Warum habe ich erst jetzt von diesem grandiosen Meisterwerk erfahren? Diese Frage stelle ich mir jetzt als ich mir geradezu blind, auf anraten, diesen Film angesehen habe. Während jeder den Film „Kinder des Zorns“ kennt und der rauf und runter läuft und im Gegensatz zu diesem Werk keinerlei Anspruch und Tiefe besitzt, gilt „Ein Kind zu töten“ als Geheimtipp und das obwohl der Film in diesem Jahr 35-jähriges Jubiläum feiert. Anders als in anderen Horrorfilmen, die die Böse-Kinder-Thematik vertreten, ist dieser europäische Film geradezu behutsam in vielen Momenten, gar melancholisch aber im selben Moment schonungslos brutal und grausam. Wie Kinder halt sind...
Die ersten 8 Minuten wirken allein wie ein Vorschlaghammer auf die Seele des Zuschauers. Verstörende Bilder abgemagerter leidender Kinder, die in sämtlichen Kriegen dieser Welt aufs übelste Leid erfahren haben und schließlich elendig starben. Hinterlegt wird das ganze (was im ersten Moment, wie eine perverse Doku rüberkommt samt Voice-Over) mit Fakten wie viele Kinder dort unter den Opfern waren und diese grausamen Bilder werden auch noch in Slow-Motion herangezoomt und mit Kindergesang unterlegt. Dabei ist diese Prozedur auf dem ersten Blick einfach sinnlos schockierend, aber nach den 105 Minuten absolut nachvollziehbar. Je nach dem welche Theorie das Verhalten der Kinder in diesem Film erklären würde....
Die Story ist schnell zu erzählen. Ein glückliches Pärchen macht in Spanien Urlaub, und will auch in diesem Zuge eine abgelegene Insel besuchen, die auf dem ersten Blick nur von Kindern bewohnt ist. Mehr und mehr wird die Bedrohung der Kinder aber deutlich, spätestens wenn die Pinata, die die Kinder versuchen aufzuschlitzen ein alter Mann ist....
Klingt zuerst wie eine wilde tumbe Blut-Gedärme Show mit jeder Menge Kotzkinder a´la Kinder des Zorns oder Friedhof der Kuscheltiere, wobei dort sogar ein Säugling schlitzen ging. Aber entgegen der Erwartung der heutigen „blutgeilen“ Kinogesellschaft wirkt „Ein Kind zu töten“ sehr bedächtig und kommt komplett ohne sinnloses Blutvergießen und Schockeffekten aus. Was hier den Ton angibt, ist die geradezu traumhafte und zugleich bedrückende Atmosphäre die in jedem Bild einem Gemälde gleicht und die Story die einen ungeheuren Hintergrund besitzt und auch jeden Zuschauer anspricht. Kein Wunder das diese perfid-geniale Mischung aus Kopfkino und spannungsgeladenen Horrorfilm heute als „überbewertet“ von gewissen Cineasten abgestempelt wird. Diese Leute sollten lieber Filme der Marke Rob Zombie oder Eli Roth gucken, oder sich alle 7-Saw-Verblödungsfilme reinziehen. Denn diese blutünstigen-Folterwerke vermitteln ggf. Spannung aber nicht wie in diesem Falle (und ich spreche da von meiner Seite) Furcht und Angst auf einer unterschwelligen Ebene wie sie grausamer nicht sein kann......
Oftmals fühlte ich mich zurückversetzt als ich zum ersten mal „Funny Games“ gesehen habe, eine ruhige gemächliche Atmosphäre und dann wieder subtiler Horror, der einen unkontrolliert atmen lässt. Man fühlt sich geradezu in die Figuren hineinversetzt und fragt sich, wie würde ich handeln? Denn das ganze wirkt so bedrückend als wäre man mit auf dieser Todesinsel. Daher ist das Verhalten der Protagonisten, in meinen Augen, auf keinen Fall unglaubwürdig oder dumm.
Dem ganzen Terror wird hier dank der Musik noch die Krone aufgesetzt. Stets passend und oftmals bedrohlich wirkend. Auch fabelhaft wie hier zwar auf Gruseleffekte verzichtet wurde, dennoch man den ein oder anderen Schreck bekommt (ich erinnere nur mal an die Szene mit dem Beichtstuhl, indem zwar ein kleiner Junge drinsitzt und lächelt, man sich aber trotzdem erschreckt).
Stupide Filmtitel wie „Island of the Damned“ oder auch der ganz kreative Gurkentitel „Tödliche Befehle aus dem All“ lassen den Film auf dem ersten Blick entweder wie eine Schlitzerorgie aussehen oder wie eines billigen Sci-Fi Schmu. Dabei ist der neue deutsche Titel „Ein Kind zu töten....“ zwar drastisch und auch ungewöhnlich aber trifft die Kernaussage in diesem Film, wie die obligatorische Faust aufs Auge, oder im Falle der Kinder eines kräftigen Klaps auf den Hintern.
So ist „Ein Kind zu töten...“ in meinen Augen das ideale Beispiel wie genial Horror vermischt mit Moral und Ethik funktionieren kann. Definitiv kein Film fürs Popcorn mit Freunden oder den man sich täglich anguckt, aber faszinierend und absolut erschreckend. Besonders das Ende ist eine absolute Entladung des ganzen, so muss sich am Ende der Hauptprotagonist fragen wie weit er gehen will um selbst zu überleben.
Sicher wirkt der Film in vielen Szenen vorhersehbar, angestaubt und auch mit Längen bestückt, dennoch ist die Thematik zeitlos wie ein Kinderlachen. Dazu sollte man aber noch die absolut geniale Schauspielleistung der Darsteller erwähnen. So spielen die beiden Hauptdarsteller einfach unfassbar authentisch die Rollen und bringen glaubwürdige Emotionen rüber, besonders zu Erwähnen die Leistung von Lewis Fiander in der Schlussszene, die einfach episch daherkommt. Das beweist nur wieder – viele No Names haben diese Betitelung nicht verdient, nur weil man sie danach nie wieder sah. In Deutschland erhielt das Werk von Narciso Ibáñez Serrador die FSK „Keine Jugendfreigabe“, selten war eine Altersfreigabe so zweideutig wie in diesem Fall.
„Ein Kind zu töten....“ ist wie der Titel, wahnsinnig polarisierend. Ein Geheimtipp den man nicht als bloßen Horrorfilm verkaufen sollte, sondern als Kunstwerk. Die Message ist viel tiefgründiger als in so machen anderen Vertreter im Kinderhorror. Während sich andere in diesem Genre als blutrünstige Bestien entpuppten (siehe „Kinder des Zorns“) ist dieser Film einfach bedrohlich. Die Massenszene der Kinder, die eine lange Mauer aus Fleisch und Blut bilden und zu hundertfach aus dem Hintergrund ein Haus anpeilen oder sich auch nur leise aus dem Zimmer schleichen, lassen das Blut in den Adern gefrieren. Zugleich wird man schonungslos mit der Frage konfrontiert, wie weit kann man gehen um sein Leben zu retten. Und ich muss gestehen, zu meiner Schande wäre es mir in der Hauptrolle nach diesen 105 Minuten nicht schwer gefallen – Ein Kind zu töten......
Wenn der Zuschauer sich nicht nur unterhalten fühlt, sondern eine Erfahrung durchmacht, verdient solch ein Film eine 10/10.