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Was erwartet der Zuschauer bei einem reißerischen Filmtitel wie "Beim Sterben ist jeder der Erste" und was suggeriert das deutsche Kinoplakat zu diesem Film, bei dem zwei Hände mit einem Jagdgewehr im Anschlag aus dem Wasser ragen?

Sowohl der Titel als auch das Plakat wecken falsche Hoffnungen und wer angesichts der Handlung an einen Vorreiter der später angesagten Backwood-Slasher denkt, wird nach Sichtung des Films enttäuscht sein.

"Beim Sterben ist jeder der Erste" ist ein Klassiker seines Genre, aber vielmehr Abenteuerfilm mit einem Hauch von Psychostudie mit sozialkritischen Untertönen als alles andere, was man mit Titel und Plakat in Verbindung bringen könnte.

Regisseur John Boorman erzählt vor einer grandiosen Naturkulisse die Geschichte von vier Großstädtern, die in zwei Kanus einen Fluss in Georgia hinunterpaddeln und in eine Wildnis des Grauens geraten (Cover-Text der DVD). Ohne erkennbares Motiv geraten zwei von ihnen (Jon Voight und Ned Beatty) in die Fänge  zweier Männer, die einen von ihnen (Beatty) mit Waffengewalt zum Sex zwingen, während der andere (Voight) hilflos zusehen muss, wie sein Freund erniedrig und mißhandelt wird. In Notwehr erschießt ein Dritter (Burt Reynolds) einen der Männer hinterrücks mit einem Pfeil, während sein Komplize entkommen kann.

Dies ist nach einer langen Einleitung und Vorstellung der Charaktere die Ausgangssituation, die den Nährboden für Differenzen innerhalb der Gruppe bildet, denn obwohl eine Notwehr-Situation vorlag, sind sich die Vier uneinig darüber, ob sie den Vorfall dem Sherrif melden sollen. Nach einer Abstimmung einigt man sich darauf, sich des Leichnams zu entledigen, doch unter den vier Freunden gibt es weiterhin Spannungen.

Arrogante Großstädter treffen auf Naturgewalten und gewaltbereite Bewohner einer Zivilisation, in der die Zeit stehen geblieben ist.

US-Autor James Dickey verfasste das Drehbuch zu seinem eigenen Roman "Deliverance" und vermeidet es nicht, die altbekannten Klischees degenierter, von Inzucht mißgebildeter Hinterwäldler aufzufahren, die sich an den Großstädtern für die Vergewaltigung der Natur rächen und gnadenlos zurückschlagen.
Der dargestellte Übergriff bleibt dabei der einzige dieser Art, auch wenn die Anzahl der Toten im weiteren Verlauf der Ereignisse auf drei ansteigt.

Burt Reynolds, der als wortführender Überlebenskämpfer eingeführt und im weiteren Verlauf der Handlung bei der Bezwingung einer gefährlichen Stromschnelle stark verletzt wird, gerät ab der zweiten Hälfte des Films kaum noch in Erscheinung. Jon Voight, der einen der drei biederen Großstädter spielt, wächst im Angesicht der Gefahr über sich hinaus, tötet aber in Panik einen Unbeteiligten, was ihn in weitere Gewissenskonflikte stürzt.

"Beim Sterben ist jeder der Erste" ist sehr viel vielschichtiger, als der deutsche Verleihtitel vermuten lässt. Die Handlung ist schnell erzählt, wartet aber mit einigen überraschenden Wendungen auf.
Genauso sparsam wie die Handlung wird auch der Score eingesetzt, vielmehr stehen hier Banjo-Melodien und vor allem die imposante Geräuschkulisse der Natur im Vordergrund.

Die Szenen in den Kanus, bei denen die Schauspieler nicht gedoubelt wurden, sind packend inszeniert und fügen sich realistisch in den Kontext der Handlung ein: der Hochmut und die Arroganz der Großstädter vor der kaum bezwingbaren Naturgewalt.

Mit Backwood-Horror hat dieser großartige Abenteuerfilm nicht viel zu tun und wer sich trotz falscher Erwartungen auf einen eher ruhigen Film mit hohem Spannungsaufbau einstellen kann, wird bei "Deliverance" (so der Originaltitel) nicht enttäuscht werden.

7 von 10 Punkte!

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