Bei „November“, einem von Regisseur Greg Harrison in nur 15 Tagen inszenierten bizarren kleinen Mindfuck, handelt es sich um eine weitere Produktion aus dem Hause „InDigEnt“. Im Einklang mit dem Firmennamen („Independent Digital Entertainment“) hat man sich darauf spezialisiert, unabhängig von größeren Studios low-Budget-Projekte zu realisieren, welche aus künstlerischen sowie kostenspezifischen Gründen auf Digital Video gedreht werden. Da diese zumeist ansprechende Geschichten erzählen und/oder interessante Themen behandeln sowie sich die beteiligten Schauspieler bei der Umsetzung relativ stark entfalten können, war es den Verantwortlichen in jüngster Zeit immer öfters möglich, trotz der finanziellen Limitierungen auch weit über den Indie-Bereich hinaus bekannte Gesichter zu gewinnen, die sich gerne dazu bereit erklärten, für eine Minimalgage Werke wie „Final“ (Denis Leary, Hope Davis), „Chelsea Walls“ (Ethan Hawke, Rosario Dawson), „Lonesome Jim“ (Steve Buscemi, Liv Tyler) oder „Pieces of April“ (Katie Holms, Oliver Platt) mit ihrer Beteiligung zu beehren. In diesem Fall sind James LeGros, Anne Archer und Courteney Cox mit von der Partie. Vor allem im Falle letzterer, ihres Zeichens eine der bestbezahlten Seriendarstellerinnen und zugleich Musterbeispiel einer Mainstream-Laufbahn, handelt es sich bei diesem Karriere-Schachzug zweifelsohne um einen Versuch, bewusst eine gewisse Distanz zu ihrem bisherigen Image zu schaffen und zugleich etwas Credibility in dramatischen bzw ernsthaften Rollen gewinnen zu wollen. Die Verwirklichung dieses Films verschlang übrigens insgesamt die Summe von nur etwas über 150.000 Dollar (!) – ein Bruchteil dessen, was Cox allein für einen einzelnen Auftritt bei den „Friends“ als Entlohnung erhielt…
Im Anschluss an eine schwierige Phase ihrer Beziehung, in welcher eine zwischenmenschliche Entfremdung in einer beinahe unausweichlichen Affäre resultiert war, hatte der Abend des siebten Novembers für die Photographie-Lehrerin Sophie (Courteney Cox) und ihren Freund Hugh (James LeGros) endlich mal wieder sehr angenehm begonnen – und zwar in Form eines hervorragenden asiatischen Essens inklusive einer allgemein ausgelassenen Stimmung, was bei ihnen in letzter Zeit eher zur Seltenheit geworden war. Nun soll der Tag nur noch gemütlich in den eigenen vier Wänden ausklingen, und da etwas Schokolade das Tüpfelchen auf dem „i“ markieren würde, halten sie an einem kleinen 24h-Laden in der Innenstadt, wo er ihr diesen Wunsch gerne erfüllen möchte. Da er seine Brieftasche zuhause liegen gelassen hat, gibt sie ihm Geld, worauf er losgeht, während sie im Wagen auf ihn wartet. Kurz darauf betritt ein junger Mann das Geschäft, zieht eine Waffe und fordert die Herausgabe der Einnahmen. Als er Hugh erblickt, verlangt er dessen Portemonnaie – seiner Aussage, er habe keins bei sich, schenkt er keinen Glauben und streckt ihn mit einem Schuss in den Oberkörper nieder. Derweil macht sich Sophie Gedanken, wo er denn nun bleibt, weshalb sie ihn per Handy anruft: Das Klingeln überrascht den Kriminellen, worauf dieser aus Wut ein weiteres Mal auf Hugh schießt – mit tödlichen Folgen. Im Anschluss beseitigt der Mann auch die verbliebenen zwei Zeugen und flieht unerkannt – wenig später findet Sophie die Leichen.
Seitdem leidet sie unter fürchterlichen, sporadisch auftretenden Kopfschmerzen und versucht ihr Leben erneut in den Griff zu bekommen. Ihre Mutter (Anne Archer), welche ohnehin der Meinung ist, sie würde konstant unter ihren Möglichkeiten verbleiben, ist keine große Hilfe, ihre Psychiaterin (Nora Dunn) schon eher. Mit letzterer versucht sie das Erlebte zu verarbeiten sowie ihre gleichzeitigen Schuldgefühle (aufgrund ihres Verhältnisses mit einem Kollegen) in den Griff zu bekommen. Eines Tages passiert jedoch etwas Merkwürdiges im Verlauf eines von ihr gehaltenen Unterrichts, in dem eine Schülerin aktuell per Diaprojektor der Klasse ihre Fotos vorführt: Das letzte Bild im Magazin stammt nicht von der Präsentatorin und zeigt ihren Wagen genau vor dem betreffenden Mini-Markt stehend – und sie war erst einmal dort, nämlich an jenem Abend der Tat, weswegen die Aufnahme genau dann entstanden sein muss. Zufall oder Absicht? Woher stammt das Bild? Schlagartig sind die Emotionen und Erinnerungen wieder da, die Kopfschmerzen werden schlimmer. Mit Hilfe der Seriennummer auf dem Dia-Rahmen findet sie heraus, wo es entwickelt wurde. Der zuständige Polizist (Nick Offerman) willigt sogar ein, eine Liste der in Frage kommenden Kunden zu besorgen – der Auftraggeber ist tatsächlich schnell zu ermitteln: Sie selbst war es! Aber wie kann das sein? Warum kann sie sich daran nicht erinnern? Und was haben diese ganzen merkwürdigen Träume bzw Visionen zu bedeuten, welche die Situation anders aufzeigen, als sie ja eigentlich war? Immer merkwürdigere Geschehnisse beginnen sich zu entfalten: Beispielsweise geht ihr Fernseher auf einmal an, worauf sie das Überwachungsvideo erblickt, das den ganzen Überfall aufgezeichnet hat. Und dann steht Hugh plötzlich (wieder?) vor der Tür…
Die von mir beschriebene Handlung bezieht sich nahezu ausschließlich auf das erste Drittel des Films – mehr zu verraten wäre unfair, doch keine Sorge, wir haben es hier nicht mit einer „Ghost: Nachricht von Sam“-Variante zutun, genau genommen spielen Geister oder Botschaften aus dem Jenseits überhaupt keine Rolle. Wer Kenntnisse in Psychologie besitzt, wird recht bald hinter das entscheidende Geheimnis kommen, was an einer speziellen Theorie bzw Erkenntnis liegt, die mehr oder minder auffällig Verwendung findet. So einfach, wie man vielleicht denken mag, ist es trotzdem keineswegs. Entfaltet sich der Anfang noch konventionell und geradlinig, treten schon bald immer seltsamere Elemente zum Vorschein – beispielsweise findet Sophie einen Zeitungsausschnitt des Verbrechens innerhalb einer ihrer Zimmerwände sowie ein Foto eines weiteren Opfers des Überfalls, das aber nicht am Tatort gefunden wurde. Von der Struktur her lassen sich deutliche Parallelen zu „Lola rennt“ erkennen, denn man erhält die Grundgeschichte insgesamt in drei verschiedenen Varianten präsentiert, jeweils mit dem Geschehen im Mini-Markt als zentralen Punkt. Mal wird mehr auf die Ereignisse im Vorfeld eingegangen, mal mehr auf die Nachwirkungen – die Wahrheit liegt in der Gesamtheit verborgen, die sich nach und nach erschließen lässt. Das Ende klärt alles plausibel und zufriedenstellend auf – die richtige Kombination der in den jeweiligen „Episoden“ erhaltenen Informationen vervollständigt das Bild, vor allem wenn man die unchronologische Erzählweise passend ordnet. Im Gegensatz zu „Lola rennt“ ist der Aufbau von „November“ demnach keine reine stilistische Spielerei, sondern dient einem klaren Zweck. Die einzelnen Ebenen unterscheiden sich zudem anhand ihrer Farbgebung – ein hervorragend funktionierendes Stilmittel, welches jeweils die geistigen und emotionalen Verfassungsstadien der Hauptprotagonistin veranschaulicht sowie den Look zugleich von der großen Mehrheit der auf DV-Material gedrehten Werke unterscheidet: Das erste Drittel, welches den Titel „Denial“ trägt, kommt in sehr kalten, düsteren Blau-, Grau- und Grüntönen daher, „Despair“ wirkt wärmer, da das Zwischenmenschliche eher im Vordergrund steht, der Abschluss („Acceptance“) besitzt eine natürliche Farbgebung. Je näher man der Auflösung kommt, desto realer erscheint alles. Es sind ausgerechnet diese Kapitel-Benennungen, welche den erwähnten Haupthinweis auf des Rätsels Lösung liefern (vgl. die Arbeiten von Elisabeth Kubler-Ross), was zwar von der Konzeption her sehr treffend passt, in meinen Augen allerdings leider etwas zuviel verrät.
Für Mainstream-Akteure ist es zweifelsohne ein geschickter Schritt, den Versuch, sich abseits der sonst üblichen Rollenausrichtung profilieren zu wollen, erst einmal auf dem Independent-Sektor anzugehen, wo es weit weiniger auf die persönliche Vermarktung oder den letztendlichen Box-Office-Effekt ankommt. Hier ist es nun also Courteney Cox, die jüngst mit ihrem Auftritt im „the longest Yard“-Remake den absoluten (künstlerischen) Tiefpunkt ihres bisherigen (jüngeren) Oeuvres erreichte. Wer hätte gedacht, dass die knabenhafte Gestalt, welche Brian DePalma im Jahre 1985 für das Bruce Springsteen Video „Dancing in the Dark“ entdeckte, überhaupt so weit kommen würde? Heute, etliche B-Filme (z.B.“Masters of the Universe“), TV-Serien (wie „Family Ties“ oder „Friends“), schmeichelhafte Presse-Titel (u.a.“the hottest Babe 1995“) und Kino-Hits (a la “Ace Ventura“ oder die „Scream“-Trilogie) später, hat sie finanziell ausgesorgt und ist weltweit zu einem Begriff geworden. Was ihr aber noch fehlt, ist Anerkennung im dramatischen Fach – und da kommt „November“ ins Spiel: Ihr Part ist vielschichtig, fordernd, verlangt eine weite Bandbreite an vermittelten Emotionen und eignet sich demnach optimal für eine derartige Herausforderung. Allein äußerlich wird vollkommen auf Glamour verzichtet, denn sie soll ja eine Allerwelts-Lehrerin verkörpern – eine günstige Brille, Kleidung von der Stange sowie eine einfache Frisur, welche ihre Mutter als „a underachiever´s Look“ bezeichnet, reichen dafür erstaunlicherweise schon aus. Ihre strebsame, natürliche Erscheinung erinnerte mich zudem positiv an Jennifer Garner´s charmanten („geeky“) Stil vor ihrem assimilierenden Hollywood-Makeover. Also schonmal ein Plus auf meinem Bewertungsbogen – viel wichtiger ist allerdings, dass sie tatsächlich darstellerisch überzeugt. Nicht nur Verzweifelung, Liebe, Angst, Furcht oder innere Zerrissenheit vermittelt sie glaubwürdig und unaufdringlich, es gelingt ihr zudem, währenddessen jede Erinnerung an Monica Geller aus dem Gedächtnis des Zuschauers zu verbannen. Sie trägt das Werk nahezu alleine, denn sie ist in fast jeder Szene präsent und vermittelt einen umfassenden Eindruck ihrer Figur, obwohl die Einführung aufgrund der Struktur eher knapp gehalten ist. Nichtsdestotrotz wirkt der Film nie wie ein eigens auf sie zugeschnittenes Vehikel. Ihr zur Seite steht der genauso glaubhafte James LeGros (“Thursday“/“Living in Oblivion“) als Hugh, dem zwangsweise weniger Raum zur Entfaltung zugestanden wird, ohne dass dabei die Chemie zwischen ihm und Sophie leidet, denn gerade im Mittelteil ist diese sehr effektiv und setzt entscheidend den Ton für den letzten Akt. Darüber hinaus sind noch Anne Archer (“Patriot Games“/“Art of War“) und Nora Dunn (“Out of Time“/“Runaway Jury“) in wenig umfangreichen, aber bedeutsamen Nebenrollen zu sehen. Die Cast stimmt also, doch die Bühne gehört Frau Cox, welche sich hiermit ansehnlich für weitere Aufträge dieser Ausrichtung empfiehlt.
Die nach dem Raver-Streifen „Groove“ zweite Regiearbeit des ehemaligen Trailer-Editors Greg Harrison profitiert ungemein von seinen Vorkenntnissen, denn die Optik und Schnitt-Technik spielt eine gewichtige Rolle und hebt sich auf eine positive Weise enorm von der Masse der sonstigen auf Digital Video gebannten Werke ab. Die Kameraarbeit von Nancy Schreiber („Blair Witch 2“) besticht durch kreative Einfälle und ungewöhnliche Perspektiven, welche die düstere Grundstimmung hervorragend unterstreichen. Per Filter hervorgerufene Farbgebungen besitzen einen speziellen Sinn und dienen nicht bloß als ein stilistisches Mittel, mit dem man von irgendwelchen Verfehlungen abzulenken versucht. Zusätzlicher Lohn der Mühe war 2004 sogar der „Best Cinematography“-Preis beim „Sundance“- Festival. Großartig ebenso der Score von Lew Baldwin („Groove“) sowie das Sound-Design, welches diverse Albtraum-artige Sequenzen (u.a. eine blutverschmierte Glühbirne oder ein blutiges Ohr, welches mit einem Q-Tipp angegangen wird) äußerst effektiv untermalt und die bedrohlich-irreale Atmosphäre sehr schön mit unterschiedlichen (creepy) Geräuschen verschiedener Intensitätsgrade aufstockt. Inhaltliche Gestaltungen, wie dass der Fotokurs nur aus Asiaten besteht, fördern das ungewöhnliche Grundgefühl ebenfalls. Das gesamte Erscheinungsbild ist einfach wunderbar stimmig, inklusive schneller Shock-Cuts von brodelnden Flüssigkeiten bzw ähnlich merkwürdigen Images, wodurch Sophie´s aus dem Lot geratene Realitätswahrnehmung visualisiert wird. Wie bereits erwähnt, kommt die Charakterzeichnung auf den ersten Blick zwar etwas kurz, doch wenn man diese zusätzlichen Veranschaulichungen ihres Zustands mit in Betracht zieht, reicht das Gebotene vollkommen aus.
Die Gestaltung und Präsentation ist fest mit der Handlung aus der Feder von Benjamin Brand (TV´s“Freshman Diaries“) verzahnt und vermag es dementsprechend, geringfügige Schwächen unaufdringlich zu übertünchen. Während ein Teil des „normalen Publikums“ sicher Probleme mit der ungewohnten Struktur haben dürfte, da ihnen nicht alles haarklein erklärt wird bzw ein Mitdenken erforderlich ist, dürfte die Auflösung geübte „Mindfuck-Vielseher“ sicher vor keine allzu große Hürde stellen. Das mindert den Reiz jedoch keineswegs, denn die Entfaltung entschädigt dafür allemal – und ich will an dieser Stelle kein Konzept kritisieren, dass sich so clever im Einklang mit seiner Grundidee offenbart, nur weil (mir) die zugrunde liegende Theorie bekannt ist. Eine Überschneidung ungleicher Realitätsebenen haben schon eine ganze Reihe Filme behandelt – man denke da nur an Lynch, Cronenberg oder Polanski – und einige der in ihnen behandelten Themen findet man hier wieder, wie eine geheimnisvolle Aufnahme der Hauptperson, von der nicht klar ist, wer diese aufgenommen hat (vgl.“Lost Highway“), der an „Rashomon“ erinnernde Erzählstil oder die Fotographie- und Eigenermittlungs-Elemente aus Michelangelo Antonioni´s „Blow-Up“. Die Gefahr, man könnte sich dabei eventuell einem Gefühl der Uneigenständigkeit ausgesetzt fühlen, kommt allerdings nicht auf, denn die Kombination stimmt. Gerade die Schlüsselszene am Ende besitzt, selbst wenn man sie schon länger kommen sieht, eine beinahe tragisch-poetische Note, welche erfüllend daherkommt und die ohnehin nur knapp 70-minütige Laufzeit bündig abschließt.
Fazit: „November“ ist ein Idealbeispiel dafür, wie man mit viel Talent und Kreativität aus einem Mikro-Budget von gerade mal 150.000 Dollar einen intelligenten, vielschichtigen, kopflastigen Psycho-Thriller kreieren kann, der es problemlos mit thematisch vergleichbaren, ungleich teureren Veröffentlichungen aus Hollywood´s Traumfabrik aufnehmen kann – zwar nicht perfekt, unabhängig davon aber absolut sehenswert … starke „8 von 10“