Review

„Was ich haben will, das krieg‘ ich nicht!“

„Neonstadt“ – das ist nicht nur eine treffende Bezeichnung für beleuchtete Innenstädte der 1980er Jahre, es ist auch der Titel eines obskuren Episodenfilms aus deutschen Landen aus dem Jahre 1982, an dem gleich fünf Regisseure – damaligen Absolventen der HFF München – beteiligt waren.

Nach einem Intro mit Musik der Band „Fehlfarben“, die mitgesungen wird, und Bildern von Medien-, Alkohol-, Drogen- und Nahrungskonsum findet man sich in der ersten Episode wieder: „Verliebt, verlobt, BRD-igt“ von Gisela Weilemann, die Ende der 1970er drei Kurzfilme drehte und nach ihrer Beteiligung an „Neonstadt“ ihre Regiekarriere allem Anschein nach beendete. Eine Kneipenszene leitet über zu einem in der Küche bumsenden Punk-Pärchen. Der männliche Part, offenbar ein Bayer, sucht daraufhin eine recht nervige andere Dame mit Piepsstimme auf. Diese schleppt sich einen anderen Punk mit Streifenklamotten in ihre komische Püppchenbude ab, welcher wiederum mit einer anderen die Kneipe aufsucht. Diese legt eine Solo-Darbietung auf der Tanzfläche hin, eine Art aufreizenden Erotiktanz, und zieht wieder mit ihm, und zwar in ein Hotel, weil sie einen Freund habe. Dort liegt der bayrische Punk vom Anfang und wird rausgeschmissen, woraufhin er seine Freundin abholt. Die Pointe dieser lahmen Episode ohne jegliche Punk-Power habe ich nicht verstanden – sofern es über den „Jede(r) mit jedem in einer Schleife“-Gag hinausgehend überhaupt eine gibt.

Eine Zwischensequenz, die denselben „Fehlfarben“-Song abspielt, mündet in der Episode „Star“ Helmer von Lützelburgs („Im Himmel ist die Hölle los“). Büroangestellte Damen schauen sich Mikrofilme an, eine von ihnen geht schließlich nach Hause. Lützelburg zeigt ihren wenig aufregenden Alltag, bis ein Paketbote ihr neue Klamotten vorbeibringt. Mit diesen stolziert sie divenhaft durch die abendliche, von Leuchtreklamen illuminierte Stadt zu seinem schönen Soul-Song und sucht eine Schlagerspelunke auf. Dort trifft sie auf den Paketboten, der sie an ihrer Halskette erkannt hat – doch als sich dieser zu ihr gesellen will, verlässt sie fluchtartig das Lokal. Sie gerät in Panik, doch er „rettet“ sie, sie schmiegt sich an ihn. Aha.

Das nun folgende Interludio zeigt eine Sado-Maso-Szene, woraufhin Dominik Graf („Tatort“, „Polizeiruf 110“) mit seiner Krimi-Episode „Running Blue“ eine seiner ersten Regiearbeiten abliefert. Der Waffenschmuggler Christ (so heißt der Mann oder nennt sich zumindest so) trifft sich mit seiner Kontaktperson im Freien, raucht einen Joint im Bett und bietet der Putzfrau am nächsten Morgen Geld für Sex, woraufhin sie einwilligt. Mit mutmaßlich entleertem Hodensack trifft er sich erneut mit seiner Kontaktperson und enttarnt diesen als Bullen. Als er ihn mit einer Waffe bedroht, wird er von anderen Polizisten erschossen. Eine vorhersehbare, um etwas Dreck bemühte Krimi-Episode, die lediglich als Graf-Frühwerk Interesse weckt.

Nach Christs Abgang ertönt zum wiederholten Male „Paul ist tot“ der „Fehlfarben“, diesmal mit Pornoausschnitten unterlegt. Zu Beginn von „Panter Neuss“ zeigt Regisseur Hans Schmid, der darüber hinaus lediglich einen Kurzfilm aus den ‘70ern und den ‘87er Fernsehfilm „Ein Stück vom Glück“ auf dem Kerbholz hat, Schwarzweiß-Fotos zu Flüstergesang. In Farbe sitzt dann ein junger Mann auf einem Balkon und kann nicht schlafen. Seine Mutter rät ihm, weniger zu onanieren, schimpft mit ihm und schmeißt ihn schließlich raus, nachdem er sie beklaut hat. Er hat einen Job bei der Post und nimmt an diesem Tag zu viel Geld ein, was er ordnungsgemäß meldet. Er trägt permanent einen albernen silbernen Armreifen und beschließt, dass eine Baseballjacke prima dazu passen würde. Diese stiehlt er kurzerhand und muss sich eine Verfolgungsjagd zu Fuß durch die Stadt mit dem Eigentümer liefern. In der Optikerfiliale, in der er Unterschlupf sucht, ist die Verkäuferin nicht nur sehr nett und hilfsbereit, sondern auch sofort geil auf ihn. Daraufhin betritt er eine Bank, quatscht mit einem schnöseligen Bekannten über Frauen, verhält sich soziopathisch, singt und will mit der Brillenverkäuferin los – Ende. Was einem dieses Filmchen sagen will, weiß wohl nur Schmid allein.

Das folgende Zwischendrintro mit dem altbekannten Song zu irgendwelchen Bildern ist die letzte Hürde vor Wolfgang Bülds „Disco Satanika“, der Episode des neben Graf einzigen Filmemachers dieses Reigens, der es dank seines Gespürs für Sub- und Popkultur u.a. mit (Dokumentar-)filmen wie „Punk in London“, „Brennende Langeweile“, „Women in Rock“ und „Der Formel-Eins-Film“ zu etwas gebracht hat. So fällt auch dieser Horror-Thriller-Kurzfilm positiv aus der Reihe: In einer Disco läuft „Tanz den Mussolini“ der „Deutsch Amerikanischen Freundschaft“, während sich zwei Mädels über Jungs unterhalten. Ein Typ scheitert am Türsteher und wird unsanft vertrieben, gerät dabei unter einen Bus und erleidet so einen bösen Unfall. Schnitt, Krankenhaus: Seit drei Monaten verhält er sich vollkommen apathisch. Doch als er einer exotischen Arzthelferin in den tiefen Ausschnitt stiert, regt sich etwas in ihm und er ermordet sie vollkommen überraschend nach Vorbild eines US-Slashers. In den folgenden Disco-Szenen arbeitet Büld mit dem Split-Screen-Verfahren und peppt seinen Beitrag damit auch optisch weiter auf. Der Killer streift sich die Krankenschwesterkluft über und sprintet aus dem Hospital in Richtung Disco. Dort ist ein Pärchen in einem Auto am Rummachen, Büld fängt die entblößte Oberweite der Protagonistin ein. Der Mörder zieht sich derweil eine John-Travolta-Gummimaske über, beobachtet das lüsterne Treiben und schleicht sich in den Kofferraum. Ein befreundetes Pärchen will’s ebenfalls im Kfz miteinander treiben und wird dort vom Busopfer gemeuchelt. Unser maskierter Freund schlüpft in die peinliche Glitzer-Popper-Montur des nun toten Stechers, betritt die Disse mit seiner Maske und tanzt mit dem Mädchen, das zuerst das Auto besudelte. Sie entscheidet sich, spontan mit ihm fremdzugehen, doch vor der Tür nimmt er seine Travolta-Maske ab…

Wäre da nicht Grafs Episode, könnte man „Neonstadt“ attestieren, dass sich zumindest alle Beiträge grob um zwischenmenschliche Beziehungen drehen. Allen gemein ist aber wohl, dass sie die (emotionale) Einsamkeit verschiedenster Großstadtmenschen zum Inhalt haben, die anscheinend nicht in der Lage sind, ihr Glück in klassischen monogamen Partnerschaften zu finden. Wolfgang Bülds „Disco Satanika“ ragt jedoch als einziger aus dem ach so experimentellen, mehrdeutigen Brei heraus, indem er einen astreinen Slasher nach US-Vorbild in das Sujet einbringt und gleichzeitig die unsägliche Disco-Unkultur kräftig auf die Schippe nimmt. Einen blutigen Splatter-Beitrag sollte man hier nicht erwarten, seine Wirkung entfaltet der flott inszenierte Kurzfilm auch ohne Gekröse o.ä. Die immer leicht monotone Musik der „Fehlfarben“ zwischen Punk und NDW – zu „Paul ist tot“ gesellt sich später noch „Ein Jahr (Es geht voran)“ – passt prima zum Gezeigten, wenngleich vier von fünf Episoden nichtssagend bis verklausuliert sind, bisweilen aber angenehmes Zeitkolorit aus deutschen Landen transportieren. Unter die unbekannten, von erfrischend bis hölzern agierenden Laiendarsteller gesellten sich übrigens Charles Brauer, Michaela May, Axel Milberg und Billie Zöckler.

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