Ein amerikansiches Touristen- Pärchen kommt auf eine einsame spanische Insel, auf der die Kinder das Zepter übernommen haben, völlig verrückt sind und alle Erwachsenen gnadenlos töteten.
„Dieser Film spielt um das Jahr 2000. Er ist eine Vision, die Wirklichkeit werden könnte wenn...“
Kritik Teil 1
Jahre bevor der bekannte Schriftsteller Stephen King seine Kurzgeschichte „The Children Of The Corn“ auf die Menschheit losließ, behandelte dieser spanische Horrorfilm ein erstaunlich ähnliches Thema, nämlich die konsequente Jagd und Ermordung der erwachsenen Bevölkerung eines abgelegenen Ortes (hier eine Insel, dort ein Dorf) durch die heimischen Kinder.
Besonders erschreckend an dieser Tatsache ist hier, daß dieses Phänomen nicht, wie bei King, erklärt und einem ominösen bösen Herrn in die Schuhe geschoben wird (dem, der hinter den Reihen geht), sondern daß der Nachwuchs aus unerklärlichen Gründen jene Taten vollzieht.(zumindest in der Originalfassung, aber dazu gleich mehr)
Somit rückt der Film der Kernfrage nach einer Schuldzuweisung eines Kindes (traut man so etwas einem Kind zu?) viel näher, als eben jene Literatur. Auch näher, als dies fast zeitgleich „The Brood“/“Die Brut“ von David Cronenberg tat/tut. (Wenn auch jener Film wieder auf einer anderen Ebene funktioniert.)
Beachtlich ist, daß das Ganze nicht spekulativ und reißerisch abgefilmt wurde, sondern jederzeit als ruhige, klare, durchdachte Horrorvision funktioniert, der die beiden Hauprprotagonisten, so unschuldig sie am Leid der Kinder dieser Welt (man beachte die TV- Bilder im Hotelzimmer) auch sein mögen, hoffnungslos gegenüberstehen und die „Rache der Kinder“ am eigenen Leib erfahren müssen.
Der Film ist keineswegs der erste, der eine „kindliche“ Bedrohung behandelt. Als Beispiele seien „The Village Of The Damned“/“Das Dorf Der Verdammten“ (Regie: Wolf Rilla, 1959) oder, wenn auch in anderer, abgewandelter Weise „The Exorcist“/“Der Exorzist“ (Regie: William Friedkin, 1973) genannt. Doch waren es stets erklärbare, phantastische Phänomene.
Der Originaltitel des 1976 erschienenen Werks, „Quién Puede Matar A Un Nino?“, bedeutet übersetzt denn auch nicht etwa so etwas bescheuert Verfälschendes, das Thema völlig Verfehlendes wie „Tödliche Befehle Aus Dem All“, sondern grob übersetzt „Könnten Sie ein Kind töten?“.
Also stellt dieser Titel schon die Kernfrage und bringt die Essenz des Folgenden.
Eine Menge Protagonisten wären noch am Leben, hätten sie sich diese Frage nicht gestellt. Diese Hemmschwelle wurde ihnen nämlich zum Verhängnis. Ich werde mich nun hüten, das Ganze für mich zu beantworten beziehungsweise die Antwort preiszugeben, geschweige eine allgemein gültige These aufzustellen. Aber zugeben muß man definitiv, daß man wohl nicht umhin kommt, darüber nachzudenken. Natürlich kann man die Angelegenheit aber auch zur Seite schieben. (Das ist dann die Methode, die von vielen Menschen immer wieder gern angewandt wird, um Probleme zu „lösen“.)
Es tut nicht not, eine Antwort zu finden, doch ist eine ernsthafte Auseinandersetzung wohl unumgänglich.
Es ist offensichtlich, daß die „Umtitelung“ (oder besser Mißtitelung) und zusätzlich die entstellende heimische Synkronisation (man beachte die Doppeldeutigkeit des Wortes „heimisch“), die irgendwelche außerirdischen Strahlen und Planetenkonstellationen als Ursache einbringt und den Film auch noch um das Jahr 2000 spielen läßt, den zugegeben schwer verdaulichen und bedrückenden Inhalt entkräften und fiktionieren sollen. (also ihn als eine triviale Ausgeburt der Phantasie erscheinen lassen)
Daß der Plan so nicht aufgeht, stellt man schnell fest, lebt der Film doch nicht allein von einem reißerischen Thema und seiner konsequenten Aufarbeitung. Aber fange ich mal von Anfang an, nämlich mit dem Inhalt.
Handlung
Tom (Lewis Fiander) und Evelyn (Prunella Ransome) sind zwei Amerikaner, genauer ein Pärchen, daß sich im Rahmen einer Urlaubsreise nach Spanien begibt. Mit Glück können sie ein Mietzimmer auftreiben, da es Hochsaison ist und alle Hotels belegt sind. Da sie fernab des Touristengedränges das Land erkunden wollen, planen sie einen Abstecher auf die abgelegene Insel Almanzóra. Als sie zuvor in einem Fotogeschäft ein paar Filme für ihre Kamera kaufen, sehen sie im dortigen TV erschreckende Kriegsberichte. Der Verkäufer kommentiert das Gesehene in Spanisch: „Am schlimmsten trifft es leider immer die Kinder.“ (!)
(Im Original wird weiter kein Wort kommentierend verloren, ob es sich um Spanien oder einen anderen Ort handelt. Auch, welche Ursache die Bilder haben, wird verschwiegen. Es zählt einzig der Fakt, daß Kinder unter der Gewalt Erwachsener zu leiden haben! Die Deutsche Synkronisation erklärt einiges im „Off“.)
Ein Besuch am Strand des Ortes endet abrupt, als sich ein vermeintlicher Badeunfall ereignet.
(Er wird nicht gezeigt, aber man kann es sich denken, erinnert man sich doch an den eingehenden Unfall, dessen Opfer eine Erwachsene (!) war.)
In ihrem Zimmer sprechen die beiden kurz über die gesehenen Kriegsbilder und Tom´s Bedenken. (!) Evelyn ist dagegen sorglos. „Das ist in Asien.“, meint sie. „Hier ist alles friedlich.“
Als die beiden mit ihrem Mietboot auf der merkwürdig menschenleeren Insel ankommen, wird ihnen sofort die bedrückende Atmosphäre des Ortes bewußt. Die wie ausgestorben wirkenden Gassen, hübschen, aber kargen Häuserzeilen und verwinkelten Höfe strahlen alles andere als Sympathie aus. Da aber einige wenige Kinder hier und dort zu sehen sind, bleiben sie vorerst an dem merkwürdigen Ort.
Aber die Kinder anzusprechen, erweist sich als ziemlich sinnlos, denn Antwort erhalten die beiden Gäste keine. Vielmehr bringt man ihnen regelrechte Ablehnung beziehungsweise Mißachtung entgegen.
Tom geht erst einmal einkaufen in den verlassenen Geschäften. Niemand hindert ihn daran. Evelyn hat derweil eine merkwürdige Begegnung mit einem heimischen Mädchen.
Als die zwei Zeuge einer Szene werden, wie ein Kind einen hilflosen alten Mann mit seinem Krückstock brutal zu Tode prügelt, wird den beiden allmählich klar, welche Situation auf der Insel herrscht.
Schließlich versuchen Tom und Evelyn, die zu allem Übel auch noch schwanger ist (oje oje!), aus dem Ort ins offene Land der Insel zu fliehen, doch ist auch dieses von Kindern besiedelt.
Kritik Teil 2
Mehr muß, sollte und darf man einfach über diesen subversiven, bedrückenden, intensiven Streifen nicht verraten, denn je weniger der noch Unkundige weiß, desto besser ist es für ihn und er kommt in den vollen „Genuß“ der Überraschungen und erschreckenden Details.
Wer als nicht will, daß ich zu viel preisgebe, der sollte jetzt mal eben den Abschnitt nicht lesen.
Meinte ich vorhin, daß der Film nicht spekulativ vorgehe so bedeutet das nicht, daß er nicht konsequent wäre und deutlich macht, was hier gespielt wird. So fehlen schwer an die Nieren gehende Sequenzen nicht, die in ihrer Bösartig- und Abartigkeit irgendwo zwischen Sarkasmus und bitterem Leid liegen. Im einzelnen wären diese zum Beispiel das Umfunktionieren eines Kinderspiels, daß an „Topfschlagen“ erinnert, wobei der Topf durch einen Menschen ersetzt wurde (Das „Original“ sehen die beiden eingehend kurz nach ihrer Ankunft in dem Touristenort!) oder aber jene, als der Vater eines Kindes von seiner Tochter buchstäblich in den Tod eingeladen wird. Unfähig, sich dagegen zu wehren muß er innerlich gezwungen auf die Bitten seiner kleinen Tochter eingehen und ihr folgen, obwohl er genau weiß (und die anderen Protagonisten ebenfalls), daß dies sein Verderben bedeutet. Weiterhin ist es die Szene, als das ungeborene Baby Evelyn´s selbige von Innen zu zerstören beginnt. (es ist ein Kind eben!) Was anfangs etwas zu abgehoben und bizarr scheinen mag, ist nur logisch und resolut. Daß der Film damit nebenbei eine Meinung zum Thema Abtreibung liefert, ist nur eine Facette des Gerüstes.
Ab hier darf auch für dann wieder gelesen werden.
Als äußerst geschickt ist auch die Form der Erzählung zu bezeichnen. Von Anbeginn wird der Zuschauer in die Position der beiden Amerikaner versetzt und erlebt dann Folgendes somit aus deren Perspektive, was die Spannung natürlich fördert. Auch ist die gespaltene Charakterisierung der Kinder sehr interessant. Gespalten deswegen, weil sie einerseits für die Protagonisten mehr oder minder anonyme Eindringling und Jäger sind und bleiben (ein Umstand, der das letztliche Handeln doch möglich macht), andererseits für den Zuschauer als motiviert vorgehende Strategen dargestellt werden.
Das Finale wirkt schließlich wie ein Befreiungsschlag, ein Lösen von Fesseln, das den Zuschauer wie die Protagonisten Aufatmen läßt, dabei die Spannung aber nur noch weiter steigert. Das Ende, das geradezu zelebrierend herbeigeführt wird, ist eine Abwandlung dessen aus George A. Romero´s „The Night Of The Living Dead“/“Die Nacht Der Lebenden Toten“ und der wohl einzig in Frage kommende Schluß, um das vorher gesehene richtig wirken zu lassen und nicht als „nun- ist- ja- doch- alles- gut- geworden“- Geschichte verkommen zu lassen.
Regisseur Chicho (Narciso) Ibanez- Serrador, der auch, ohne dafür genannt zu werden, am Drehbuch mitschrieb, zusammen mit Luis Penfiel, nach der Novelle „Das Spiel“von Juan José Plans, wurde in Spanien später ziemlich bekannt und berühmt für diverse Fernseh- Spielshows und Ratespiele. (!) Für das Kino hat er leide nur sehr wenige Filme gemacht. Über sein zweites Meisterwerk werde ich irgendwann auch noch berichten.
Fazit
10/10 !
Wie nur ganz wenige Filme, stellt der emotional verstörende Film einen echten Tabu- Brecher dar und setzt sich auf erstaunlich intelligente, nicht ausbeutende Weise mit einem diskussionswürdigen, höchst unbequemen Thema auseinander. Er ist so facettenreich und voller Anspielungen und Hinweise, daß sich ein mehrmaliges Ansehen lohnt und immer wieder neue Aspekte offenbart. Selten habe ich einen so spannenden, ergreifenden Film gesehen, der gerade durch seine billige, aber dennoch ausgefeilte Inszenierung begeistert und unter die Haut geht. Dem tut auch die entstellende Eindeutschung und Umtitelung keinen Abbruch.
Die Deutsche Videokassette von VMP ist ungeschnitten und leicht letterboxed. Ich kann nur hoffen, daß dieses Juwel irgendwann in würdiger Form auf DVD erscheinen und damit eventuell aus seinem Schattendasein gerissen wird, da er es verdient, bekannter zu sein.