Der deutsche Titel dieses Abenteuerfilms ist zwar einprägsam, aber auch irreführend, denn „Beim Sterben ist jeder der Erste“ könnte eher auf einen Kriegsfilm hindeuten und nicht auf ein Drama in wilder, unberührter Natur.
Da trifft der Originaltitel „Deliverance“ schon eher den Nagel auf den Kopf, denn vier Stadtmenschen wollen für ein paar Tage ihrem tristen Alltag entkommen und „Back to the roots“ eine Kanufahrt irgendwo in Georgia antreten.
Doch die Überheblichkeit der Stadtmenschen gegenüber der Natur wird schon bald hart bestraft.
Dabei wollten Lewis (Burt Reynolds), Ed (John Voight), Drew (Ronny Cox) und Bobby (Ned Beatty) doch nur mal etwas anderes als Golfspielen unternehmen.
Also fährt man hinaus in die Wildnis, in der sich Füchse und Hasen mit Vornamen anreden, um eine Kanufahrt zu unternehmen.
Doch schon nach wenigen Minuten (nachdem man die Stimmen der Charaktere nur im Off wahrgenommen hat), werden sie mit dem ersten Hinterwäldlern konfrontiert.
Krumme Typen mit unvollständigen Gebissen und argwöhnischen Blicken schaffen eine bedrückende Stimmung und deuten darauf hin, dass von diesen vogeligen Leuten noch etwas Übles ausgehen wird.
Doch bevor es auf den wilden Fluss geht, beschert uns Ronny Cox eine unglaublich tolle Szene, indem er sich mit einem einheimischen, behinderten Jungen (wahrscheinlich Inzestopfer) ein packendes und musikalisch ausgereiftes Duell per Banjo liefert.
Im Verlauf erklingt das Banjo etwas leiser innerhalb der Filmmusik und prägt maßgeblich die zwiespältige Stimmung des Films.
Dann erfolgt die Kanufahrt der vier, erste Stromschnellen werden mit Leichtigkeit und Spaß überwunden, es wird ein Fisch erlegt, Lagerfeuer und Machoallüren, Sinnieren über Mensch und Natur und alles ist super.
Bis einen Tag später bei einem Erkundungsgang am Ufer plötzlich zwei Rednecks auftauchen.
Einer vergewaltigt den leicht übergewichtigen Bobby und bevor sich der zweite über Ed hermachen kann, wird einer der Rednecks von Lewis per Pfeil und Bogen getötet, während der andere flieht.
Nun stellt sich die Kernfrage des Ganzen: Verhalten wir uns wie Stadtmenschen und wenden uns an die Polizei, weil ja schließlich in Notwehr gehandelt wurde oder machen wir es wie die Hinterwäldler und begraben den Typen hier einfach irgendwo.
Die Männer entscheiden sich für die letzte Variante, was wiederum nicht ohne Folgen bleibt, denn kurz darauf fällt Ed während der Kanufahrt ins Wasser.
Warum er ins Wasser fällt, bleibt ungeklärt, ob er sich aufgrund schlechten Gewissens ertränkt hat oder von dem zweiten Redneck erschossen wurde, wie Lewis vermutet, wird nicht eindeutig beantwortet.
Genauso wenig, wie der Hintergrund der geistig zurückgebliebenen Einheimischen. Warum sie so handeln bleibt im Unklaren. Dadurch wird jedoch die Bedrohung durch das Ungreifbare immens gestärkt, da keiner der Stadtmenschen weiß, mit wie vielen Gegnern er es im Verlauf tatsächlich zu tun hat.
Es beginnt der Kampf ums nackte Überleben, bei der irgendwann alle im reißenden Fluss landen, Schluchten hoch und runter klettern und sich am Ende mit dem eigenen Gewissen herumplagen müssen.
Die Diskrepanz der Stadtmenschen innerhalb der unberührten Natur kommt immer wieder zum Vorschein. Fast symbolisch hierfür ist die Figur Lewis, der als Macho und risikofreudiger Typ zwar versucht, mit der Natur eins zu sein, sie aber nicht fühlen kann.
Ganz nach dem Motto, der Stärkere wird überleben, wird ausgerechnet er mit einem Beinbruch abgestraft und ist bei der Flucht der Überlebenden eher hinderlich.
Die raue Natur schlägt zurück, - in diesem Fall nicht nur durch lebensgefährliche Stromschnellen, sondern durch „naturbelassene“ Backwood-Typen, die außer ihrer Wildnis, Inzest, alles ficken was ein Loch hat, nichts weiter kennen.
Zwar eine komplett eindimensionale Charakterisierung, im Kontext aber der Dramaturgie förderlich.
Ja, es muss ein Alptraum sein, sich in der tiefsten Wildnis zu befinden und Schlag auf Schlag
diesen unterbelichteten Abtrünnigen ausgesetzt zu sein, deren Vorhaben grundsätzlich unberechenbar böse erscheint.
Das wurde zwar in späteren Filmen wie „Texas Chainsaw Massacre“ oder gar „Wolf Creek“ weitaus graphischer dargestellt, doch hier spielt die Angst vor dem Unberechenbaren eine entscheidendere Rolle. Manchmal macht es mehr Angst, nicht zu wissen, was einen erwartet.
John Boorman hat eben nicht nur eine Flussfahrt inszeniert, sondern ein Drama, das über die Grenzen hinaus geht, zum Nachdenken anregt und gleichermaßen schockiert, obgleich der Film Anfang der 70er entstand, - und das mit einem sichtlich geringem Budget.
Die Naturkulissen sind überwältigend und wurden mit der Kamera recht gut eingefangen, nur manchmal vielleicht etwas zu weit weg vom Geschehen.
Mit der Auswahl der Darsteller hat er ein glückliches Händchen bewiesen, denn die bis dato eher weniger bekannten Gesichter von Voight, Reynolds und Beatty liefern erstklassige Leistungen ab.
Nicht nur, dass sie die gefährlichen Kanufahrten selbst angetreten haben, sie geben ihrer jeweiligen Rolle auch noch den perfekten Anstrich, so dass der Charakter beim Zuschauer Interesse erweckt und nicht nur eine blasse Figur im Kanu ist, - sie sind glaubwürdig.
Alles in allem hat Boorman einen zeitlosen Klassiker geschaffen, der fast durchweg unterhält, sich vielleicht etwas zu lange mit dem Beginn aufhält, aber nachfolgend eine ausgereifte und ansprechende Geschichte präsentiert.
Ein Abenteuerfilm der besonderen Art, spannend, tiefgründig und überraschend im Verlauf.
Für Abenteurer, als auch für eingefleischte Stadtmenschen in jeder Hinsicht sehenswert.
8 von 10