dem grimmigen Streets und dem packenden Poison Ivy schien sie den Sprung in den Mainstream geschafft zu haben, ohne sich groß verbiegen zu lassen. Schien, denn nach Poison Ivy dauerte es einige Jahre, bis sie mit dem Fernsehfilm Last Exit to Earth ihre nächste Regiearbeit ablieferte, und erst weitere drei Jahre später entstand The Rage: Carrie 2, ein starkes Sequel zu Brian De Palmas grandiosen Horrorklassiker aus dem Jahr 1976. Danach klang ihre vielversprechende Karriere mit zwei TV-Movies aus. (*)
Dance of the Damned beeindruckt gleichermaßen mit seiner ungewöhnlichen Geschichte, der stylischen Bildsprache und den interessanten Hauptfiguren. Sowohl Jodi als auch der (namenlose) Vampir sind zerrissene, komplexe Charaktere, wie man sie in B-Movies selten findet. Jodi hat in ihrem Leben zu viel falsch gemacht, als daß sie je wieder in die Spur finden könnte. Der einsame Vampir wiederum hadert mit seiner Unsterblichkeit und gibt sich hin und wieder der Melancholie hin. Wie denn die Sonne aussehe und wie sie sich anfühle, will er (unter anderem) von Jodi wissen. Seine Welt ist von Anbeginn die Finsternis, da er bereits als Vampir geboren wurde. Gut die Hälfte des Streifens spielt sich im Haus des Blutsaugers ab, wodurch das kammerspielartige Geschehen bisweilen einem Theaterstück ähnelt. Bei dieser langen nächtlichen Konversation kommen viele persönliche Dinge zur Sprache, kochen die Emotionen mal auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite hoch und empfinden schließlich beide Figuren Verständnis und Sympathie für den jeweils anderen. In den Händen eines untalentierten Regisseurs wäre dieses (Streit-)Gespräch zum Fiasko geraten. Shea hingegen ködert den Zuschauer bereits mit der geschickten Einführung der beiden Protagonisten und läßt ihn bis zum Ende nicht mehr vom Haken. Beide Schauspieler brillieren in ihren Rollen und legen die wohl beste Performance ihrer Karriere hin, zumal ihnen Shea und Ruben starke und glaubhaft "echte" Dialoge in die Münder legen.
Während des intensiven Schlagabtausches im Haus, bei dem sich beide Parteien nichts schenken, schafft es Katt Shea problemlos, den Spannungslevel konstant hoch zu halten. Und auch die restlichen Sequenzen setzt sie so ansprechend, stimmig und stilvoll in Szene, daß ich mich keine einzige Sekunde gelangweilt fühlte. Im Gegenteil, ich hätte mit den beiden liebend gerne noch mehr Zeit verbracht. Aber Achtung! Wer auf oberflächliche Spannung, Action um der Action willen und blutige Spezialeffekte Wert legt, der ist hier so falsch wie ein giftiger Skorpion im Streichelzoo. Bei Dance of the Damned stehen eindeutig die beiden Hauptfiguren im Mittelpunkt, ihre Gefühle, ihre Erlebnisse, ihre Träume, ihre Hoffnungen und ihre Ängste. Nicht gerade die leichteste Kost, zugegeben, aber für alle, die gerne mal einen Blick über den Genretellerrand hinaus wagen, lohnt es sich definitiv. In der schönsten Szene des Filmes versucht Jodi dem Vampir nachts am Strand ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sich die Sonne auf der Haut anfühlt. Diese Sequenz ist nicht nur originell, sie hat auch eine poetische Qualität. Und sie berührt auf eine schmerzliche, traurige Art und Weise. Dance of the Damned weigert sich beharrlich, in eine Genreschublade gesteckt zu werden. Er ist teils Horrorfilm, teils Charakterstudie, teils Love Story, teils Drama, und garniert ist das alles mit einem Schuß Existenzialismus und einem Hauch Exploitation. Vielleicht ist diese Verweigerung einer bestimmten Kategorisierung mit dafür verantwortlich, daß dieser bemerkenswerte Streifen so dermaßen unter Wert geschlagen wird und mehr oder minder in der Versenkung verschwunden ist.
(*) Es wird gemunkelt, daß sie derzeit (Stand: Februar 2016) an einem Remake von Dance of the Damned arbeitet. Es wäre nach Adam Friedmans To Sleep with a Vampire (1993) bereits die zweite Neuverfilmung ihres tollen Frühwerkes.