Review

Es ist schon schwer, eine gerechte Beurteilung eines Kinderfilms abzugeben. Man ist ja zugegebener Maßen nicht mehr vier und stellt sicherlich andere Ansprüche. Trotzdem brennt es einem bei manchen Filmen höllisch unter den Nägeln, seinen Kommentar los zu werden.

Einer der Filme, die trotz ihres infantilen Zielpublikums nach einer Bewertung schreien, ist „Thomas, die fantastische Lokomotive“. Dieser Film ist schon deshalb interessant, weil sich hier Größen wie Alec Baldwin und Peter Fonda die Ehre geben. Und das in einem Film über sprechende Lokomotiven.

Ich denke, dass jeder, der kleine Kinder hat, um Phänomene wie „Bob, der Baumeister“ und eben „Thomas und seine Freunde“ nicht herumkommt. Das muss einem gerade bei der letztgenannten Serie auch gar nicht peinlich sein. Britt Allcroft hat die sehr antiquierten, ungeheuer britische Eisenbahngeschichten von Reverent Awdry wiederentdeckt und als Films mit einer überdimensionierten Modelleisenbahn einem jungen Publikum zugänglich gemacht. Alle Filme sind wirklich nett gemacht, haben eine pädagogisch wertvolle Aussage (man merkt den christlichen Autor) und sind vor allem angenehm kurz.

Dabei hätte man es belassen sollen. Aber leider stellen erfolgreiche Kinderserien eine Marketing-Melkkuh dar und so war auch Allcroft geneigt, ein neues Fass in der Vermarktung anzustechen. Nicht jeder Anstich sitzt…

„Thomas, die fantastische Lokomotive“ ist eine britisch-amerikanische Koproduktion, die wohl den amerikanischen Markt als Ziel hatte. Anders ist die unglaubwürdige und zähe Einbeziehung der heilen, realgefilmten US-Eisenbahnwelt, die die Insel Sodor mit ihrem Spielzeugcharme (für Kinderlose: das ist die Insel, wo die klassischen Geschichten spielen) als Paralleluniversum degradiert, nicht erklärbar. Und es kommt noch dicker. Natürlich obliegt es den Amerikanern, die Welt von Sodor zu retten. Analog zur Weltpolitik ist dort wohl der einzig wahre Geist zu hause. Er manifestiert sich in der Person eines kleinwüchsigen Schaffners (wieso um Gottes Willen), der von Alec Baldwin gespielt auch Paralleluniversen bereisen kann und aufpasst, dass die Begeisterung für Dampflokomotiven nicht verloren geht, des netten Großvaters Peter Fonda (born to be wild?) und eines unerträglichen kleinen Mädchens, das von Mara Wilson entsetzlich in Szene gesetzt wird. Hierbei muss man anerkennen, dass die Rollen von Fonda und Wilson noch eine gewisse Würde haben. Aber was Baldwin nach „Jagd auf Roter Oktober“ dazu bringen konnte, den trotteligen Schaffner zu spielen, werde ich nie verstehen.

Aus Sicht der Eisenbahnen, die sonst die Stars dieser Filme sind, erzählt der Film die Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse. Das war eine günstige Gelegenheit, neue Lokomotiven einzuführen. Die Spielzeugindustrie war dankbar. Das Böse ist die Diesellokomotive „Diesel 10“, die mit einem Greifarm ausgerüstet Sodor in Schutt und Asche legen will, allen voran die verhassten Dampflokomotiven. Aber es gibt ja noch das Gute in Form der kleinen Dampflok „Lady“ (mit einem Gesicht wie Dolly Buster), die den bösen Diesel besiegt. Der Rest des Films sind wirre Handlungsstränge, sentimental-kitschige Passagen und ach so lustige Einlagen. Also ganz großer Mist.

Ein solches Urteil sollte man als gestandener Mann nicht leichtfertig geben. Aber mein fast vierjähriges Mit-Publikum war ebenfalls irritiert, was die langweiligen Realpassagen anging. Die Modelleisenbahn selbst kam so gut an, dass die Rechnung der Spielzeugindustrie wenige Tage später schon aufging. Ich selbst kann mit den Eisenbahnen von Sodor nach wie vor auch gut leben; aber wenn man den Film mehrfach in Folge sehen musste, fängt man wirklich an, Fonda und Baldwin zu hassen. Wilson war schon vorher unerträglich. Deshalb muss ich jeden Fan der beiden Schauspieler vor dem Konsum dieses Films dringend warnen.

In Summe ist „Thomas, die fantastische Lokomotive“ ein Trauerspiel. Dort wird eine nette, europäische Geschichte gnadenlos amerikanisiert und dabei noch in den Hintergrund gespielt. Dafür gibt es Albernheiten und sentimentales Geseier, dass viel zu bunt gefilmt und dann noch mit grauenhaften Liedern untermalt wurde. Der gute Pastor würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitkriegen müsste, wie die von ihm geschaffene Welt auf dem Altar des Kommerzes geopfert wird. Aber ein Trost bleibt uns: der Film war meines Wissens ein Flop und wurde selbst bei uns nach wenigen Vorführungen aus dem Programm genommen. Und das vom Zielpublikum und nicht dem geneigten Zuschauer, der so froh war, nicht an Hirnverflüssigung jämmerlich zu sterben.

Also: wer sollte sich den Film ansehen? Keiner! Auch für das kindliche Thomas-Publikum geben die klassischen Folgen entschieden mehr her. Also ab in die Tonne und ordentlich Gras drauf. Von mir gibt es 4 Punkte für den Sodor-Teil und keinen Punkt für den Realteil, also gemittelt 2 von 10 Punkten.

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