Und wieder einmal überzeugt Ken Loach mit einer hervorragenden Gesellschaftskritik...
"Just a Kiss" ist ein sehr rührendes und brisantes Drama. Durch Globalisierung, durch Kriege und die damit verbundenen Flüchtlingsströme und durch Kolonien ist ein Brennpunkt auf der Welt entstanden, der nicht einfach zu lösen ist. Viele Kulturen müssen, dürfen, können und wollen miteinander leben, doch das klingt einfacher als es in Wirklichkeit ist. Ken Loach hat in "Just a Kiss" die Beziehung zwischen schottischen Katholiken und moslimischen Pakistani gewählt. Der Film spielt in Glasgow, einem entscheidenden Brennpunkt in der Welt, wo allein der Krieg zwischen Protestanten und Katholiken seit Jahrzehnten brodelt. Nicht umsonst spielt bei Celtic kein Protestant und bei den Rangers umgekehrt kein Katholik!! Ist das nicht verrückt in einer so fortschrittlichen Welt?
Eben diese Konflikte muss auch Casim (Atta Yaqub) ertragen. Er ist Moslem und auch so erzogen, seine Eltern pflegen die Tradition der Pakistani bis ins Letzte. Allerdings bestimmen bei Casim auch westliche Einflüsse. Er hat in Glasgow studiert, er arbeitet erfolgreich als DJ und stellt mit einem Freund einen neuen Club auf die Beine.
Casims Zukunft sieht so aus, dass er eine wildfremde Pakistani heiratet, mit ihr in den Anbau neben seinen Eltern zieht und Kinder bekommt...
Als er jedoch einmal seine Schwester von der Schule abholt, verliebt er sich in die Musiklehrerin Roisin (Eva Birthistle). Sie ist Katholikin an einer katholischen Schule!
Sehr euphorisch lassen sich beide aufeinander ein, doch nach kurzem muss Casim damit herausrücken, dass er eigentlich schon versprochen ist und in wenigen Wochen heiraten wird. Jedoch ist ihm bewußt, dass er dies nur macht, weil er seinen Eltern keine Schande bringen will. Denn dies wäre eine der größten Schanden, die einem Moslem zu Teil werden kann: Eine Beziehung mit einer Weißen, noch dazu mit einer Nicht-Moslimin!! Nebenbei geht es auch noch um die Heirat der größeren Schwester, da dessen Zukünftiger wegen der Schande die Hochzeit anulieren möchte...
Nichts desto trotz wendet sich Casim aus Liebe von seiner Familie ab, er zieht daheim aus und bläst gleichzeitig die Hochzeit mit seiner Versprochenen ab!
Von nun an versuchen seine größere Schwester und auch seine Eltern alles, um Casim zum Umdenken zu bewegen, sie stellen Fallen und versuchen seine Freundin zu beeinflussen.
Aber nicht nur Casim bekommt wegen der Mischbeziehung Probleme. Selbst der westlichen Roisin wird etwas zum Verhängnis: Casim der Moslem! Wieso das, wird man sich jetzt fragen! In Schottland wird ein Lehrer zusätzlich vom Gemeindepfarrer beurteilt. Dieser beobachtet das Leben des Lehrers und stuft dann die Bedenklichkeit ein...Roisin ist immer noch verheiratet, was für die Kirche eine Schande ist, wenn sie mit jemand anderem eine Beziehung hat, wenn es zudem noch um einen Moslem geht, dann hört der Spaß ganz auf. Der einzige Ausweg für den Pfarrer wäre, dass sie sich sofort scheiden lassen würde, Casim heiraten würde und zusätzlich sich dazu verpflichtet, dass ihre Kinder nach katholischem Glauben erzogen würden...Wahnsinn! man muss sich die Toleranz in der heutigen Zeit vorstellen...Das Beste ist, dass Roisin erstklassige Arbeit an der Schule verrichtet, was aber in den Augen der Katholiken zweitranging ist. Selbst ihr stärkster Befürworter, der Schuldirektor, kann nichts mehr für sie tun. Roisin wird an eine konfessionslose Schule versetzt...
Es ist wirklich erschreckend zu sehen, wie sehr die Glaubensrichtung Einfluß in den Beruf, auf die einzelnen Menschen und auch die zwischenmenschlichen Beziehung haben kann...
Der Film ist gespickt voll mit abartigen Heucheleien. Heucheleine, um eine Glaubensrichtung zu befriedigen, Heucheleien um seinet selbst willen, Heucheleien, um nicht Schande über die Familie zu bringen...die geht unendlich weiter...selbst Casim ist von den Heucheleien nicht ausgenommen. Er wünscht sich eine westliche Orientierung, wenn es aber um seine kleine Schwester geht, dann ist er überzeugt davon, dass sie nichts in Clubs zu suchen hat oder keinesfalls das Anrecht darauf hat in Edinburgh zu studieren...
Es ist wirklich fantastisch mit wie viel Feingefühl Ken Loach die einzelnen Charaktere beleuchtet. Er springt zwischen den Welten, obwohl es eigentlich eine einzige Welt sein sollte, denn schließlich wohnen alle Kulturen zusammen in einem Land. Dass es nicht leicht ist, verschiedene Kulturen miteinander zu vereinen bzw. dass dieser Entwicklungsprozess noch lange andauern wird, ist wirklich bedauerlich. Ken Loach regt aber an, dass mehr Toleranz herrschen sollte, auf der einen, wie auf der anderen Seite! Kann es denn sein, dass im 21. Jahrhundert eine Lehrerin gefeuert wird, weil sie mit einem Anderstgläubigen zusammen ist? Erzieht sie deswegen unsere Kinder schlechter?? Warum kommen östliche Kulturen in eine westliche Welt ohne nur den geringsten Aufwand zu betreiben, die westliche Welt kennen lernen zu wollen bzw. ihr eine Chance zu geben??
"Just a Kiss" ist stellenweise ein sehr trauriger Film, auch wenn er mit einem Happy-End versehen ist - ohne wäre es schockierender, aber realistischer. Dieses Happy-End ist nämlich leider in der Realität selten der Fall!
Durch die Objektivität, mit der Loach vorgeht, schlägt man sich auf beide Seiten. Man kann die Angst der Muslime verstehen, die oft auf Rassismus treffen, sich der westlichen Welt zu öffnen. Man kann aber auch die westlich erzogenen Menschen verstehen, dass sie nicht die Bräuche der Muslime verstehen können.
Krass finde ich allerdings, wie hart Ken Loach mit der katholischen Kirche in Schottland ins Gericht geht. Er stellt den Gemeindepriester dermaßen "teuflisch" dar, dass man, selbst wenn man es versucht, kein gutes Bild bekommen kann und auch kein Verständnis für die Haltung aufbringen kann im Gegensatz zu allen anderen Kontroversen...
9.5/10 Punkte