Das klassische Frankenstein Thema ist ein oft gebrauchtes Grundgerüst im Bereich des Horrorfilms. 1957 wurde es in einer seiner wohl besten Formen von den britischen Hammer Studios auf die Leinwand gebannt. Die Story fasziniert, weil sie zugleich, Mitleid und Abscheu, Verständnis und Ablehnung beim Zuseher, bzw. Leser provoziert. Ein Film der sich ebenfalls in Grundzügen dieser universellen Grundidee bedient, aber bis heute nur einem kleinen Kreis, zumeist filmhistorisch interessierter wirklich geläufig ist, ist der französische Film „Augen ohne Gesicht“. Entstanden nur 2 Jahre nach der viktorianischen Hammer Variante beschreitet der Film einen sehr viel realistischeren Weg und gleitet dabei doch immer wieder in großartigen Bildern aus der Realität hinaus und wird zu einem schon fast traumähnlichen Gebilde.
Die Geschichte bietet dabei nicht viel Neues, verpackt das Bekannte aber geschickt in eine Story, die den Zuschauer gefangen nimmt. Dr. Genessier, ein anerkannter Pariser Schönheitschirurg ist der tragische Mittelpunkt in dieser Geschichte. Seine Tochter, einst eine wunderschöne junge Frau, ist entstellt, ihr Gesicht kaum mehr als eine Furcht einflößende Fratze. Schuld daran ist ihr Vater, er fuhr das Auto an dem Abend als es zu einem folgenschweren Unfall kam. Seither ist er besessen davon mit Hilfe der Chirugie seiner Tochter ihre Schönheit wiederzugeben. Dabei geht er bis an äußerste. Er entführt junge Frauen und versucht ihre Gesichtshaut seiner Tochter zu transplantieren. Doch seine Experimente schlagen immer wieder fehl.
Regisseur Georges Franju hat mit „Augen ohne Gesicht“ einen Zeitlosen Klassiker geschaffen. Der Film ist dabei inszenatorisch tief verwurzelt in der Stummfilmära, immer wieder kommt er minutenlang ohne Dialoge aus, wird einzig von der eindringlichen Musik von Maurice Jarre getragen. Viele Worte sind hier aber auch nicht nötig, der Film erzählt seine Geschichte in der klassischsten Form, mehr oder weniger einzig über die Bilder. Es sind Szenen die sich ins einem einprägen, in denen Georges Franju zeigt, wozu ein Horrorfilm in der Lage ist. Perfekt wird dies verdeutlicht in der ersten Szene, in der wir Christine, die Tochter des Arztes sehen. Wir wissen nur, das sie entstellt ist, ihr Gesicht komplett zerstört ist. So sind es dann die zwei typischen Gedanken die einem durch den Kopf gehen, zum einen natürlich, will man sehen wie Christine aussieht, zum anderen ist da die „Angst“ vor dem was einen erwartet. Und genau das hat auch Franju erkannt, so gelingt es ihm auf grandiose Weise, den Zuschauer immer wieder auf die Folter zuspannen, immer wieder positioniert er die Kamera so, dass wir das Gesicht nicht zu sehen bekommen, erst als Christine ihre Weiße Plastikmaske aufsetzt sehen wir sie auch von vorn, sehen in das weiße, ausdruckslose Gesicht einer Maske.
Der Film bewegt auf vielen Ebenen. Zum einen ist da natürlich die Geschichte an sich, die voller Tragik ist. Der Vater der seine geliebte Tochter entstellt hat, sie für immer aus dem Leben gerissen hat, und nun alles Versucht um seinen Fehler wieder zu bereinigen, dabei aber immer wieder aufs neue scheitert. Genauso versinnbildlicht der Film aber auch den Verlust des Vaters. Auch er hat sein „gesicht“ verloren, scheitert immer wieder an der Medizin, fürchtet um seine Reputation, benutzt letztlich auch das Unglück seiner Tochter um sich selbst sein Gesicht zu bewahren.
Dabei schwebt die Figur der Christine wie ein Schicksalsengel über der Geschichte Durch ihre weißen weiten Gewänder und ihre ausdruckslose Mine, verliehen durch die Maske, wirkt sie wie ein Geist, wie ein Schatten der ruhelos durch das Gefängnis wandert, zu dem ihr zu hause geworden ist. Letztlich ist so aber doch das lebendigste in diesem Haus, sie ist es die den Versuchen und Methoden ihres Vaters auf die Spur kommt, die liebevoll mit den Hunden umgeht, die ihr Vater für seine Transplantationsversuche gefangen hält und die letztlich zu seinem Schicksal werden. Sie ergibt sich in ihre Aufgabe. Ist zugleich voller Verzweiflung, so ruft sie immer wieder die Telefonnummer ihres Verlobten an, der sie für Tod hält, nur um seine Stimme zu hören, und ist sich doch zugleich bewusst das sie nicht mehr als ein Versuchsobjekt ist. Sie wird am Ende frei sein (auch wenn sie nie eine Gefangene war), wird aber auf immer entstellt sein. Wird auch weiterhin ihre Emotionen hinter einer weißen nichts sagenden Maske verbergen.
All dieses (und noch etliches mehr) verpackt Franju in düstere schwarz weiß Bilder. Selbst die Bilder strahlen hier keine Hoffnung aus, wirken bereits tot. Die Kamera fängt die Protagonisten und ihre Geschichte immer wieder in weitläufigen Fahrten ein, wirkt dabei aber trotzdem statisch, verliert sich nie in Hektik und auch die Schnitte wirken wohl platziert.
Trotz des fehlenden Tempos, weißt der Film keinerlei Längen auf, die Story fesselt von der ersten Minute an, hat ihre einzige Schwäche in der Einführung der Polizei, baut diesen Punkt aber nicht zu sehr aus und konzentriert sich wieder auf das wesentliche, das Drama, dass hinter allem steht.
Dabei geht aber die Spannung nie verloren, bis zum Ende bleibt der Ausgang des Films ungewiss, wirkt dann aber doch in gewisser weise befriedigend und lässt den Zuschauer mit einem Gefühl der geübten Gerechtigkeit zurück, auch wenn ich es keineswegs als klassisches Happy End bezeichnen würde.
Der Film steht in dem Ruf, als einer der ersten in Richtung des späteren Gore-Horros zu tendieren. Letztlich ist diese Aussage dann aber doch weit verfehlt. Zum einen weil die wenigen Szenen, die zur Zeit der Entstehung des Films wirklich schockiert haben dürften, keineswegs Selbstzweckhaft eingesetzt werden, und zum anderen, weil sie einfach in ihrer Art der Ausführung zu eindeutig zu identifizieren sind. So ist es dann auch eher das Gefühl der puren Ungerechtigkeit, die einem bei der explizit gezeigten Gesichtshautentfernung mitreißen, als der leicht als Trick zu erkennende Einsatz von Kunstblut. Die Effekte sind trotzdem auch in Anbetracht des Alters des Films, sehr gut gelungen und wirken durchdacht eingesetzt. So gelingt es zum Beispiel durch den simplen Überblendtrick bei der Abstoßung der Gesichtshaut durch Christines Körper, etwas schon fast Lehrfilmhaftes einzuführen, das zugleich auch die Sichtweise des Arztes auf seine Patientin noch mehr hervorhebt.
Getragen wird der Film letztlich von den Leistungen seiner Darsteller. Herausragend hierbei ist sicherlich Pierre Brasseur als Doctor Génessier. Er spielt den Arzt als Mischung aus Skrupellosigkeit, klassischer Mad Scientist Figur und verzweifeltem und zerrissenem Vater, der voller Schuldgefühle ist. Dabei hat man als Zuschauer aber immer den Eindruck als ob der latente Wahnsinn und die Besessenheit von Minute zu Minute mehr durch die hauchdünne Oberfläche scheinen. Ganz große Leistung. Ähnliches gilt auch für Edith Scob, die ihrer Figur trotz der Maske, die sie in einem Großteil des Films trägt immer genügend Aussagekraft gibt, um die fehlenden Emotionen im Gesicht durch Körpersprache und Haltung zu versinnbildlichen. Auch hier sind wieder die Anleihen an den Stummfilm vorhanden, denn vieles was Christine an Gefühlen durchlebt wird durch die leichte Übertreibung in der Gestik transportiert, die so typisch ist für die Zeit vor dem Tonfilm.
„Augen ohne Gesicht“ ist ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnlicher Film. Er kann nicht nur mit den ersten dezenten Ausflügen in das spätere Exploitationgenre aufwarten, er ist vor allem ein stilbildendes Stück Filmgeschichte. Das er dabei auch noch durch nahezu perfekte Spannung, eine packende Story, erstklassige Darsteller und eine begeisternde Optik überzeugt macht ihn nur um so wertvoller. Der Film ist die endgültige Abkehr vom Charme der klassischen Horrorfilme, er zeigte zum ersten Mal, einen neuen Weg auf, den das Genre beschreiten kann, und in den folgenden Jahrzehnten auch immer wieder beschritten hat. Der Film ist realistisch, er ist bedrückend und er bezieht seinen Horror nicht aus einer durchweg bösen Kreatur, er zeigt dass das Böse der Mensch selber ist, und dass auch das Böse hinterfragt werden kann und erst durch diese Hinterfragung letztlich seine ganze dämonische Präsenz bekommt. Dazu bedarf es keines Wolfmanns oder Dracula, dazu bedarf es nur eines Meisterwerks wie „Augen ohne Gesicht“. 9,5 von 10 Punkten.