Auf „the Stratosphere Girl“, eine Co-Produktion etlicher europäischer Länder, habe ich mich bereits lange im Vorfeld gefreut. Die Kritiken im Rahmen der Berlinale klangen viel versprechend, der Trailer sah hervorragend aus, und zudem schaue ich mir Geschichten, die fernöstliche Kulturen aufgreifen, gerade auch im Kontext der heutigen Zeit (wie etwa „Lost in Translation“ oder „Demonlover“), allgemein recht gerne an. Gute Voraussetzungen für einen angenehmen Videoabend…
Die 18-jährige Angela (Chloe Winkel) führt ein ziemlich eintöniges Leben – vom Vater verlassen, lebt sie zusammen mit ihrer Mutter in einem typischen Reihenhaus und entflieht diesem Zustand bestenfalls in ihrer Phantasie, welche sie zudem in Form von „Manga“-artigen Comiczeichnungen festhält. Auf ihrer schulischen Abschlussparty trifft sie den nur wenig älteren DJ Yamamoto (Jon Yang – TV´s „Dream Team“), der ihr nach einem offenen Gespräch schließlich die herbeigesehnte Möglichkeit bietet, endlich aus dem Alltag auszubrechen und ein Abenteuer, ganz wie die Helden in den Geschichten, einzugehen: Er vermittelt ihr eine Unterkunft in Tokio und schlägt vor, dort als Hostess zu arbeiten, denn damit ließe sich viel erleben sowie gutes Geld verdienen.
Ohne groß darüber nachzudenken, ergreift sie die Möglichkeit und nimmt den Vorschlag an, reißt von zuhause aus und findet sich nach einem langen Flug in der fremdartigen japanischen Metropole wieder. Die WG teilt sie sich mit einigen anderen Hostessen, die sie sowohl freundlich als auch etwas zurückhaltend bei sich aufnehmen und sie am Abend mit zur ihrer Arbeitsstätte nehmen – einem Club, in welchem sich reiche, gestresste Geschäftsleute von jungen, westlichen Mädchen verwöhnen lassen. Nach anfänglichen Problemen bekommt Angela den Job und avanciert dank ihrer Lolita-haften Ausstrahlung schnell zum neuen Star des Etablissements, was wiederum den Neid ihrer Kolleginnen hervorruft und zu Spannungen in der Lebensgemeinschaft führt. Per Zufall findet sie bald heraus, dass das Mädchen, deren Platz in der WG sie eingenommen hat, seit einiger Zeit spurlos verschwunden ist. Angetrieben von der erwachten Abenteuerlust, stellt sie neugierig eigene Nachforschungen an, welche sie zu dem zwielichtigen Kruilman (gute Hassfigur: Filip Peeters – TV´s „Wilde Engel“) führen. Noch bevor sie vollends merkt, in was sie da eigentlich hineingeraten ist, spitzt sich die Lage jedoch zu. Auf die Polizei kann sie dabei kaum zählen, da sie ja illegal im Lande arbeitet und der Verdächtige zudem ein angesehenes Gesellschaftsmitglied ist. Ihre Hoffnung ruht aber auf Yamamoto, dessen Ankunft in der Stadt sie jederzeit erwartet…
„The Stratosphere Girl“ bietet sehr stilisierte Einsichten in die (aus Sicht des westlichen Zuschauers) sehr exotische Kultur Japans. Tokio wird als pulsierende Metropole voller Neonlichter und unübersichtlicher Architektur dargestellt, durch deren Straßenschluchten die Kamera immer wieder zwischen einzelnen Sequenzen wie auf der Suche nach dem richtigen Weg hindurchfährt – mal in Zeitlupe, mal in Zeitraffer, je nach Atmosphäre oder persönlicher Stimmung. Diese fremde, ungewöhnliche Kultur wird anhand etlicher Beispiele veranschaulicht, wie etwa die dünnen Wände der städtischen Wohnungen, die schon bei mäßigem Druck pappartig nachgeben, oder die „After Work“-Clubs, in denen sich Anzug tragende Geschäftsmänner mit jungen europäischen Frauen schmücken und dadurch ein Gefühl der Erhabenheit oder persönlichen Entfaltung erhalten, während sie tagsüber ausschließlich für den Job leben.
Zusätzlich wird die Comickultur des Landes durch Angelas Zeichnungen aufgegriffen, welche, parallel zu ihrem Erzählen der Geschichte, in bestimmten Szenen eingefügt werden, indem die von der Kamera eingefangenen Bilder jeweils kurz zu deren skizzierten Abbildungen wechseln. Diese Übergänge sind fließend umgesetzt worden sowie schön anzusehen, was mit der fast träumerischen Ruhe der Inszenierung stimmig harmoniert. Allgemein hat Kameramann Michael Mieke hervorragende Arbeit geleistet, die passend arrangierten und ausgeleuchteten Sets optisch einzufangen und den zu vermittelnden Gefühlen anzugleichen (der Club besteht etwa aus dunkleren Farbtönen, während Yamamotos Wohnung, quasi als Zufluchtsstätte und Ort der Ruhe, ausschließlich weiß eingerichtet ist).
Mal abgesehen davon, dass man Einblicke in die japanische Lebensart aus befremdlich-westlicher Sicht sowie Ansichten der bunten Neonfassaden nicht erst seit „Black Rain“ gewährt bekommen hat, oder dass „Lost in Translation“ die kulturellen Unterschiede gar kürzlich wesentlich überzeugender veranschaulichte, enttäuscht dieser Film zudem aufgrund der verschenkten Möglichkeiten: Die Krimi- bzw Thrillerelemente (der ohnehin dünnen Story) um die verschwundene Hostess wirken halbherzig, sind unspannend umgesetzt worden und erscheinen daher fast belanglos. Es mangelt dem Film schlichtweg an Mut, denn die dunkle, fremde Atmosphäre wird bestenfalls nur ansatzweise dazu genutzt, eine bedrohliche Stimmung zu erzeugen. Die möglichen Verstrickungen des „Opfers“, das Problem der Sprachbarriere, die illegale Tätigkeit der Mädchen – dort hätte man mehr in die Tiefe gehen müssen. Alles verbleibt oberflächlich: Angela wird von den Mädchen aus Neid gemobbt (Kleber im Shampoo, Glasscherbe im Essen), doch das erscheint alles „halb so wild“, genauso wie dass die Mädchen von den Geschäftsmännern ständig verbal erniedrigt und sexuell belästigt werden (zwar für Geld, doch Auswirkungen auf deren Psyche werden nicht angegangen). Stattdessen bekommt man Klischees pur geboten: Fast alle Vorurteile gegenüber Japan werden bestätigt (vom Lolita-Kult, Girls in Schulmädchenuniformen, Europäerinnen im Dirndl bis hin zum Verkauf von getragener Unterwäsche für die Miete), wie auch gegenüber Hostessen, Models oder weiblichen Teens, die zusammen wohnen und arbeiten (Neid und Zickenalarm, gar inklusive einem handgreiflichen „Catfight“).
Hauptdarstellerin Chloe Winkel ist jedoch eine echte Entdeckung: Mit edeler Blässe und langen blonden Haaren verkörpert sie das Abbild eines (nicht nur japanischen) Männertraums und bedient dabei (meist unbewusst) alle Klischees – von dem reizenden und interessanten Akzent, wenn sie Englisch spricht, über die gebotene Naivität bis hin zum Lolita-artigen Auftreten. Obwohl sie Yamamoto kaum kennt, vertraut sie ihm in Sachen Beschäftigung, schwärmt von ihm in ihren Tagträumen und schreibt ihm blumige E-Mails wie ein typischer verknallter Teenie. Was genau von ihrem Auftreten jedoch Schein gegenüber dem tatsächlichen Sein ist, verbleibt letztendlich ein Rätsel, denn ihre Abenteuerlust (der spontane Aufbruch nach Japan, die Untersuchung des Verschwindens der Hostess) zeugt von einem starken Charakter – oder ist das alles bloß Wunschdenken, ein Produkt ihrer Phantasie, welche sie in den Comics verarbeitet und bildlich für den Zuschauer auslebt? Es gibt eine Vielzahl Indizien, die genau darauf hindeuten, doch darum geht es gar nicht in dem Film. Genauso wie sich Angela in ihrer Geschichte (mitsamt der Zeichnungen) verliert, soll sich der Zuschauer in den Bildern ihres Abenteuers verlieren. Größtenteils gelingt das Regisseur Matthias X.Oxberg („Under the Milky Way“) auch – man darf das Gebotene nur nicht hinterfragen oder zu intensiv darüber nachdenken. Vergleichbar ist das in etwa mit einer Seifenblase: Optisch kann man sich daran erfreuen, doch hinter der schönen Fassade gibt es leider nicht allzu viel zu entdecken. Und dann, gerade als sich der Verlauf absehbar seinem Höhepunkt nähert, zerplatzt das ganze Gebilde in Form einer ärgerlichen, unbefriedigenden und vor allem banalen Auflösung, welche zugleich rückwirkend einen negativen Schatten auf alles zuvor wirft. „Every line leads to somewhere“ heißt es im Film – nur schade, dass er auf diese Weise endet, so als wäre den Machern zum Schluss keine kreative oder originelle Möglichkeit mehr eingefallen, alles ohne einen billigen Schachzug abzuschließen…
Fazit: „the Stratosphere Girl“ ist letztendlich leider nicht viel mehr als eine (optisch) wunderbar eingefangene Schulmädchenphantasie vor der (in den Augen der westlichen Welt) fremdartigen Kulisse der Neonstadt Tokio. Angesichts des Potentials bleiben am Ende leider nur enttäuschende „5 von 10“.