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„Ich hab‘ noch was vor…“

Am 9. Juli 1972, nur rund fünf Wochen nach der Erstausstrahlung des vierten „Tatorts“ um den Kölner Zolloberinspektor und Lebemann Kressin (Sieghardt Rupp) wurde bereits dessen fünfter Fall gesendet: „Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer“ wurde im Gegensatz zum vorausgegangenen Einsatz Kressins wieder von Wolfgang Menge geschrieben, die Regie übernahm Michael Verhoeven (dessen zweite und bis dato letzte „Tatort“-Inszenierung auf das Jahr 2005 datiert: „Die Spieler“).

„Konkurrenz belebt das Geschäft!“

Ein Scharfschütze erschießt einen Mann vor dem Eingang des Bonner Bundeshauses, wird dessen gelben Koffers habhaft und gibt diesen unerkannt weiter, sodass er schließlich den Auftraggeber des Attentats erreicht. Bei diesem handelt es sich um niemand Geringeren als Sievers (Ivan Desny), der damit verhindern konnte, dass das im Koffer enthaltene, seine illegalen Waffengeschäfte dokumentierende Beweismaterial an die Öffentlichkeit gelangt – zum Unmut dessen Konkurrenten Nobiling (Paul Verhoeven, „Die Ratten“), der sich ebenfalls in Verhandlungen über Waffenlieferung an den afrikanischen Staat Abanda befindet. Doch Kressin, der eigentlich nur einer attraktiven Frau nachstellte, hat verdächtige Beobachtungen gemacht, die bald auf die richtige Spur führen…

„Ich hatte mir das etwas dramatischer vorgestellt…“

Dem „Tatort“-Vorspann wurde hier ein Prolog vorgeschaltet, in dem Kressin seine aktuelle Gespielin am Flughafen verabschiedet und sich direkt an den nächsten Rock heftet. Der bekannte Vorspann wurde zudem gekürzt und muss ohne das gewohnte musikalische Titelthema vorkommen – ein Sakrileg, das heutzutage undenkbar scheint. Der Mord geschieht im unmittelbaren Anschluss; den abgebrühten Schützen in auffälliger Kluft wird man im weiteren Verlauf nicht nur als Handlanger, sondern auch als jemanden, der knallhart seine eigenen Interessen vertritt, kennenlernen: Er wendet sich gegen seinen Auftraggeber und versucht, mehr für sich herauszuholen. Dies erweitert die Einblicke in den Ablauf illegaler Waffengeschäfte bietende Handlung (inkl. protziger Vorführung eines Amphibienpanzers) um eine weitere Partei, die etwas Unruhe zu stiften versteht.

Gewissermaßen selbstreferenziell wird dieser vom WDR produzierte „Tatort“, wenn er nicht nur den Kölner Sitz des WDR groß im Bild einfängt, sondern auch die realen WDR-Journalisten Friedrich Nowottny und Ernst-Dieter Lueg als sie selbst mitspielen und sich von der Polizei befragen lassen. Den Eindruck einer, wenn man es so nennen will, „Familienproduktion“ verstärkt dann auch der Umstand, dass Nobiling vom Vater des Regisseurs gespielt wird. Und „Tatort“-Star Götz Georges späterer Kompagnon in dessen Rolle als Kommissar Schimanski, Thanner-Darsteller Eberhard Feik, feiert hier als Wachtmeister seinen ersten Fernsehauftritt. Etwas arg erzwungen wirkt dagegen Fritz Eckhardts Gastauftritt als Inspektor Marek aus der gleichnamigen österreichischen Krimiserie, die 1971 in die „Tatort“-Reihe eingemeindet wurde. So bleibt es immerhin dabei: Kein Kressin-Fall ohne einem anderen „Tatort“-Kommissar als Gast.

Um die eine oder andere nicht ganz passende komödiantische Einlage um Schnapstrinken oder dümmliche Gangster ist man auch nicht verlegen, die damals zeitgenössisch nervigen Klick-Klack-Kugeln, ein kurzlebiger Jugendtrend, finden sich als Zeitkolorit ebenfalls wieder, dafür hat man aber an Action, Sex und markigen Dialogen gespart, die sonst die Kressin-Fälle bestimmten. Sievers hingegen ist so präsent wie seit Kressins erstem Einsatz nicht mehr und das Finale mit Knalleffekt stimmt einigermaßen versöhnlich. Dennoch überwiegt der Eindruck, dass man sich von den typischen Kressin-Zutaten ausgerechnet die verzichtbareren ausgesucht hat. Ob das eine Reaktion auf den vorausgegangenen „Kressin und die Frau des Malers“ war, dem es nicht nur bei seinem vermittelten Frauenbild an Ironie gemangelt hatte? Jedenfalls scheint, als habe man mit dem ursprünglichen Kressin-Konzept nicht mehr allzu viel anzufangen gewusst. Bis hierher leider der schwächste Teil der Reihe.

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