Review

"Die Jahre haben endlich den Makel beseitigt, der auf dem Namen von Dr. Samuel A. Mudd aus Maryland ruhte. Und die Nation, die ihn einst verurteilt hat, ist sich nun der Ungerechtigkeit bewusst, die sie einem der selbstlosesten und mutigsten Männer in der Amerikanischen Geschichte zugefügt hat."

The Prisoner of Shark Island verbindet zwei Strömungen im amerikanischen Kino der 30er Jahre ebenso wie er mehrere Seiten seines Regisseurs John Ford zeigt.
Ford, der heutzutage fast nur noch, dafür aber umso mehr für seine Western bekannt ist und damit auch seine Karriere umrahmte, hat sich teils seines Lebens vor allem auch mit [zuweilen fiktiven] Biographien beschäftigt; wobei er dort nicht umhinging, die dargestellten Personen zu veredeln, die Handlungen zu vereinfachen und abseits von Rationalität mit spürbarer Emotionalität zu arbeiten. Zu diesen Werken, die nach dem "Schwarzen Freitag", dem 25. Oktober 1929, und der anschliessend ausbreitenden Weltwirtschaftskrise vermehrt das Interesse von Filmindustrie und Publikum erlangten, gehören Arrowsmith, Fleisch - Ring frei für die Liebe, Dr. Bull, Das Leben geht weiter, vor allem Der Verräter und Der junge Mr.Lincoln; die allesamt eine Art Gegenstück zu William Dieterles Louis Pasteur, Das Leben des Emile Zola, Juarez und Die Lebensgeschichte Paul Ehrlichs präsentierten.
Die Zuschauer wollten als psychologische Wirkung nun auch Ehrliches auf der Leinwand sehen, eine aktuelle Problematik gereicht bekommen oder der Wirklichkeit mitsamt der aufkommenden faschistischen Ideologie in eine ruhmreiche Vergangenheit entfliehen. Die Sehnsucht nach einer Zeit, die aufgehört hat zu existieren. Sie wollten nicht nur Seemannsgarn mehr und in den Zeiten zwischen Depression, Krisen und bevorstehenden Krieg auch keine romantische - verklärende Räuberpistole über prosperierende Großstadtgangster.

Der vorliegende Film erzählt in Auszügen eine wahre Geschichte nach, wobei man sich mehr an inakkurater Kolportage statt an bestätigten Sachverhalten hält, im Score desöfters traditionell amerikanische Rhythmen wie "Dixie's Land", "Maryland, My Maryland", "The Battle Cry of Freedom", ""Battle Hymn of the Republic" und den Zapfenstreich "Taps" anklingen lässt und man sich auch ausgiebig der affektiven Melodramatik bedient.
Dr. Samuel A. Mudd [ Warner Baxter ], ein country doctor mit bescheidenen Lebensstandard, bekommt in der Nacht auf den 15. April 1865 Besuch von zwei Fremden, die er verarztet und den gefragten Weg weist. Damit soll sein ganzes Leben aus den Fugen geraten sein; der Verletzte war der Schauspieler John Wilkes Booth, der einen Tag zuvor Präsident Abraham Lincoln erschossen hat und sich nun auf der Flucht befindet.
Mudd wird verhaftet und vor ein eilig einberufenes Kriegsgericht gestellt, wo er mit weiteren recht wahllos Aufgegriffenen der Mitverschwörung angeklagt wird und bereits vorverurteilt auch schuldig gesprochen wird.
"John Wilkes Booth wurde getötet, als er sich seiner Verhaftung in Virginia widersetzte. Und hinterliess so die Verantwortung für sein wahnsinniges Verbrechen acht merkwürdig unterschiedlichen Personen. Und die Unschuldigen ebenso wie die Schuldigen sahen sich nun einer aufgebrachten und untröstlichen Bevölkerung ausgesetzt."

Dabei besitzt Ford ein Drehbuch, dass alle Ingredienzien für ein die landesinnere Allgemeinheit ansprechendes Werk besitzt. Zum einen greift es direkt auf das einschneidende Intervall kurz nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg zurück, stellt die Kapitulation der Konföderierten und das Attentat auf Lincoln im Ford's Theatre in Washington als einleitende Szene voran und geht besonders im ersten Drittel - wenn auch oberflächlich - auf die zutiefst gespaltene Nation und die Rassen- und Sklavenproblematik ein. Dazwischen beginnt man seine simple, aber ergiebige Formel der Unschuldsbeteuerung, der ungerechten Verfolgung eines Tugendhaften und des Kampfes eines normalen Individuums gegen die Macht des Staates.
Im ersten Drittel legt man viel Wert auf häufige Schauplatzwechsel, bleibt aber immer im Mythos eines poetisierten Gewands. Dabei schneidet man sowohl den Kriminalfilm als auch den Western an, überblendet dann in ein Gerichtsdrama und eröffnet schliesslich den Mittel- und gleichzeitig auch Hauptteil: Einen prison flick, mit den Mitteln eines Abenteuerfilmes. Ohne aufwendige Spezialeffekte, aber trotzdem eine Sensationsgeschichte.

Filmographisch geht man damit wieder an die Anfänge des Jahrzehntes zurück, ohne die damalig effektive Authenzität erreichen zu können; dazu fehlt die Intention und folglich auch die Methodik. Neben den Gangsterfilmen gab es auch die Unterart, die sich um die Jurisdiktion und den Strafvollzug kümmerte und realistische, sozialkritische, ja anklagende Klassiker wie Menschen hinter Gittern, Die letzte Meile, 20.000 Jahre in Sing Sing und natürlich Jagd auf James A. hervorbrachte.
Ford hat etwas anderes vor, besitzt zwar rein formal einen durchaus nüchternen Reportagestil und verzichtet dabei auch auf einige seiner üblichen inszenatorischen Mechanismen, aber rafft die Geschehnisse viel zu sehr und ist mehr an der dramatisierenden Ebene interessiert als der dokumentierenden oder wenigstens beobachtenden.
So akzentuiert er durch den still und ruhig konstatierenden Blick der statischen Kamera, fängt auch die Mühe, die Erschwernis, Last, Qual des Zustandes auf der 70 000 m² großen Teufelsinsel Fort Jefferson auf den Dry Tortugas im Mexikanischen Golf ein, nimmt offen Partei für den schikanisierten Aussätzigen und stellt auch die psychische Anstrengung des Fluchtversuches mit eindrucksvollen visuellen Gespür dar, ohne eine Schaulust zu evozieren. Aber er ist nicht im Geringsten an einer Anprangerung des Strafvollzuges selber und der Abschaffung der inhumanen Zustände interessiert. Letztlich fragt man sich sogar, was ihn neben der ethischen Niedergeschlagenheit und dem traditionellen Misstrauen gegenüber der Zentralgewalt als Aussage überhaupt grossartig gereizt haben mag; wirklich deutlich wird ein subjektiv künstlerisches Engagement jedenfalls nicht.

So erscheint die Erzählführung auf Kosten der Existenzwahrheit öfters merkwürdig künstlich konstruiert, besonders die sittlichen Forderungen wechseln auf dem Weg zum puritanischen Konformismus zwischen archaischer und toleranter Moral hin und her; ausserdem verweigert man sich einer langwierig - diffizilen Abstraktion, kürzt die Ewigkeit auf einige rare Momente ab und teilt das Ganze zu einfach in die Fraktion der Guten und der Bösen ein. Schwarz und Weiss, richtig und falsch, Recht oder Unrecht. Dazwischen gibt es nichts. Keinerlei relativierenden Zwischentöne. Kein Zerrspiegel. Ebenso die Regie: Schnörkellos, ebenmäßige Tiefenschärfe, keine Staffelung in den Raum hinein, keine Brechungen, sondern Halbtotalen und Totalen. Alles so überschaubar wie im Märchen, angereichert mit etwas Horror.
Die aufspaltene Wahrnehmung bar systematischer Analysen stellt dabei nicht Booth als den Übeltäter vor, sondern andere Abarten des personifizierten Bösen, die dann auch aus purem Selbstzweck und zur eigenen Befriedigung Unheil anrichten. So stören die sonstig idealisierte Vergangenheit der amtierende Kriegsminister Mr. Erickson [ Arthur Byron ], der hauptsächlich für das rechtsprechende Kasperletheater verantwortlich ist, sowie sein Erfüllungsgehilfe Sgt. Rankin [ John Carradine ], der mit starrem Blick und malmendem Kiefer die Aufsicht im Seegefängnis führt und nur in Erregung gerät, als er begeistert auf die Haie im Wassergraben hinweist. [Carradine spielte eine ähnliche Landplage auch darauffolgend in Fords Trommeln am Mohawk, wo er zusätzlich mit einer schwarzen Augenklappe stigmatisiert wurde. Gütiger Gott.]
Beide sind nur verlängerte Arme des Lynchmobs und werden in Aussagen und Handlungen derartig schablonenhaft überzeichnet, dass man als Nächstes beinahe den metaphorischen Schachtelteufel erwartet, der von der Sprungfeder getrieben aus der Kiste springt und die Willkür der Figurenzeichnung vervollkommnet.

So verlautbart Erickson vor den versammelten Militärs, dass ihre Aufgabe nicht darin besteht, die Schuld oder Unschuld von ein paar Rebellen festzustellen, sondern das Land vor ähnlichen Gräueltaten zu bewahren. Sie sind bei dem anstehenden Schmierenprozess die Einzigen, die die Konförderierten vor der Hysterie und das Land vor Aufruhr, Verwilderung und einem Wiederaufkommen des Krieges retten können.
- man blendet auf acht verängstigte Normalbürger, incl. Mudd und einer älteren Hausfrau -
Folglich soll ihr klares Urteilsvermögen nicht durch unwichtige Fragen des Gesetzes und auch nicht durch pedantische Beachtung der sonst üblichen Regeln der Beweisführung getrübt werden.
Und "begründete Zweifel" ist eine tadelnswerte Ausgeburt des legalen Unsinns.
Während dies inclusive des diabolischen Gefängniswärters vielleicht noch zugunsten einer intensiveren Aufklärungsmoralistik zugestanden werden kann - und Carradines Darstellung ein sehenswerter Wahnsinnsakt ist -, geht es auf der Sollseite vollkommen ins Desaster: Mudds Schwiegervater, ein Kriegsheld A.D., der wie ein kauziger Rohrspatz auf die vermaledeiten Yankees schimpfend durch die Kulissen eilt, kann man nur als Totalausfall bezeichnen. Auch die phasenweise Zeichnung der Farbigen entspricht nicht mehr gutmütigen Klischees.

Als Rettungsanker dient Warner Baxter im Fokus, von Einigen ungerechtfertigt als langweilig und farblos gegängelt. Zusammen mit dem universalen Thema und der professionellen Equilibristik von schwarz / weiss Fotographie, Schnitt und tadellos dichter Atmosphäre schafft es der actor in subtilen Schauspiel ohne weitere Anstrengungen, den Gehetzten, Abgekämpften auch ohne ausschmückende Theatralik aus der Boulevardliteratur zu verkörpern.

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