Review

Der Franzose Georges Franju hat seinerzeit etwas sehr ungewöhnliches gewagt, denn „Augen ohne Geicht“ hinterlässt ein richtig beklemmendes Gefühl beim Zuschauer.
Es ist eine durch und durch tragische Geschichte, die er schildert, eine, die zu keiner Zeit Hoffnung auf ein Happy End macht.
Und doch setzt sein Beitrag einen Meilenstein in der Geschichte des Horrorfilms, dessen poetische Bilder lange im Gedächtnis des Zuschauers haften bleiben und nachfolgende Filmschaffende stark beeinflusst haben.

Es ist das tragische Schicksal des renommierten Chirurgen Genessier, durch dessen Schuld das Gesicht seiner Tochter Christiane entstellt wurde.
Von Schuldgefühlen auf der einen und medizinischen Größenwahn auf der anderen Seite getrieben, lässt er durch seine Assistentin Louise junge Studentinnen entführen, um Christiane durch Transplantationen zu ihrem alten Gesicht zu verhelfen.

Die trostlose Grundstimmung wird dem Zuschauer ohne Umschweife vermittelt, wenn Assistentin Louise bei ungemütlichem Regenwetter eine weibliche Leiche im Wasser entsorgt.
Louise verdankt Professor Genessier ihr neues Gesicht, so ist sie ihm gegenüber vollkommen ergeben, doch andererseits sträubt sich alles in ihr, weitere Studentinnen zu entführen.

Genessier ist ein ambivalenter Charakter. Er ist keineswegs der verrückte Wissenschaftler, der zu ausschweifendem Gehabe neigt, sondern ein Mensch, der ebenfalls eine Maske trägt.
Selten sieht man ihm eine Gefühlsregung an, er trägt die Angst vor weiteren Fehloperationen in sich verborgen und doch zeigt er seinen Patienten im Krankenhaus gegenüber eine sanfte, menschliche Seite.
Ähnlich gegenüber seiner Tochter, die er einerseits abgöttisch liebt, aber andererseits als Experiment seiner Forschung ansieht.
Nach einer Operation sagt er: „Lächle doch, lächle! Nicht zu sehr! Gut!“
Innerlich zerbricht er an seinem Schicksal und vor allem, dem seiner Tochter Christiane.

Christiane ist die tragischste Figur in diesem Drama. Seit dem Unfall trägt sie eine Maske, die an Karneval in Venedig erinnert, ein Puppengesicht, unter dem die Tränen der Verzweiflung unsichtbar bleiben. Ihr zierlicher, zarter Körper streift ein ums andere Mal durch die abgelegene Villa und wirkt dabei wie ein Gespenst.
Sterben möchte sie, dem ganzen Leid ein Ende bereiten und doch gibt es eine vage Hoffnung, dass ihr eines Tages ein neues Gesicht transplantiert wird. Deshalb lässt sie es auch zu, dass unschuldige Mädchen geopfert werden, die sie sieht, ja sogar streichelt. Am Ende überwiegt die Sehnsucht nach Freiheit, denn gefangener kann ein Mensch sich kaum fühlen.
Wie symbolträchtig erscheinen da die Tauben in ihrem Zimmer, denen sie sich ebenso stark verbunden fühlt, wie den Hunden, die ihr Vater zu Versuchszwecken in engen Käfigen gefangen hält.
Gefangen sind sie irgendwo alle und ihr todbringendes Schicksal scheint unausweichlich.

Franju erzählt seine Geschichte sehr ruhig, zuweilen fast etwas zu gelassen.
In einigen Passagen wird minutenlang kein Wort gesprochen, die Bilder sprechen für sich und die Musik von Maurice Jarre liefert einprägsame Melodien, die immer wieder auftauchen.
Das markanteste Thema ist ein Stück mit Leichtigkeit, fast wie eine Melodie eines Straßenmusikanten, im ¾-Takt gehalten. Es kündigt dennoch Unheil an, wenn Louise einmal mehr Ausschau nach potentiellen Versuchskaninchen hält.
Allein dieses Thema ist so markant, dass es auch Monate später noch einen Zusammenhang zu diesem Film herstellt.

Die Tragik der Geschichte wird von den Darstellern perfekt getragen: Pierre Boileau spielt den Professor mit seiner Wortkargheit und der zurückhaltenden Mimik einfach glänzend, Alida Valli ist als seine Assistentin hervorragend, doch Edith Scob stellt als entstellte Christiane alle in den Schatten, da sie keine Mimik von sich geben kann und somit ihren Augen einen intensiven Ausdruck verleihen muss, - und der trifft den Zuschauer mitten ins Herz. Dazu kommt ihre zerbrechlich wirkende Gestalt wenn sie wie ein kleiner Geist durch die Villa huscht, - eine unglaublich traurige, aber zugleich poetisch anmutende Figur.

Franju liefert verstörende Bilder, eine tragische Geschichte innerhalb einer sachlich-kalten Welt, die den damaligen Zuschauern vor allem aufgrund ungewohnter, expliziter Gewaltdarstellung vor den Kopf gestoßen haben.
Dabei bedient sich die minutenlange Transplantation von Gesichtshaut keinem Selbstzweck, sondern ist eher auf die Personen drumherum ausgerichtet.
Auch die nachfolgende Abstoßung des Gewebes, dessen Stadien in Stills festgehalten, fast wie aus einem medizinischen Lehrfilm stammen könnten, wirken keineswegs effekthascherisch. Am Ende wünscht man sich Christianes Maske zurück, das Schutzschild und zugleich Gefängnis von Gefühlen ist.

„Augen ohne Gesicht“ ist ein großes Stück Traurigkeit, ein Film über tiefe Wunden, innerlich sowie äußerlich und in seiner Komplexität ein sehenswertes Stück Filmgeschichte.
9 von 10

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