Review

Lumet, der seine fruchtbarste Phase sicherlich in der Mitte der 70er Jahre erlebte und mit Filmen wie "Serpico" (1973), "The Offence" (1973), "Murder on the Orient Express" (1974), "Dog Day Afternoon" (1975), "Network" (1976) und "Equus" (1977) nahezu ausnahmslos Klassiker der jeweiligen Genres schuf - aus den Jahren zuvor wären wohl "The Fugitive Kind" (1959) und "The Pawnbroker" (1964) zu nennen - begann seine Karriere als Filmregisseur mit einem bemerkenswerten, herausragenden Kammerspiel, das sich - anfangs wenig erfolgreich, doch dann - sehr bald zu einem unvergänglichen Klassiker der Filmgeschichte mauserte: "12 Angry Men", der dritte erwähnenswerte Titel der 50er und 60er Jahre und mit "Dog Day Afternoon" und "Network" vielleicht der beste aller Filme Lumets.
Das Themenfeld, das sich irgendwo zwischen Wahrheitssuche, Verantwortungsbewusstsein, Falschaussagen, Vorurteilen und Gerichtsbarkeit ansiedeln lässt, sollte Lumet immer wieder beschäftigen: in "Rashomon" (1960), "The Offence", "The Verdict" (1982), "Q & A" (1990), "Guilty As Sin" (1993), "Night Falls On Manhattan" (1997), "Strip Search" (2004) und "Find Me Guilty" (2006), aber auch  - wenngleich in abgemilderter und variierter Form - in "The Fugitive Kind", "Murder on the Orient Express", "Network" und "Equus" lassen sich Fragestellungen entdecken, denen sich Lumet bereits mit seinem Erstling widmete.

So Lumet-typisch sich das Sujet im Rückblick letztlich auch darstellt, so stammt das Drehbuch doch von Reginald Rose, dessen Dreiakter bis heute vielfach auf Bühne und Leinwand bzw. Bildschirm zu sehen war, und wurde bereits 1954 für das Fernsehen verfilmt - von Franklin J. Schaffner, der später mit "Planet of the Apes" (1968) und "Papillon" (1973) Erfolge feierte. (Henry Fonda sah das Stück und wollte es zum großen Kinofilm machen und wählte Lumet als Regisseur aus, den er durch seine TV-Arbeiten kannte.)
Einen Großteil seiner Qualität zieht Lumets Leinwand-Debut dann auch aus Roses Stoff und den Dialogen, während der den gesamten Film über nicht mehr verlassene Handlungsort den Spielraum der Inszenierung naturgemäß ein wenig einschränkt: nach den ersten Minuten während des Vorspanns, bei dem der Zuschauer dem Betreten eines Gerichtsgebäudes und dem Geschehen im Gerichtssaal beiwohnt, wird der gesamte Film (abgesehen von einer kurzen Szene im Toilettenraum) nur noch im Beratungsraum der 12 Geschworenen spielen - ein recht spärlich ausgestatteter, wenig aufsehenserregender Raum, in dem sich an einem heißen Sommertag die Hitze stauen wird, was der mitunter durchaus bedrückenden Atmosphäre des Films sehr zuträglich ist.
Dort sitzen dann [Achtung: Spoiler!] die 12 einander fremden, namenlosen Männer, die über Leben und Tod eines jungen Mannes entscheiden sollen, der - aus ärmlichen Verhältnissen kommend und schon vorbestraft - seinen Vater ermordet haben soll. Nur ein übereinstimmendes Ergebnis zählt - sollte es dazu nicht kommen, entscheidet später eine neue Jury.
Die Beweise scheinen erdrückend zu sein: ein Ohrenzeuge will alles gehört, eine Augenzeugin alles gesehen haben, das Messer des Jungen, das dieser verloren haben will, ist das Tatwerkzeug, er selbst hat seinem Vater kurz vor der Tat den Tod angedroht und sein Alibi wirkt - er will im Kino gewesen sein, konnte zum Zeitpunkt der Verhaftung aber keinesfalls den Titel des Films angeben - unglaubhaft. So bilden sich auch sehr schnell 11 der Männer ihre Meinung: schuldig. Nur Geschworener Nummer 8 (Henry Fonda) hat seine Zweifel und würde gerne ausführlich über den Fall diskutieren.
Schon die ersten Wortmeldungen lassen durchblicken, dass die Urteilsbildung der Geschworenen in erster Linie auf Vorurteile zurückgeht - einige wollen gleich auf den ersten Blick gewusst haben, dass der Junge schuldig ist, eine Beweisführung gelingt ihnen dabei freilich nicht. Nach und nach wird der Film ein Indiz nach dem anderen gehörig relativieren: die Tatwaffe erweist sich als leichter erhältlich als angenommen (Nummer 8 zückt zu diesem Zweck ein sehr ähnliches Exemplar, das er kurz zuvor erworben hat), der zur Größe des Jungen passende Einstichwinkel macht nur Sinn, wenn man das Messer in völlig untypischer Weise führt, die Zeugenaussage des Mannes erweist sich als fehlerhaft, bedenkt man, dass er trotz seiner Gehschwäche ein gutes Dutzend an Metern in etwa 20 Sekunden zurückgelegt und ein Türschloss geöffnet haben will, dass man durchaus in extremen Stresssituationen Fakten - wie den Titel des zuletzt gesehen Films - vergessen kann, muss auch ein Verfechter der Annahme des Gegenteils eingestehen und schließlich wird auch klar, dass die Augenzeugin eigentlich Brillenträgerin ist, die Tat jedoch ohne Brille, in der Nacht, über einige Meter Entfernung und durch die Fenster eines vorbeifahrenden Eisenbahnwagons gesehen haben will.
Nach und nach lassen sich die einzelnen Jurymitglieder mal mehr, mal weniger schnell überzeugen - nur Nummer 3 beharrt auf seiner anfänglichen Meinung, bricht am Ende jedoch unter dem Zusammenhalt der Mehrheitsmeinung zusammen und gesteht dabei über seinen Gefühlsausbruch indirekt ein, dass er nach einem schweren Streit mit seinem Sohn (der ihn nach Jahren harter Erziehung geohrfeigt und dann für immer verlassen hat) seine Wut auf den Angeklagten übertragen hat.

Sieht man mal davon ab, dass Nummer 3 quasi als Gegenspieler zu Nummer 8 konzipiert ist und (als eine der größeren Rollen des Films) der Schilderung der Gruppendynamik nur minimal zuträglich ist - nämlich im Hinblick darauf, dass man in die Ecke gedrängt dazu neigt, seine Minderheitenansicht immer agressiver zu verteidigen (ansonsten rührt diese Figur eher den Prozess der Projektion an) - dafür jedoch die Wahrheitssuche dehnt (und damit spannender macht) und zugleich einer Figurenkonstellation samt Dramaturgie dienlich ist, die damit auf die klassische Gegenüberstellung von positivem Helden und Gegenspieler samt konventioneller Spannungskurve nicht völlig verzichtet, ist der Film von Anflügen der s/w-Malerei und allzu konventioneller Dramaturgie angenehm unberührt geblieben. Den größten Teil seiner Spannung zieht der Film aus der detaillierten Beweisführung der Geschworenen (ihr Nachweis des begründeten Zweifels, also ihr Beweis der Unbeweisbarkeit des Vorwurfs der Anklage) und dem dabei zutage tretenden Gruppenverhalten.
Die einzelnen Figuren werden zu diesem Zweck überwiegend sehr penibel charakterisiert und mit individuellen Zügen ausgestattet: ein alter Mann, der im Leben nicht viele Erfolge zu verzeichnen hatte, dafür aber ein hilfreiches Maß an Gelassenheit und Altersweisheit erworben hat, gibt den Geschworenen Nummer 9 ab, der Nummer 8 als erster unterstützt, indem er die Zeugenaussagen als möglichen Ausdruck des Verlangens nach Aufmerksamkeit interpretiert; ein Trainer, der als Geschworener Nummer 1 zunächst den Vorsitz übernimmt um die Diskussion übersichtlich zu halten, sich an dieser aber nur sehr zurückhaltend beteiligt; ein etwas unselbstsicherer, schmächtiger Typ, der als Geschworener Nummer 2 seine anfänglichen Vorurteile während der bestechenden Argumentation von Nummer 8 und anderen gegen einen begründeten Zweifel eintauscht, obgleich er sich damit den Zorn einiger anderer auf sich zieht; ein kaum emotional agierender, möglichst logisch denkender Börsenmakler, der sich als Geschworener Nummer 4 möglichst nur an die Fakten hält; ein Mann, der wie der Angeklagte aus den Slums kommt und als Geschworener Nummer 5 dadurch relativ schnell die Macht der Vorurteile durchschaut, die sich mit der Zeit immer stärker herauskristallisiert; ein zurückhaltender Mann, der als Geschworener Nummer 6 vor allem dadurch auffällt, dass er sich in der Regel dann zu Wort meldet, wenn Gefühlsausbrüche in der Diskussion den Tonfall trüben; ein wenig interessierter Vertreter, der sich als Nummer 7 je nach Situation auf die Seite der Mehrheit schlägt, um die Sitzung möglichst schnell hinter sich zu bringen ohne die Konsequenzen dabei wirklich zu beachten; ein alter Herr, der als Nummer 10 seinen Vorurteilen uneingeschränkt freien Lauf lässt und sich (zur rein logischen Argumentation unfähig) damit selbst vor allen anderen disqualifiziert; ein eingewanderter Europäer, der als Nummer 11 beständig für Demokratie und gesittete Umgangsformen eintritt, Vorurteile und leichtfertigen Umgang mit dem Leben des Angeklagten immer wieder verurteilt und einen möglichst objektiven Blickwinkel auf die rekonstruierten Ereignisse einzunehmen versucht; und letztlich ein Werbefachmann, der als Nummer 12 mit humoristischen Einwürfen auf sich aufmerksam macht, in der Diskussion jedoch immer unsicherer wird, je stärker die anfängliche Mehrheit ins Wanken gerät.
Die 12 Figuren weisen zwar allesamt mehr oder weniger starke individuelle Eigenschaften auf, geraten jedoch nie einfach zu bekannten Stereotypen, auch wenn die abwechselungsreiche Mischung der Charaktere ausgenommen auffällig gemischt wirkt - hier hält der Film geschickt die Schwebe zwischen wirksamem Griff zu durchweg einprägsamen, scharf umrissenen, einzigartigen Figuren (von denen jede früher oder später ihren kleinen Auftritt haben wird, wenn sich auch einige wenige als für die Diskussion bedeutsamere Rollen herauskristallisieren) einerseits (das fällt auf, betrachtet man eine jede Figur vor dem Hintergrund der anderen Figuren), und glaubwürdigen, nie überkonstruiert oder abgenutzt wirkenden Figuren andererseits (das fällt auf, betrachtet man eine jede Figur für sich allein).

Dieses Mischungsverhältnis, das sich bereits andeutet in den erwähnten Anflügen einen konventionellen Dramaturgie um den positiv gezeichneten Hauptcharakter und seinen störrischen Widersacher, der ihre Diskussion bald persönlich auffasst und am Ende in einem Augenblick des völligen Zusammenbruchs seine nicht unbedingt edelen, aber menschlichen Beweggründe offenbart, und das sich fortsetzt in der Charakterisierung der Geschworenen, die einen ausgewogenen Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft geben sollen und dabei zugleich in der geradezu auffälligen Ausgewogenheit ihre Konstruiertheit wieder spürbar werden lassen, durchzieht Lumets gesamte Inszenierung, die auf der einen Seite auf Mittel des klassischen US-Spielfilms zurückgreift, auf der anderen Seite bereits einer modernen Inszenierung entgegenstrebt, die sich schon (eine Dekade vor dem New Hollywood) in den späten 50er Jahren bereits mehr und mehr abzeichnete (vor allem mit der Independent-Größe John Cassavetes oder auch einem eigenwilligen auteur wie Samuel Fuller): "12 Angry Men" verknüpft die konzentrierte und pointierte Inszenierung des klassischen Kinos mit der ungezwungeneren, freieren (wenngleich nicht zwangsweise weniger durchdachten) Inszenierung des modernen Kinos, dem sich Lumet spätestens mit dem geradezu experimentell anmutenden "The Pawnbroker" verschrieben haben dürfte.
Dieser typisch klassische, sehr konzentrierte Stil lässt sich etwa besonders gut mit Hitchcocks "The Lady Vanishes" (1938) umreißen - jedes scheinbar beiläufige Ereignis einer Einstellung wird im Kausalzusammenhang zu späteren Ereignissen stehen, die die Handlung jeweils in ganz neue Bahnen lenken: wenn die titelgebene Frau vor ihrem Verschwinden im Rahmen eines Gespräches ihren Namen an die Fensterscheibe des Zuges schreibt, dann ist schon da klar, dass diese Scheibe nach ihrem Verschwinden zum Beweis ihrer Existenz werden wird. Und wenn bei einem Zwischenstop ein von Kopf bis Fuß verbundener Patient auf einer Bahre in den Zug getragen wird, dann ist schon dann klar, dass diese Handlung nicht unwichtig sein wird - in diesem Verband wird man später die Verschwundene wiederfinden. Diese strenge dramaturgische Konzentration auf das, was die Handlung aktiv vorantreibt, verbindet sich mit der Inszenierung, die solche Elemente in ihrer Bildkomposition unübersehbar hervorhebt. Sowas ist typisch für das klassische Erzählkino und wirkt für den kompetenten Zuschauer von heute (mit seinen sensibilisierteren Seherfahrungen) sicherlich recht vorhersehbar.

Genau solche Momente blitzen auch in "12 Angry Men" immer wieder durch: Im Vorspann schon wird der im Vordergrund an der Wand hängende, untätige Ventilator eingeführt (durch den die Kamera hindurch filmt), die Geschworenen wischen immer wieder mit ihren Schweißtüchern durch ihre Gesichter während in den Dialogen auf die Hitze verwiesen wird. Das hat noch die Aufgabe, die hitzige, stickige Atmosphäre spürbar zu machen, dient aber darüber hinaus auch noch einem anderen Zweck: diese Hinweise auf das Wetter sorgen auch dafür, dass Nummer 4, der kühle Börsenmakler, ohne Schweißperlen und als einziger bis zuletzt im Jackett steckend, als besonders unempfänglich gegenüber den äußeren Einflüssen geschildert wird, als jemand, der voll und ganz der Herr über seine Körpervorgänge ist. Hier bleibt der Film noch sehr zurückhaltend, die beständige Schilderung der Hitze macht freilich nicht den Eindruck, dazu da zu sein, die Nummer 4 zu charakterisieren (eben weil sie auch nicht ausschließlich dazu eingesetzt worden ist). Wenn dann jedoch einer der Geschworenen den Börsenmakler daraufhin anspricht, dass er noch voll angekleidet sei, und wenn dieser dann erwidert, dass er nie schwitze, dann tritt der Zweck der Charakterisierung in dieser Szene deutlich zutage - und dann, wenn sich Nummer 4 vor allen Geschworenen an seine Taten in den letzten Tagen und an die Darsteller des letzten von ihm besuchten Films erinnern soll, wird die Figur anfangen zu schwitzen. Eine Großaufnahme des Kopfes, über dessen Stirn eine Schweißperle läuft, die der Mann sich kurz darauf abwischt, drängt sich dem Zuschauer geradezu auf. Hier zeigt sich, dass Lumet mit etablierten Mitteln des klassischen Kinos einen der 11 Wendepunkte im Film kennzeichnet... alles, was diesen Wendepunkt ausmacht oder ausmachen wird, wird explizit hervorgehoben: das Wetter, die Eigenschaft nicht zu schwitzen, der Schweißtropfen. Scheinbar beiläufige Unterredungen, die allerdings jeweils deutlich in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt werden, und auffällige Großaufnahmen sind hier die Mittel der Markierung eines besonderen Moments. Lumet vermeidet hier den platten, ganz direkten Holzhammer (er lässt keinen sagen: "Jetzt kommen sogar Sie ins Schwitzen!"), er vermeidet aber auch die äußerst unmerkliche Darstellung wie man sie im modernen Kino eher gewohnt ist (er hat das Schweiß-Abwischen nicht in - z.B. - einer Halbtotalen gezeigt; er hat nicht darauf verzichtet, die Wahrnehmung, dass Nummer 4 als einziger sein Jackett trägt und dennoch nicht schwitzt, dem Zuschauer zu überlassen, sondern baute zu diesem Zweck einen scheinbar beiläufigen Dialog ein), sondern er bleibt hier in seiner Inszenierung ausgesprochen klassisch.
Ähnliches ist in vielen anderen Momenten des Films zu bemerken: wenn Nummer 3 schon zu Beginn über seine Erziehung und seinen Sohn spricht, kann der Zuschauer schon erahnen, mit welcher Auflösung am Schluss die Beweggründe des dritten Geschworenen dargelegt werden. Und wenn Nummer 4 sich ausgiebig in einer relativ lange dauernden Großaufnahme an der Nase reibt, wo seine Brille ihm über die Jahre ihre Abdrücke hinterlassen hat, ist zu erahnen, dass es hier nicht bloß um Druckgefühl an der Nase des vierten Geschworenen (oder auch bloß um seine nachlassende Geruhsamkeit) geht - hier folgt die "Auflösung" zwar sofort in der nächsten Einstellung, dennoch liegt hier aufgrund der in Bildgröße und ausgereizter Dauer ruhenden Deutlichkeit des Motivs, das dann den letzten Grund für einen berechtigten Zweifel liefern wird, ein klassisches Verfahren zugrunde: die deutliche Hervorhebung wichtiger Details, die für heutige Zuschauer in diesem Ausmaß freilich schon veraltet wirken dürfte.
Abgesehen von diesen vereinzelten Einstellungen, die nach heutigen Sehgewohnheiten irritierend auffällig in den Vordergrund treten, erweisen sich auch die unauffälligeren Elemente des Films als ausgesprochen klassisch: etliche der Geschworenen sind nicht zufällig so konzipiert worden, wie sie im Film auftreten - sie bilden in ihrer Charakterisierung nicht nur eine sehr breit gefächerte Gruppe, sondern sie sind auch ausgesprochen zweckdienlich, sie sind unbedingt notwendig, damit der Film ablaufen kann, wie er es tut. Ohne den in den Slums aufgewachsenen Geschworenen Nummer 5, ohne den Einwanderer aus Europa, aber auch ohne den vorurteilsbelasteten, zur Argumentation unfähigen Geschworenen Nummer 10 und den aus seiner schwierigen Beziehung zu seinem Sohn heraus handelnden Geschworenen Nummer 3 könnte der Film zwar noch das Für und Wider abilden, aber kaum noch die persönlichen Gefühlsausbrüche, die bisweilen effektiv zum Umdenken in der Gruppe beitragen.
Das Buch zeichnet seine Figuren nach einem Plan, der ihr Zusammenspiel, ihre bisweilen ins Persönliche abrutschende Diskussion garantiert. Die Inszenierung hebt die bedeutenden Handlungen, Blicke, Reaktionen der Figuren über leicht gedehnte Einstellungen oder Großaufnahmen hervor.
In dieser Hinsicht ist "12 Angry Men" ganz klassisches Kino, das nichts dem (vom Regisseur konstruierten) Zufall überlassen will, das keine Wendung aus dem Nichts heraus erschaffen will, sondern über entsprechende Vorlagen ankündigt. Effektive Regieeinfälle (der mehr und mehr dunkler werdende Raum, der das Verstreichen der Zeit sichtbar macht; die größer werdenden Schweißflecken auf den weißen Hemden, die die größer werdende Anspannung und Erregung verdeutlichen; die zum Ende gehäuften Großaufnahmen der Gesichter der Geschworenen oder die Over-the-Shoulder-Einstellungen, welche beide nahe an das Geschehen herangehen und die anfängliche Distanz der Kamera aufgeben) fügen sich da geschmeidig ins Bild.

Gleichzeitig aber sind Buch und Inszenierung durchaus auch modern. Das Buch nämlich erzählt zwar von einer logisch aufgebauten Beweisführung und bleibt damit ganz dicht an einer kausal zusammenhängenden Aneinanderreihung aufeinanderfolgender Stationen, aber es thematisiert letztlich zwei Kernthemen, die völlig untypisch für das klassische Kino sind: Zum einen nämlich geht es um das Beweisen gerade der Unbeweisbarkeit einer vor Gericht rekonstruierten Handlung - der Film ist also keinesfalls ein Whodunnit, kein Detektivfilm, dem es darum geht, ein Rätsel zu lüften. "12 Angry Men" verfolgt genau das Gegenteil und demontiert eine vorgeschlagene Auflösung so lange, bis für alle nur noch das Zweifeln übrig bleibt. Der Film wird mit dem einstimmigen "Nicht schuldig" der Geschworenen enden (ein Epilog zeigt "bloß" nochmal eine echte, menschliche Annäherung der Nummern 8 und 9 auf dem Nachhauseweg, wobei sie erstmals auch beim Namen genannt werden), wer den Mord nun begangen hat, das wird der Zuschauer freilich nicht mehr erfahren. Das Thema der Unmöglichkeit des Wissens ist zentral und mit dem klassischen Spielfilm nicht zu vereinbaren; und immer wieder wird es im Film in Worte gefasst: Nummer 12 etwa gesteht ein - obwohl noch von der Schuld des Angeklagten überzeugt - dass die Arbeit der Geschworenen keine exakte Wissenschaft sei. Unmöglichkeit, Irrtum und Vorurteil werden hier bewiesen, nicht jedoch eine objektive Wahrheit. Damit nimmt der Film trotz seines logischen, streng ineinandergreifenden Vorgehens eher das postmoderne Kino vorweg, das ab den 60er Jahren zögerlich auftritt.
Zum anderen thematisiert das Buch aber auch die Gruppendynamik einer besonderen Situation (12 Fremde, recht unterschiedliche Personen, die gemeinsam eine Aufgabe erledigen müssen - und zwar eine besonders schwierige: nämlich sich gegenseitig solange zu überzeugen, bis letztlich alle einer Meinung sind). Auch hier greift das Buch auf ganz konventionelle Mittel zurück, wie man sie im klassischen Kino oft beobachten kann (nämlich die indivuellen Eigenschaften, die sich überwiegend als für den Verlauf des Films und die Beweisführung der 12 Figuren zweckdienlich erweisen werden); aber hier zeigt sich dank der durchdachten Inszenierung auch das Moment, das über das klassische Kino hinausgeht. Stärker als dort verfügen einzelne Motive über einen Eigenwert, sind eher imstande, sich aus dem Ablauf einer klaren Geschichte (hier eben die Beweisführung der Unbeweisbarkeit der Schuld des Angeklagten) zu lösen, um als zusätzliche Situationen neben dieser zu existieren.
So gibt es immer wieder Aufnahmen von einzelnen Figuren, die soeben in die Ecke gedrängt worden sind, und nun im Vordergrund fast das gesamte Bild ausfüllen und ihre Mimik spielen lassen, während hinter ihnen weiter diskutiert wird. Auf der Tonspur läuft dann die Beweisführung weiter, während sich Lumet auf der Bildebene der Verarbeitung von Rückschlägen, der Selbstreflexion und der Überwältigung aufwühlender Gefühle widmet (und unter anderem hier zeigt es sich auch deutlich, dass Lumets Leistungen nicht bloß aus dem Buch schöpfen, sondern dass die Inszenierung womöglich etwas unauffällig, aber dennoch eigenständig und aussagekräftig ist).
Gerade Geschworener Nummer 3, der sich am Ende auch als innerlich Gequälter, als zutiefst unglücklicher Mensch erweisen wird, hat einige solche Auftritte - relativ früh, kurz nachdem er erstmals von seinem Sohn spricht (und wenige Einstellungen später gleich nochmal), aber auch am Ende, nachdem er als Letzter seine Zustimmung zum "Nicht schuldig" gegeben hat. Dieses In-den-Vordergrund-Rücken lässt den Film der TV-Version aus dem Jahre 1954 überlegen werden, die viel stärker mit Totalen bis Halbtotalen und einfachen, leichten Kameraschwenks und -fahrten arbeitet - Lumet greift eher zur Montage von Einstellungen mit unterschiedlichen Einstellungsgrößen und zu Kamerafahrten durch die Einstellungsgrößen, wobei er in den Großaufnahmen der einzelnen Gesicht kleine Dramen andeutet, die sich zur Diskussion gesellen. Das Drama des ehemaligen Slum-Kindes, das die Vorverurteilung seinesgleichen äußerst sensibilisiert als unangenehm empfindet, das Drama des Eingewanderten, der ihm dieses nachfühlen kann, das Drama des ruppigen Vaters, der die Trennung vom Sohn verschuldet und dies nie ganz verkraftet hat, das Drama eines alten Mannes, der erkennen muss, dass er sich mit seinen Vorurteilen und Wutausbrüchen unbeliebt gemacht hat, das Drama eines wohlkalkulierenden, emotionslosen Logikers, der nach reiflicher Diskussion unangenehm berührt erkennen muss, dass er beinahe unüberlegt einen womöglich Unschuldigen zum Tode verurteilt hätte, das Drama eines alten Mannes, der aus seiner reichlichen Lebenserfahrung heraus ein melancholisches Verständnis für menschliche Fehler entwickelt hat und diesen mit einer Mischung aus Nachsicht, Widerspruch und leichter Wehmut begegnet, das Drama eines schüchternen kleinen Mannes, der für seine Ansichten aber seine Schüchternheit überwindet, das Drama eines ständig witzelnden, unterhaltsamen Herren, der unter dem inneren Druck in der Gruppe mit seiner Unsichterheit konfrontiert wird. Auch die Nummer 8, die eigentlich die ausgeglichenste, unschuldigste aller Personen zu sein scheint, erhält sein eigenes kleines Drama, als er im Nebenraum bei den Waschbecken sich selbst überlassen bleibt, nachdem er gefragt worden ist, was denn sei, wenn er alle überzeugen könne und der Angeklagte dann doch schuldig sei... hier zeigen sich auf Henry Fondas Gesicht dann auch grübelnde Züge, ambivalente Gefühle, zumal er zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich alleine mit seinen Ansichten dasteht.
Der Film vereint damit gleichzeitig eine stringente Geschichte einerseits und ein Nebeneinander von kleinen, winzigen Einzelschicksalen, die aber allesamt sensibel herausgearbeitet werden, andererseits. Lumet holt hier mehr aus dem Stoff heraus, als es auf der Bühne möglich wäre und als es in der TV-Version gelungen ist. (In dieser wird übrigens auch die Hauptfigur etwas naiver noch positiver gezeichnet und damit etwas stärker zum Helden stilisiert - so ist es dort er selbst, der bemerkt, dass man mit dem Messer nicht so zugestochen haben kann, wie bislang angenommen, während es in Lumets Film derjenige ist, der in den Slums aufgewachsen ist.)

In diesen Punkten (dem Zerfall in kleine Dramen, die geichberechtigt der zentralen Beweisführung gegenüberstehen & dem Beweis, dass Sicherheit und Wahrheit oftmals kaum zu bekommen sind) wirkt Lumets Debut erfrischend modern. Zu Merkmalen des klassischen Films vor allem der 30er und 40er Jahre gesellen sich somit Eindrücke moderner Elemente hinzu, die (zeitlich wie inhaltlich) nicht weit von der Dekade der Neuen Wellen entfernt sind.
Da ist es dann auch passend, dass der Film Anflüge von Klischees mit einem Anflug von Selbstironie präsentiert: wenn der eingewanderte Europäer (in der deutschen Synchronisation ist es sinnigerweise ein Schweizer) anmerkt, dass er Uhrenmacher sei, arbeitet der Film mit einem Klischee. Dann jedoch entgegnet ihm sein Sitznachbar, die besten Uhrenmacher kämen alle aus Europa. Hier deckt der Film das eigene Klischee auf, spielt also damit - mehr noch: der Sitznachbar ist Werbestratege, also jemand, der es durchaus gewohnt ist, sich arbeitsmäßig mit Klischees zu befassen, weshalb er dieses auch sofort anspricht, um die Arbeit des Nachbarn als Uhrenmacher gebührend zu würdigen (hier liefert der Film also gleich noch ein Klischee).
Dieser glückliche kleine Einfall trägt dazu bei, dass die Figuren nie wie Stereotype wirken, indem er mögliche Klischees gleich als mögliche Klischees kennzeichnet und dem Zuschauer damit nie den Eindruck vermittelt, es mit ernst gemeinten Klischees zu tun zu haben. (Auch das ist alles andere als klassisches Kino.)

Der Film, der sich zwar nie vollends gegen das Geschworenensystem und die Todesstrafe wendet (schließlich wenden die Geschworenen letztlich ein ungerechtes Urteil erfolgreich ab, das sie bei einem definitiv schuldigen Angeklagten akzeptiert hätten) und diese Punkte nur tendenziell kritisiert, ist mit diesen zwei Kernthemen aber ausgesprochen menschlich und höchst moralisch, macht nachdenklich und schafft es sogar, den eher unsympathischen Geschworenen in bestimmten Augenblicken Mitgefühl entgegenzubringen. Gerade auch in dem Augenblick, in dem im Geschworenen Nummer 4 ein unangenehmes Gefühl aufsteigt, als er erkennt, dass der von ihm bislang als schuldig Beurteilte keinesfalls selbstverständlich schuldig ist, liegt ein Moment vor, das zu einer allgemeingültigen Aussage zu verallgemeinern wäre - betrifft es doch auch 10 weitere Geschworene und womöglich auch Teile des Publikums.
Neben seiner Aussagekraft und seiner Menschlichkeit ist der Film auch perfekt inszeniert und insgesamt zurecht ein Meilenstein in der Filmgeschichte, dem noch einige Neuverfilmungen folgen sollten - darunter auch "12 Angry Men" (1997) von William Friedkin ("The Exorcist" (1973), "Cruising" (1980)) und "12" (2007) von Nikita Michalkow ("Ochi chyornye" (1987), "Urga" (1991)).

10/10

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