Review

Fünf Episoden rund um das Leben in der Großstadt.

Verliebt verlobt verheiratet BRDigt – Gisela Weilemann
Auf der Suche nach Zigaretten kommt ein jungscher Typ in eine Kneipe, wo er bei einem Stromausfall mit der Bedienung vögelt. Seine Freundin, die im Hotelzimmer auf ihn wartet, verlässt ihn bei seiner Rückkehr und bezahlt ohne sein Wissen das Zimmer. Die Freundin gabelt einen anderen Typen auf, aber zwischen den beiden läuft nichts. Dieser andere Typ geht dann in eine Disco, wo er eine notgeile Betrunkene findet, die mit ihm ins Bett will. Der Portier im Hotel gibt den beiden dann den Schlüssel für genau das Zimmer, wo der Typ vom Anfang noch schläft.

Star – Helmer von Lützelburg
Billie Zöckler ist eine graue Maus, die bei der Telefonauskunft arbeitet, und sich in ihrer Freizeit einen Prinzen erträumt. Mit Hilfe eines Schönheitssets wird sie zur, etwas altjüngferlich aussehenden, Prinzessin der Nacht und besucht einen Ball der einsamen Herzen. Wo ihr eigener Postbote auf sie aufmerksam wird. Doch sie macht das Aschenputtel und flüchtet.

Running Blue – Dominik Graf
Zwei Männer treffen sich in einem Park. Es geht wahrscheinlich um einen Waffendeal. Doch der eine der beiden argwöhnt, dass sein Geschäftspartner von der Polizei ist.

Panter Neus – Hans Schmid
Panter Noice lebt bei seiner Mutter, die ihn aber gerade hochkant rauswirft. Er zieht durch die Stadt, die Frauen fliegen völlig auf ihn, und er macht eigentlich gar nichts. Flirtet hier ein wenig, klaut dort eine Jacke, unterhält sich mit einem Kumpel, hält einem Banker ein Messer an den Hals und das war‘s.

Disco Satanica – Wolfgang Büld
Die junge Tina vom Land geht in der Großstadtdisco völlig auf. Tanzen, knutschen, vögeln – Sie hat ihr Ding gefunden. Ihr Bauernfreund Hans will sie aus der Disco herausholen, kommt aber bei der Auseinandersetzung mit dem Türsteher unter einen LKW. Nach 3 Monaten ist er katatonisch und schwerst verletzt, erst der üppige Ausschnitt der Krankenschwester und laute Musik aus einem Radio erwecken ihn wieder zum Leben. Mit einer John Travolta-Maske über seinem zerstören Gesicht geht er wieder in die Disco – Sein Ziel heißt Rache!

Schon seltsam, wie es manchmal so läuft. In der vergangenen Woche habe ich fünf Filme gesehen, von denen drei unter den Begriff Etikettenschwindel fallen. THE HOOLIGAN CLUB ist ein starkes Drama, das aber mit Hooligans genauso viel zu tun hat wie zum Beispiel mit Cowboys. In DES ROCKERS TOLLE HUNDE treten Rocker ziemlich genau drei Minuten auf, und die dafür verantwortlichen Marketingsäcke sollten vielleicht mal ein paar Kilometer hinter den Maschinen der nicht existenten Biker hergezogen werden. Und dann ist da noch NEONSTADT.

Neonstadt, das klingt nach Plastik Neon und Beton. Leben im Herzen der toten Städte. Zurück zur U-Bahn, zurück zum Beton. Beim Elektrizitätswerk da traf ich sie wieder. Wir leben im Computerstaat. Einsame junge Menschen auf der Suche nach Liebe, Musik und einem Bier. Oder zweien.
Und was ist NEONSTADT tatsächlich? Nun, wenn ich positiv sein soll geht es um Leben in der Großstadt in seinen verschiedenen Facetten. Allein lebende Menschen (STAR), Schicki-Mickis beim Schwofen (DISCO SATANICA), modernes Großstadtleben im Jahre X nach Oskar Kolle (VERLIEBT …), modern-verwirrte Jugendliche auf Sinnsuche (PANTER NEUS), coole Agentenspielchen im Halbschatten der großen Stadt (RUNNING BLUE). Das Problem dabei: Mit dem, was das Wort Neonstadt assoziiert, hat das genauso viel zu tun wie zum Beispiel Hooligans mit Cowboys – Nämlich rein gar nichts.

Stattdessen ärgert der Zuschauer sich über eine Zusammenstellung seltsamer Kurzfilmchen, die ohne ernsthaften Zusammenhang hintereinander geklatscht werden, und mit dem alten Punk-Klassiker Paul ist tot der Fehlfarben zusammengehalten werden. Allein die Profanisierung dieses Liedes, die Negation dessen, was dieses Lied eigentlich aussagen möchte, schmerzt schon sehr. Die eigentliche Aussage des Songs, Ich will nicht was ich seh‘, ich will was ich erträume, wird ausgeblendet, stattdessen sehen wir Menschen beim Essen Trinken Poppen die nicht das bekommen was sie eigentlich haben wollen, und sich dann beim Singen der Zeilen Was ich haben will das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann das gefällt mir nicht filmen lassen. Ein Stück Kuchen, sexuelle Befriedigung, Befreiung vom Abwasch. Das ist ungefähr so, wie wenn ich John Lennons Imagine damit bebildere, dass sich jemand ein Stück Kuchen vorstellt, oder ein buntes Auto. Ist es wahr, dass Eckhart Schmidt NEONSTADT produziert hat? Eigentlich hätte der es doch besser wissen sollen …

Es soll also, das lese ich in der Wikipedia, darum gehen, dass „das illusionslose Dasein der Jugend zu Beginn der 1980er Jahre“ dargestellt wird. Abgesehen davon, dass so ein Satz plakativ-nichtssagend ist und eher das Marketing berücksichtigt als inhaltliche Aspekte, abgesehen davon frage ich mich, welche Jugend im Film damit gemeint ist? Die gestylten Hupfdohlen in VERLIEBT… oder DISCO SATANICA? Die Agenten in RUNNING BLUE? Die ältere Frau in STAR? Einzig PANTER NEUS hätte das Zeug dazu eine Jugend im Auf- und Umbruch darstellen, aber die Mutlosigkeit Hans Schmids, die diesen Film komplett in den Sand setzt, ist schon bemerkenswert. Was noch so ein klein wenig beginnt wie das düstere Skinheaddrama MADE IN BRITAIN, mit einem nach  Gewalt riechenden und schwer erklärbaren Youngster mit häuslichen Problemen, mündet schnell in einer dümmlich-durchgeknallten Farce um einen Deppen, dem die Frauen hinterherrennen (warum, kann ich in keinster Weise nachvollziehen), und der außer ein paar dämlichen Streichen nichts macht. Panter Neus hat keine Wut, keine Attitüde, keinen Charakter – Er hat einfach gar nichts. Und dafür gab es ein Filmband in Gold? Wow, warum nicht gleich einen verkackten Oscar …?

Ja, in den Jugendlichen in VERLIEBT… kann ich mich selbst rückblickend durchaus ein Stückchen wiederkennen. Das Treibenlassen, die Ziellosigkeit, das pragmatische Mal sehen … Gleichzeitig wird aber auch hier wieder dieses Mutlosigkeit sichtbar, welche die Regisseurin dazu brachte, sich auf die Darstellung eines mal mehr und mal weniger erfolgreichen Flirtens zu beschränken. Schauspielerisch mag es für Michaela May eine Wohltat gewesen sein, parallel zu den weichgespülten Fernsehrollen auch mal eine Femme Fatale spielen zu können, inhaltlich bringt das der Folge rein gar nichts. Als authentisch betrachte ich die kurze Romanze zwischen dem ersten Typen und der Bedienung – Ein schneller Fick im Hinterzimmer, und weiter. Sehr wohl in der Realität angesiedelt, aber bei allem anderen außenrum, den Typen, dem Ambiente, der schlechten Musik, wird die Dekadenz einer Promistadt wie München sichtbar, die mit der erdigen und schmutzigen Realität in den großen Städten der BRD rein gar nichts zu tun hatte. Der Brennpunkt der Jugend des Landes zu dieser Zeit lag in Berlin-Kreuzberg, im Hamburger Hafenviertel oder in der Kölner Altstadt. Aber bestimmt nicht in München, da kamen der Wahrnehmung nach eh nur die feinen Pinkel her. Was dann auch wieder irgendwo passt, wirkt der ganze Film NEONSTADT doch wie die Musik der zu dieser Zeit so erfolgreichen Band Münchner Freiheit: Weichgewaschen, schmusig, dümmlich …

Einzig die letzte Folge hat zumindest Witz, wenn der einstige Punk-Dokumentarist Wolfgang Büld (BRENNENDE LANGEWEILE) eine launige Geschichte darum spinnt, dass ein fast Toter zurückkehrt, um blutige Rache zu nehmen an der Frau die ihn so schmählich verraten hat. Zwar ist auch hier das Ambiente eher das der Popper, unterlegt mit den damals gerade aktuellen Hits des deutschen Postpunks (was man den Tanzszenen auch ansieht: Wer beim Mussolini so desinteressiert mit dem Arsch gewackelt hat, der war sicher niemals in einer derjenigen Discos, in denen beim Mussolini die Tanzfläche gekocht hat …), aber hier kommt wenigstens ein wenig Authentizität auf, und die Geschichte ist wirklich drollig. Die Verbindung von etwas Sex (die Krankenschwester in Strapsen) und etwas Horror (die Enthüllung des Gesichts unter der Maske) ist typisch Wolfgang Büld, und macht Spaß anzuschauen. Mehr von einem der beiden (oder gar von beidem gleichzeitig) wäre aber für den Produzenten wahrscheinlich zuviel gewesen. Wobei, hat Eckhart Schmid nicht ein paar Jahre später ALPHA CITY gedreht? Und LOFT? 1982 war DER FAN ja auch nicht ganz arm an Sex und Horror – Warum hier so zurückhaltend??

Diese letzte Folge könnte den Zuschauer fast ein wenig versöhnen, aber der Schwachsinn vor allem der zweiten und dritten Folge ist dann einfach zu viel: Die märchenhafte Geschichte um Billie Zöckler ist nett, und könnte so auch in jedes Hollywood-Melodram passen, hat aber in einer Kompilation über jugendliches Befinden nichts, aber auch rein gar nichts verloren. Und die Agentenstory ist nicht nur vollkommen deplatziert, sondern auch noch voller kruder Details, die einfach nur ärgern und zum Fremdschämen einladen.

Fremdschämen, das ist das Wort. Schon bei der ersten Episode habe ich mich ein paar Mal über mein Handy hergemacht und mich um andere Dinge gekümmert. Es war mir schlicht und ergreifend unangenehm, das Treiben auf dem Bildschirm zu verfolgen. Unangenehm im Sinne von schlechten Darstellern mit mieser Sprechtechnik, die sich durch eine Handlung eiern die diesen Namen nicht verdient. Mir tut es leid um Christiane Felscherinow, die hier einen echten Glanzpunkt setzt, sowohl in Bezug auf die Authentizität als auch auf das schauspielerische Können, deren glänzende und wunderschöne Augen die Episode beschließen, und ich hätte es gerne gesehen wenn sie bei der Schauspielerei geblieben wäre. Diese Attribute treffen auch auf die Darstellerinnen der letzten Episode zu, die echt und in hohem Maße authentisch wirken. So waren die Disco-Tussis damals, aber, meine Wortwahl ist Absicht, eben die Disco-Tussis. In der Postpunk- und gerade vorsichtig beginnenden Wave-Szene war die Attitüde eine andere. Grundlegend anders. Wer sehen will, was damals anstatt in den Münchener Szene-Discos auf den Berliner Straßen los war, der soll sich Carl Schenkels KALT WIE EIS geben. Der zeigt die Zeit wie sie wirklich war, mit einem griffigen Action-Aufhänger versehen und rundum gelungen. Und um die Stimmung der Zeit zu erfassen empfehle ich entweder den avantgardistischen DECODER, dessen Grundhaltung den damaligen Zeitgeist perfekt traf. Oder den erstklassigen Dokumentarfilm B-MOVIE: LUST & SOUND IN WEST-BERLIN 1979-1989, der die Stimmung dieser Tage ungeschminkt wiedergibt. Na ja, wahrscheinlich nicht die Stimmung  in München …

NEONSTADT kann verstanden werden als anbiedernder und spießiger Versuch, aus einer Jugendbewegung, denn das war es 1981 sehr wohl noch, so viel Geld herauszuschlagen wie es geht. Das beginnt bei dem Werbespruch „Gewitter der Gefühle. Immer unter Strom. Der Rest ist uns egal.“, der ohne weiteres aus einer Schnulze einer drittklassigen NDW-Hitparaden-Combo stammen könnte, und endet beim peinlichen BRDdigt im Titel der ersten Episode. BRDigt – das klingt nach Unruhe, nach Aufbegehren gegen die Politik, nach Steinewerfen in 36, nach Soundtrack zum Untergang oder generell nach frecher Jugend-Gegen-Kultur. Aber als Titel einer Episode, in der es um eine Gelegenheit zum Sex geht und um nichts anderes, ist das, höflich ausgedrückt, Etikettenschwindel. Oder einfach nur Verarsche. Das, was 1978 dem Punk in England passiert ist, hat dann ab 1982 auch den Weg nach Deutschland gefunden: Die Kommerzialisierung einer geerdeten und bodenständigen Jugendkultur. Und auch, wenn NEONSTADT damals nicht wirklich erfolgreich in den Kinos lief, so bezeichne ich dieses Machwerk trotzdem allen Ernstes als einen der Grabsteine dieser Entwicklung.

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