Wie gerecht ist die Justiz??
Der Film ist allgemein eine beliebte Plattform, um zu dieser Thematik direkt Stellung zu beziehen. Weniger konkret, dafür umso universeller ist „Die zwölf Geschworenen“. Obwohl das amerikanische Geschworenensystem der Mittelpunkt des Geschehens ist, dehnt Drehbuchautor Reginald Rose das Thema Schuld und Recht auf eine philosophische Ebene aus.
Mit den zwölf Geschworenen eines Mordprozesses erlebt der Betrachter ein Kammerspiel der besonderen Art. Die Beweislast erscheint zunächst erdrückend, so dass eine Verurteilung zum Tode die logische Konsequenz wäre, allerdings plädiert der Geschworene Nummer 8 (Henry Fonda) auf „nicht schuldig“.
Was veranlasst ihn zu der konträren Ansicht?? Wie kann ein einziger Dialog zwischen zwölf Personen über eineinhalb Stunden eine durchweg fesselnd-suggestive Stimmung erzeugen und den Betrachter zum Nachdenken anregen??
Durch Reflexionen des Prozesses anhand verschiedener Geschworener, erlangt der Betrachter immer mehr den gleichen Wissenstand. Was zunächst eindeutig erscheint wird immer zweifelhafter. Doch warum manifestieren sich immer mehr Zweifel??
Das Minimalprinzip rückt das Wesentliche in den Vordergrund, den Menschen! Dadurch erweitert man eine Thematik auf den hohen Pfad der Philosophie.
Der Geschworene Nummer 8 ist nicht nur das Sinnbild für die Intention, er ist der Anlass des Films. Eindrucksvoll zeigt sich, wie sehr ein Einwand die Perspektive ändern kann. Alle Beteiligten sind die Richter über Leben und Tod. War es zunächst eindeutig wird der Fall immer diffuser, jede Sichtweise lässt das Ganze in einem anderen Licht erscheinen. Nach unzähligen Richtungswechseln in Hinblick auf Schuld und Unschuld stellt sich immer mehr die Frage, ob der Mensch überhaupt die nötige Objektivität bewahren kann, um gerecht urteilen zu können!? Gibt es eigentlich etwas wie eine unvoreingenommene Position oder ist das Wunschdenken, eine Illusion?? Ob Mentalitäten, politische Einstellungen, kulturelle oder soziale Aspekte; Gesinnungen und Umstände beeinflussen die Wahrnehmung. Ist die Prämisse von zwölf Individuen ausreichend, um über Tod und Leben zu entscheiden?? Bei all den Zweifeln, hat überhaupt irgendjemand die Gabe und das Recht auf Gottes Pfaden zu treten??
Um die Spannung nicht nur inhaltlich aufrechtzuerhalten, nutzt Regisseur Sidney Lumet alle Möglichkeiten im Rahmen des minimalistischen Grundkonzepts. Den Schnitt und die Kameraführung gleicht man harmonisch mit dem Inhalt ab. Von schnellen Cuts, bei hitzigen Diskussionen, bis hinzu der Konzentration auf eine Person bei Monologen; in jeder Situation ist man bemüht die inhaltlich Wirkung aus technischer Sicht zu komplementieren.
Der letzte Schritt zur Vollkommenheit gelingt mit einer schauspielerischen Kollektivkunst. Henry Fonda ist inhaltlich der Initiator des Geschehens und verhält sich in jeder Situation dementsprechend, aber auch seine elf Kollegen möchte man keinesfalls austauschen. Jeder würdigt seinen Platz in einem großartigen Gesamtwerk mit einer ambitionierten, absolut ansprechenden Leistung, so dass der Eindruck einer kollektiven Meisterleistung haften bleibt.
„Die zwölf Geschworenen“ ist in jeder Hinsicht ein zeitloser Klassiker, der inhaltlich, indirekt alle Fragen und Probleme zum Thema Justiz und Gerechtigkeit aufgrund der philosophischen Natur abdeckt. Regisseur Sidney Lumet überzeugt trotz des minimalistischen Kammerspiels mit einer vollkommenen Harmonie zwischen Inhalt und Inszenierung. Im Zweifel für den Angeklagten. Bei derartigen Zweifeln am System, an der Macht des Einzelnen, ist „Die zwölf Geschworenen“ nebenbei das eindrucksvollste Plädoyer gegen die Todesstrafe. (9,5/10)