Ob es dem Pearl Harbor Trauma geschuldet sei, oder den zahlreichen Gurken von Tomb Raider bis Transformers – ich kann Jon Voight nicht ab. Für mich war er nie mehr als ein durchschnittlich begabter, Unsympathie erzeugender Vater einer überschätzten Nichtskönnerin namens Angelina Jolie.
Nun, man ist nie zu alt um dazu zu lernen, und das Burt Reynolds Starvehikel Deliverance hat ihn – zumindest teilweise – rehabilitiert. Tatsächlich ist der 1972 gedrehte Film ein klasse Vorreiter von Spitzentiteln wie etwa dem britischen Eden Lake. Hier wie dort geht es um Großstädter, die sich zurück zur Natur, quasi back to the roots wünschen und an deren Gnadenlosigkeit zu Grunde gehen.
Schon in den ersten Minuten zeigt sich die feindliche Einstellung der Landbevölkerung gegenüber den hochnäsigen „Stoderern“, wie der Bayer so sagt. Ein kleiner Annäherungsversuch, das uns den ganzen Film nicht mehr verlassende Banjo-Gitarren-Duett, verläuft gnadenlos im Sand. Und wen könnte es auch wundern, liegt doch diese unberührte, aber auch raue Natur in den letzten Atemzügen. Das Gebiet wird es bald nicht mehr geben, soll einem See Platz machen – kein Wunder dass der gemeine Redneck darüber nicht erfreut ist. Diese Vereinnahmung der Ursprünglichkeit, diese zivilisatorische Infiltration – ein Punkt übrigens, den sich Eden Lake 1:1 "geborgt" hat – ist es schließlich auch, die den vier Yuppies zum Verhängnis wird. Wer die Natur herausfordert, wird ihren Zorn spüren – so in etwa. Den nach einem kurzen Intermezzo per Boot durch die Fluten des nun bald nicht mehr existierenden Flusses, stößt man auf zwei besonders grobe Naturburschen mit Vorliebe für quiekende Großstädter. Eine überraschende (vor allem für den Zuschauer von ´72) Vergewaltigung und einen daraus resultierenden Racheakt später, finden sich die vier auf der Flucht: Vor dem verbliebenen Vergewaltiger, der Natur und vor allem sich selbst.
Burt Reynolds – und das überrascht, ist er doch der bekannteste Name des Essembles – hat nur am Anfang die dominierende und richtungsweisende Position inne. Spätestens ab der Hälfte wird seine Rolle passiv und mundtot gemacht. Stattdessen kristallisiert sich Voights vormals besonnen, zurückhaltender bald immer skrupelloser werdender Charakter zum Protagonisten heraus. Diese Verschiebung des Blickwinkels ist interessant, denn einerseits ist gerade zu Beginn Reynolds Charakter derjenige, der am draufgängerischsten ist, der ohne mit der Wimper zu zucken mit Pfeil und Bogen auf Tier und Mensch anlegt und der allgemein den Fokus immer auf sich zieht, andererseits ist es gerade der eher zurückhaltned und intrivertiert gezeichnete Voight, bei dem man sich am Ende nicht mehr sicher ist, wie viel noch vom braven Durchschnittsbürger in seiner Brust innewohnt.
So haben wir mit Deliverance einen Vorreiter des Redneckterrorfilms vor uns, der zwar die Ausgangslage des Genres definiert, entgegen zuvor geschürter Erwartungen dann aber doch ganz anders daher kommt. Statt Horrorthriller erwartet uns ein Drama mit Abenteueraspekten – gerade die Wildwasserfahrten sind immens dynamisch und spannend inszeniert – um den Menschen und seinen Kampf gegen die Natur. Eher Die letzten Amerikaner als The Hills have eyes. Am Ende schließlich hat keiner gewonnen – im Gegenteil, man ahnt, das schlimmste wird noch kommen, denn die Sünden der Vergangenheit werden nicht auf ewig im tiefen Wasser verborgen bleiben.
Das alles in seiner Gesamtheit mag Deliverance aus heutiger Sicht nicht zu einem überraschenden, nicht zu einem übergroßen Vertreter seiner Zunft machen, bestätigt aber dennoch seine filmhistorische Bedeutung für die zahlreichen Nachzügler und bietet spannende und gleichzeitig anspruchsvolle Unterhaltung auf hohem Niveau.