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Der Agent Harry Palmer wird von seinem Vorgesetzten Colonel Ross in eine andere Abteilung versetzt, wo er das Verschwinden des Wissenschaftlers Redcliff untersuchen soll. Schnell macht man einen gewissen Grantby als Drahtzieher der vermeintlichen Entführung ausfindig. Bei der Untersuchung einer leerstehenden Fabrik findet Palmer die Überreste eines Tonbands mit der Aufschrift "Ipcress", auf dem sich nichts als kakophonischer Lärm befindet, worauf er sich zunächst keinen Reim machen kann. Kurz darauf gelingt es den Agenten, Redcliff bei einer angesetzten Lösegeld-Übergabe in Sicherheit zu bringen, jedoch ist dieser aufgrund einer Gehirnwäsche nicht mehr in der Lage, seine Arbeit fortzuführen. Schließlich findet Palmer heraus, dass die Abkürzung "Ipcress" für "Induction of Psychoneuroses by Conditioned Reflex Under Stress" steht und Grantby offenbar eine effektive Methode zur mentalen Manipulation entwickelt hat... und kurz darauf wird er selbst gekidnappt und soll nun entsprechend konditioniert und umgepolt werden... James Bond-Co-Produzent Harry Saltzman erkennt Mitte der 1960er-Jahre die Gunst der Stunde und versucht mit "Ipcress - Streng Geheim" auf die von ihm selbst mit ausgelöste Welle von Agentenfilmen aufzuspringen und quasi doppelt abzukassieren... allerdings ohne dabei die eigene Erfolgsmarke plump zu kopieren. Ganz im Gegenteil, hier gibt es weder exotische Locations noch irgendwelche ausgefallenen Gadgets und auch Michael Caines Harry Palmer ist tatsächlich der reinste, unglamouröse Anti-James Bond, der ohne seine dicke Hornbrille völlig aufgeschmissen ist und dem man während des Vorspanns dabei zusehen darf, wie er sich nach dem Aufstehen in seiner häßlichen Wohnung erstmal 'nen Kaffee zum Frühstück macht. Die Erwartungen des zeitgenössischen Publikums in Sachen Eskapismus und Action mag "Ipcress - Streng Geheim" darum auch mal gepflegt unterlaufen haben und so wundert es einen auch nicht wirklich, dass Caine in der Palmer-Rolle anschließend auch - anders als das Vorbild - nicht ein paar Dutzend, sondern nur noch zwei weitere Kino-Auftritte gehabt hat (wobei Michael Caine den Part allerdings in den 90ern tatsächlich nochmal in zwei TV-Filmen aufgegriffen hat!). Die übliche Agentenfilm-Schiene bedient der Streifen, der die Geheimdienst-Tätigkeit nicht als aufregendes Erwachsenen-Abenteuer schildert, sondern bei dem die Spione vornehmlich damit beschäftigt sind, ob bürokratischer Nickeligkeiten Formulare auszufüllen und gegen konkurierende Abteilungen zu agitieren, also nicht, doch dafür driftet die Angelegenheit mittendrin beinahe unmerklich in Richtung Paranoia-Thriller ab, der in bester 60s-Manier zum Ende hin ziemlich trippy daherkommt... und auf die Art auch die anfängliche Sprödigkeit ein wenig wettmacht. Zweifellos handelt es sich bei "Ipcress - Streng Geheim" auch immer noch um den besten Film von Sidney J. Furie, der ja seit über sechzig Jahren mal mehr, mal weniger ansehnliche Streifen runterkubelt (den letzten davon übrigens erst 2021 mit beinahe 90!) und in dessen Vita sich von 80s-Actiongülle wie "Der Stählerne Adler" und "Superman IV - Die Welt am Abgrund" über den Super-Schund "Entity - Es gibt kein Entrinnen vor dem Unsichtbaren, das uns verfolgt" bis hin zu Direct-to-Video-Filmchen mit Dolph Lundgren im neuen Jahrtausend ja wirklich so ziemlich alles tummelt... und dessen Œuvre sowohl für Cineasten als auch Trash-Fanatiker mal 'nen deep dive wert ist. Seine Inszenierung hier ist allerdings wirklich gut und sorgt mit schrägen Blickwinkeln und extremen Bild-Kompositionen und Kamera-Positionen dafür, dass sich beim Zuschauer dasselbe unangenehme Gefühl der Beklemmung breit macht, das irgendwann auch die Hauptfigur befällt. Und für Fans von Michael Caine, die mal sehen wollen, warum es doch Sinn gemacht hat, ihn in "Goldständer" als Austin Powers' Vater zu besetzen, ist der Streifen sowieso ein Muss.

8/10

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