Review

Vier deutsche Soldaten an der Front: Der Student hat sich gerade in die junge Yvette verliebt, und sie sich ihn in. Seinen Auftrag als Melder nutzt er dazu, ein paar Tage “Urlaub“ in der Etappe und am Busen der süßen Französin zu machen. Den Bayern wirft so schnell nichts um. Ein kerniger Süddeutscher, der alles mit dem nötigen Humor nimmt, und für den Kameradschaft das höchste Gut ist. Und wenn einer fragt ob er mitkommt auf ein Selbstmordkommando, dann ist er selbstverständlich dabei. Karl bekommt Urlaub, doch als er nach Hause kommt überrascht er seine Frau mit einem anderen Mann. Dass sie das nur tut, damit endlich mal was zu essen im Haus ist, dem Gedanken verweigert er sich. Wie ein Stein ist er, und erst als er wieder in den Schützengraben abrücken darf wird er wieder ein wenig so wie früher. Der Leutnant ist Offizier, und als Offizier hat die Aufgabe seinen Leuten, die er immer “Kinder“ nennt, Befehle zu geben. Der letzte Befehl allerdings ist einer zu viel: Der Leutnant wird beim Anblick seines gefallenen Regiments den Verstand verlieren …

WESTFRONT 1918 macht es dem (heutigen) Zuschauer nicht leicht. Natürlich ist der Film in erster Linie ein Anti-Kriegsfilm, dazu muss man sich nur den Schluss anschauen: Karl sieht beim Sterben als letztes das Gesicht seiner Frau die zu ihm sagt, dass sie nicht schuld sei. Er antwortet ihr “Wir sind alle schuld“ und stirbt. Der neben ihm liegende Franzose nimmt Karls Hand und deliriert vor sich hin: “Feinde – Nein – Kameraden“. Die “Ende“-Einblendung ist dann mit einem Frage- und einem Ausrufezeichen versehen.

Wenn da nicht die erste halbe Stunde wäre, wo Krieg noch oft als Abenteuer für Erwachsene gezeigt dargestellt wird, und wo im Fronttheater und beim Kartenspiel in der Unterkunft unverblümte Landserromantik gepflegt wird. Dem gegenüber stehen dann Szenen die fast monoton zu nennen sind: Angreifende Soldaten ziehen gefühlt minutenlang in der Totalen durchs Bild. Viele sterben, aber das Von-rechts-nach-links-gehen ist unaufhörlich. Es kann nicht aufgehalten oder beschleunigt werden, es ist einfach. Bereits Ernst Jünger zeigt uns, dass der Vormarsch des einen Tages der Rückzug des nächsten Tages ist, und eine Sinnhaftigkeit nicht zu suchen ist. Parallel dazu sehen wir Soldaten beim Sterben zu. Hier ist die Halbtotale das Mittel der Wahl: Der Kameramann hält auf den Schützengraben, und wir sehen Soldaten, wie sie Kämpfen und Sterben. Wenig Schnitte, wenig Dramatik. Sterben wie am Fließband. Mensch – Maschine – Material. Dazu “passend“ die Begründung des Verbots im Jahr 1933, dass der Film “eine ganz einseitige und deshalb unwahre Darstellung vom Krieg“ zeige. (1)

Etwas ambivalent auch das Bild von Karl in der Heimat, zumindest für heutige Sehgewohnheiten. Dass Karl zuhause nicht mehr zurecht kommt merkt man schnell, allerdings wird die Ursache lange Zeit im vermeintlichen Nebenbuhler gesehen. Erst beim Abschied sagt seine Frau, dass er die ganze Zeit wie ein Stein zu ihr war, während er gleichzeitig völlig unbekümmert vom Schützengraben und der Kameradschaft schwärmt. Erst in diesem späten Augenblick zeigt sich, dass Karl für ein “normales“ Leben versaut ist. Würde er den Krieg überleben, wahrscheinlich würde er zum Stahlhelm gehen und in Schlesien und im Baltikum kämpfen. Für den Kameraden einzustehen und Gefahr und Tod zu teilen, das ist für ihn ein Ideal. Längst ist der Traum von der häuslichen Zweisamkeit ausgeträumt und unter dem Sperrfeuer der Artillerie unwiederbringlich begraben worden.

Wie gesagt, für heutige Sehgewohnheiten nicht ganz einfach. Die klare und niederschmetternde Anti-Kriegs-Aussage von IM WESTEN NICHTS NEUES, der ein halbes Jahr nach WESTFRONT Premiere hatte, fehlt hier zumindest zu Beginn. Stattdessen versuchte Pabst das damalige Publikum wahrscheinlich bei seiner Vorliebe für Kriegsfilme zu packen, und dann die Abenteuer-Aussage des Anfangs ins Gegenteil zu verkehren. Unter diesem Aspekt allerdings macht die erste halbe Stunde Sinn. Vor allem im Vergleich, wenn man aus heutiger Sicht die erste halbe Stunde von IM WESTEN NICHTS NEUES Revue passieren lässt, wo die Kriegsbegeisterung ganze Schulklassen erfasst und alle fröhlich jauchzend ins Feld ziehen: “Auf Wiedersehen in Paris“ hieß es, und auch in WESTFRONT wird darauf Bezug genommen, dass man sich doch eigentlich in Paris treffen wollte …

Anders als bei so vielen Filme werden hier aber auch die Zustände an der “Heimatfront“ geschildert, was recht niederschmetternd wirkt. Was wird mit Karls Familie wohl geschehen? Während die Mutter stundenlang beim Metzger ansteht um dann letzten Endes vor dem Schild “Ausverkauft“ zu stehen, prostituiert sich die Ehefrau für ein Stück Fleisch. Überleben ist alles, über die Würde kann man dann später wieder nachdenken. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral …
Was auch für die Französin Yvette gilt, die sich mit den deutschen Soldaten eingelassen hat. Wahrscheinlich notgedrungen, da die Unterkunft einfach requiriert wurde, und Yvette und ihr Vater froh sein konnten im Haus wohnen bleiben zu dürfen. Aber ob ihr die Liebschaft mit dem Studenten gut bekommen wird? Sich mit einem Besatzer einzulassen hat oft drakonische Strafen nach sich gezogen, gerade auch in Frankreich. Die letzten Szenen mit Yvette deuten darauf hin, dass ihr sehr klar ist, was mit ihr nach der Zerstörung ihres Hauses passieren wird. Im deutschen Militärtross, auf dem Rückzug …

Der Bayer und der Offizier haben etwas weniger Präsenz. Ersterer nervt etwas wegen seiner stereotypen Darstellung als bierdimpfeliger Bajuware. Aber immerhin begegnen wir ihm viele Jahre später in Dalton Trumbos JOHNNY ZIEHT IN DEN KRIEG wieder, wo er einen jämmerlichen Tod am Stacheldraht sterben wird. Bis dahin stellt er den Archetypen eines guten Soldaten dar: Gehorsam und Kameradschaft, das sind die Eigenschaften die ihm wichtig sind und die ihn auch auszeichnen. Das gilt für Waterloo genauso wie für Verdun oder für Idlib. Unsere Ehre heißt Treue …
Und der Offizier? Der seine Soldaten immer mit “Kinder“ anredet, und ihnen offensichtlich nichts wirklich Schlimmes will? Auch wenn Befehl gleich Befehl ist, so unterscheidet sich dieser Offizier himmelweit von den bösartigen Schurken aus Stanley Kubricks WEGE ZUM RUHM. Was ich interessant finde, denn hier wurde originär ein Publikum angesprochen, dass den Krieg miterlebt hat, und die geschilderte Geschichte aus eigener Erfahrung gut gekannt hat. Wenn hier also die Offiziere nicht per se verteufelt werden, lässt das spannende Rückschlüsse auf die Erfahrungen der Drehbuchautoren Ladislaus Vajda und Peter Martin Lampel zu. Pabst selber war von 1914 bis 1918 in einem Lager in Brest interniert, hat also am Krieg als Soldat gar nicht teilgenommen. Aber wenn Vajda und Lampel über das Verhalten der Offiziere fantasiert hätten anstatt die Realität abzubilden, dann wären die überlieferten Besprechungen zu WESTFRONT anders ausgefallen. Als Beispiel mag Siegfried Kracauer herhalten, der im Krieg gekämpft hat und die Zustände an der Front gekannt haben muss, und dessen Filmkritik in der Aussage gipfelt: “Es ist, als seien mittelalterliche Marterbilder lebendig geworden“. (1) Was darauf deutet, dass die Darstellung der Offiziere in Kubricks aus dramaturgischen Gründen richtig war, die historische Darstellung in WESTFRONT aber die korrektere zu sein scheint. Wobei ich der Fairness halber hinzufügen muss, dass Francesco Rosis BATAILLON DER VERLORENEN, der aus sicherer zeitlicher Distanz eine weitere Facette hinzufügen wird, noch ungesehen hier liegt.

Wie gesagt, alles etwas zwiespältig. Aber auf keinen Fall schlecht! Es braucht einfach ein wenig Zeit um den Film zu verdauen, um ihn auf heutige Sehgewohnheiten umzumünzen. Dann aber, wenn man sich darauf eingelassen hat, dann ist er wirklich gut. Und bitter. Sehr sehr bitter …

(1) Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Westfront_1918<!--[if gte mso 9]>

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