Ein einsames Haus in der Ödnis. Wind weht Dreck durch die Luft, ein paar Lastwagen stehen herum: Ein Truck Stop, irgendwo im Wilden Westen zwischen Paris und Bordeaux. Jean Viard ist einer der Lastwagenfahrer die dort regelmäßig absteigen, eine Tasse Kaffee runterkippen, anderthalb Stunden schlafen, und weiterfahren. Familienleben? Jean hat zwar eine Frau und drei Kinder in Paris, aber wenn er mal zuhause ist gibt es nur Streitereien und gegenseitige Vorwürfe. Wie anders ist da Lou, die in Emiles Absteige als Bedienung malocht. Die ist nicht auf den Mund gefallen und lässt sich von dem barschen Jean nichts gefallen, behält dabei aber immer die Fasson. Die beiden finden Gefallen aneinander und verlieben sich. Lou kündigt die Stellung bei Emile und geht nach Paris, um als Stubenmädchen in einem Stundenhotel zu arbeiten, Jean verlässt seine Familie um mit Lou ein neues Leben zu beginnen. Als Lou von ihm schwanger wird und zu einer Engelmacherin gehen muss, bahnt sich eine Katastrophe an …
Ein einsames Haus in der Ödnis. Wind weht Dreck durch die Luft, ein paar Lastwagen stehen herum. Es könnte auch ein Western sein der hier seine Geschichte beginnt, und genauso wie die Charaktere in den Wildwestfilmen entwurzelt sind und sich treiben lassen, genauso ist auch Jean entwurzelt. Mehr oder weniger ziellos lässt er sich treiben, je nachdem wohin sein Chef ihn schickt. Ein moderner Cowboy, lange bevor die Cowboy-Romantik die Fernfahrer erfasste. Allerdings einer von der unromantischen Sorte, kein Marlboro-Mann: Jean ist barsch, um nicht sogar zu sagen grob, und behandelt seine Umgebung mit ausgesuchter Unhöflichkeit. Nur Lou lässt sich von ihm nichts sagen, und das imponiert ihm mehr als er zugeben mag.
Lou hat sich für ein Leben am unteren Ende der sozialen Rangleiter entschieden. Sicher nicht ganz freiwillig, aber sie weiß genau, dass sie auch noch viel tiefer fallen könnte. Zumindest muss sie nicht ihren Körper verkaufen. Sie hat ihren Stolz, und den verliert sie auch dann nicht, wenn sie als Stubenmädchen in einem Stundenhotel das Trinkgeld erbetteln muss und der hochnäsigen Wirtin zu Dank verpflichtet ist. Anders als Jeans Tochter Jacqueline, die von einer Karriere als Filmstar träumt, und es immerhin auf den Deckel einer Käseschachtel schafft, ist Lou dabei grundlegend realistisch. Sie weiß, dass sie nie die Sterne vom Himmel holen wird. Weiß sie das wirklich? Die Beziehung mit dem wesentlich älteren Jean gibt ihr Auftrieb und Mut, aber seine, dem Beruf geschuldete, Unstetigkeit holt sie bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Lou erinnert mich oft an Sandrine Bonnaire in Agnes Vardas VOGELFREI: Sie hat sich für ein Leben außerhalb der Bürgerlichkeit entschieden, und zieht diese Entscheidung bis zur letzten Konsequenz durch, auch wenn das Ziel dieser Reise völlig unbekannt ist.
Wenn wir heute an das Paris der 50er-Jahre denken, dann denken wir romantisch: Bummeln am Montmarte, im Kino RIFIFI, einen Pastis in einem Bistro am Boulevard St. Michel, und dann eine Liebesnacht mit Madeleine. Das Elend der Hinterhöfe, die Arbeits- und Lebensbedingungen der einfachen Menschen, daran denkt niemand. Das Verdienst solcher Filme wie DER WEG INS VERDERBEN ist, dass eine historische Wahrheit aufgezeigt wird, an die sich höchstens die Alten noch erinnern können, und die möchten sich oft gar nicht mehr erinnern. Darum kann rein formal gesehen DER WEG INS VERDERBEN dem Neorealismus zugerechnet werden: Das Leben der kleinen Menschen, der Menschen ohne Bedeutung, dargestellt in unromantischen und oft harten Bildern. Sozialromantik ist hier keine zu finden, und die Bilder von Paris sind schmutzig, grau und hässlich. Es ist das gleiche Paris, das nur wenige Jahre später die Nouvelle Vague gebären wird. Und das bereits Mitte der 50er vor Lebenslust schier platzt: Jazz, Existenzialismus, Jean-Paul Sartre und Simone Beauvoir. Chet Baker, Leo Malet und die Stadt der Liebe. Aber davon wird in diesem Film nichts gezeigt. Wenn wir Jean auf dem Heimweg begleiten, dann laufen wir durch schmutzige Straßen und durch Bahnunterführungen hin zu kleinen Häusern mit herabgekommenen Fassaden, in deren Hinterhöfen die Arbeiterfamilien versuchen das Elend zu verdrängen. Wir sehen eine abgearbeitete Frau mit drei Kindern, und eine Existenz die nur dadurch zu ertragen ist, dass sie gar nicht erst gelebt wird. Selbst der kleine Junge von Jean muss schmerzhaft erfahren, dass es den Weihnachtsmann nicht (mehr) gibt.
Die Liebe zwischen Jean und Lou scheint Abhilfe zu schaffen, scheint für kurze Zeit ein kleines bißchen Glück zu versprechen. Jeans Alltag ist durch etwas gekennzeichnet, was heute als Stress bekannt ist: Kommt er zu spät zur Spedition zurück wird er angeschnauzt, mit seiner Frau gibt es nur laute Streitereien, und das unerbittliche Zeitmaß in seinem Leben ist der Fahrtenschreiber. Nicht einmal zum Pinkeln kann unterwegs angehalten werden. Lou ist der erste Mensch der ihm zuhört. In Gegenwart von Lou kann er sogar einschlafen, kann sich entspannen.
Aber es ist auch von vornherein klar, dass diese Liebe unter keinem guten Stern steht. Die beiden sehen sich zweimal die Woche für fünfzehn Minuten, wenn überhaupt, und wenn Jean zu früh oder zu spät zu Emile kommt sehen sie sich gar nicht. Jean ist zudem erheblich älter als Lou, er könnte, das wird deutlich gesagt, ihr Vater sein. Und auch im in Liebesdingen ach so liberalen Frankreich werden solche Dinge nicht gerne gesehen. Die Arbeit im Stundenhotel ist auch nicht dazu angetan die Beziehung zu vertiefen, und die Schwangerschaft Lous ist dann der Endpunkt des kleinen Hoffnungsschimmers. Lange vor dem Ende ist klar, was mit Lou geschehen wird, und ohne eine Möglichkeit eingreifen zu können ist der Zuschauer dazu verdammt, den Weg bis ins Verderben mitzugehen, so sehr er auch Jean zurufen möchte das Umleitungsschild doch endlich zu beachten und einen anderen Weg zu nehmen.
Ist das Ende moralistisch? Gönnt Verneuil den unbedeutenden Menschen nicht einmal das kleine Glück einer unmöglichen Liebe? Mag sein, immerhin sind 1955 die Moralvorstellungen noch um einiges rigider. Aber ich denke, in erster Linie möchte Verneuil eher die Arbeitsbedingungen zeigen, unter denen die Menschen damals gezwungen waren ihre Brötchen zu verdienen. Die Ausbeutung derjenigen die sich nicht wehren können, weil sie keine Alternative dazu haben ausgebeutet zu werden, dies ist das zentrale Thema des Films, eingebettet in eine unglückliche Liebesgeschichte, eine Romanze im Stil der Zeit. Und dass Verneuil kein Moralist war zeigen nicht nur einige seiner späteren Filme (I … WIE IKARUS, um nur einen zu nennen), sondern auch der Umstand, dass er in DER WEG INS VERDERBEN das Thema Abtreibung klar anspricht und in aller Deutlichkeit aufzeigt, was ein Verbot der Abtreibung bewirken kann. Nicht als moralinsaures Drama wie es in bundesdeutschen Filmen der Zeit öfters mal der Fall war, sondern eben als realistisch-düsteres Tränenbild einer Wirklichkeit, die schreckliche Lebensumstände hervorbringt. Und verdammt gute Filme.