Fünfzehn Jahre hat es gedauert bis eine endgültige und definitive Schnittfassung von Jim Van Bebbers "The Manson Family" die amerikanischen Kinos erreichte. Kursierten bereits sechs Jahre zuvor Rohschnittfassungen und Bootlegs von Vorabversionen des damals noch "Charlie's Family" betitelten Streifens, können wir uns nun endlich einer beendeten, kompletten Version von Van Bebbers Vision ansehen. Hat sich das Warten gelohnt; hat Van Bebber in diesen fünfzehn Jahren sein erwartetes Meisterwerk gedreht?
Technisch ist "The Manson Family" für einen Low-Budget-Film dieser Kategorie erstaunlich gut geworden. Doch woran es bei Van Bebber hier wirklich scheitert und warum obige Fragen ganz eindeutig verneint werden müssen ist hier sein Konzept. Der Film funktioniert einfach nicht, so wie es Van Bebber gerne hätte. Auf dem offiziellen Filmplakat prangt das mutige Versprechen, hier erstmals die "wahre Geschichte" hinter Charles Manson, jenem wahnsinnigen Mörder und Möchtegernprophet, zu erzählen. Nach Filmen wie "Helter Skelter" sollte erstmals die Geschichte aus der Sicht der geblendeten Mansonjünger beschrieben werden. Ein journalistischer Film über die tatsächlichen Vorgänge ist "The Manson Family" natürlich nicht geworden: Van Bebber las die einschlägigen Bücher über die Erlebnisse, stellte aber nie persönliche Recherche an.
Somit ist dies auch nicht die letzte Wahrheit, wenn auch eine bemüht andere Sicht auf die Vorgänge, damals Ende der Sechziger, als ein vorbestrafter junger Mann namens Charles Milles Maddox, genannt Charles Manson, auf der entlegenen Spahn Ranch eine Reihe von jungen Frauen und einigen Männern um sich schart, um seine Familie im Geiste zu kreieren. Im Ödland wird Sex, Drugs und Rock'n'roll praktiziert, seine Jünger sehen ihn dabei immer mehr als Messias, als reinkarnierten Jesus Christus an. Blind folgen sie dem Parolen schmetternden Guru, der einen Rassenkrieg namens "Helter Skelter" anschubsen will, sogar als er Mord und Totschlag von ihnen fordert.
Erzählt wird aus der Sicht eines Dokumentarfilmproduzenten namens Carl Day (Jack Wilson), der 1997 seiner TV-Doku über Manson und seine Jünger gerade den letzten Schliff verpasst, als eine Gruppe verwirrter Skins/Punks einen Angriff auf Day vorbereiten, da der ihr Idol im Fernsehen verunglimpft. Die Szenen aus der Wohnung der Punks, dem Schnittstudio, den gefaketen Dokumentaraufnahmen und den Spielfilmszenen aus den Sechzigern sind ineinander verschachtelt und überlappen sich stellenweise. Und genau an dieser multimedialen, übergreifenden Erzählweise krankt der Film. Van Bebbers Fans, die sich mit seinen Exploitationfilmen "Deadbeat at Dawn" oder "My Sweet Satan" abgegeben haben, werden leicht beeindruckt sein, von der wilden, schnellen Form von "The Manson Family"; möchte der Film doch eine ähnlich "coole" und "stylishe" Reflektion auf Gewalt in den Medien sein, wie einst Oliver Stones "Natural Born Killers".
Aber: Wenn Van Bebber die Spielszenen auf Mansons Farm auf surrealistische Weise verzerrt, verfremdet, uns in eine subjektive, drogenbeeinflusste Sichtweise zwängt, verlieren die gestellten Dokumentarfilmszenen an Wert. Zu keinem Zeitpunkt des Films glauben wir den Interviews oder den Zeitzeugenaussagen, da der Rest des Films den Zuschauer in eine irreale, artifizielle Welt entführt. Der Bezug zu der Realität, zu dem Faktum, dass das Gezeigte Reales abbildet, wird nie vom Film erzwungen, und scheitert somit in seinem Vorhaben Mansons Bild in der Gesellschaft zu entmystifizieren. Nein, dadurch das alles einen derart filmischen Look bekommt, wird aus der Biographie, aus der Tatsachenschilderung sogar ein ganz gewöhnliches Werk über Massenmörder, das den Zuschauer lediglich in seiner Gewaltdarstellung abstößt, aber nicht zum Nachdenken über die Geschehnisse in der damaligen Flowerpowerzeit anstößt.
Unterstrichen wird dies durch die wenig intensive Umgehensweise mit der Figur Charles Mansons. Sicherlich war es Van Bebbers Vorhaben, seine Clique zu porträtieren, jedoch dürfte es klar sein, dass Manson seine gehorsamen Jünger nicht nur durch Sexorgien, spirituelle Reden und Drogeneinfluss für sich gewonnen haben wird. Doch mehr bekommen wir von Marcelo Games Charles Manson nicht zu sehen. Visuell interessanter Hippie-Hokuspokus nimmt den Platz für eine Charakterisierung des Mannes ein, der all die Menschen, naive junge Frauen und Männer (inklusive Jim Van Bebber selbst als Bobby Beausoleil) verführte und manipulierte – und wird deshalb unglaubwürdig und wenig erhellend. Etwas wirklich Neues bietet Van Bebber uns hier nichts an, dabei hatte er durch die vordergründige Beschäftigung mit Mansons Vertrauten mehr versprochen.
"The Manson Family" bleibt eine technische Spielerei. Van Bebber verzerrt, verfremdet und beschädigt sein Filmmaterial, nutzt irritierende Soundtracks und schafft sich durch halsbrecherische Schnittfolgen ein sehr eindringliches, sehr brutales Werk. Hätte er nicht die Absicht gehabt, eine reale Tragödie zu verfilmen, wäre es vermutlich sogar ein guter, wenn auch unnötig heftiger Film geworden. Doch mit der Prämisse, einen Film über echte Tode und eine endgültige Wahrheit schaffen zu wollen, dreht sich Van Bebber selbst seinen Strick: "The Manson Family" ist ein respektloses, ausbeuterisches Produkt (wenn auch sicherlich mit guten Absichten versehen), das aufgrund seiner achtlosen Technikspielerei an Wirkung und Bedeutung verliert.