Schade, dass der kontroverseste Film von Catherine Breillat in Deutschland (noch) nicht veröffentlicht wurde. Auf die mit Sicherheit höchst unterschiedlichen Meinungen wäre ich sehr gespannt.
Eine Diskothek, irgendwo in Frankreich. Die Disco ist hauptsächlich ein Treffpunkt für Homosexuelle. Auf der Toilette sitzt eine Frau, mit einer Rasierklinge schneidet sie sich die Pulsadern auf. Ein Mann öffnet die Tür und verhindert, dass sie sich das Leben nimmt.
Die Frau möchte sich bei ihm bedanken. Sie bezahlt ihn und lädt den schwulen Mann in ihr Strandhaus ein. Einige Nächte lang möchte sie versuchen, ihm die Abscheu vor dem weiblichen Geschlechtsorgan zu nehmen...
Eine kleine Anmerkung: Bereits auf dem Nachhauseweg, ganz kurze Zeit nach ihrem Selbstmordversuch, öffnet die namenlose Frau dem ebenfalls namenlosen Mann die Jeans. Obwohl er auf Männer steht, hat er sofort eine Erektion. Sie befriedigt ihn oral, er kommt sehr schnell zum Orgasmus. Naja.
ROMANCE galt für mich definitiv nie als Skandalfilm. Zu ANATOMIE DE L'ENFER passt eine solche Bezeichnung jedoch bestens. Zwischendurch wird man den Verdacht nicht los, dass Breillat fast schon verzweifelt versucht hat, gewisse Grenzen zu überschreiten.
Nach dem kurzen Vorspann sieht man sogleich, wie ein Mann den Penis eines anderen Mannes liebkost, nicht nur Finger sondern auch Gartenwerkzeug werden in eine Scheide gesteckt, wenn rasch ein männliches Geschlechtsorgan zu sehen ist, klebt meistens Blut daran usw.
Klar, ohne explizitere Szenen würde dieser Film nicht so funktionieren, wie von Breillat gewünscht. Aber dass ein Vogelkücken, eben erst aus dem Ei geschlüpft, von einem kleinen Jungen mit dem Fuß zerdrückt wird oder, dass ein kleines Mädchen auf dem Boden liegend ohne Unterhöschen gezeigt wird, finde ich höchst unnötig. (Würde ein typsicher Sexploiter eine solche Aufnahme zeigen, würde ich den entsprechenden Film sofort mit dem Punkteminimum benoten.)
Kaum zu glauben, was die BBFC in England mittlerweile nicht mehr aus einem Film rausschneiden lässt...
In einem Interview hat Catherine Breillat gesagt, dass sie vielen Männern die Abscheu vor dem Menstruationsblut nehmen möchte. In ANATOMY OF HELL sieht man folgendes: Die Frau zieht einen blutigen Tampon aus ihrer Vagina. Wie ein Teebeutel taucht sie diesen dann in ein mit Wasser gefülltes Glas. Der Mann trinkt von der mittlerweile rot gefärbten Flüssigkeit.
Na klar, vielen Dank Catherine, nach dieser Filmsequenz kann jeder männliche Zuschauer natürlich kaum noch darauf warten, bis seine Sexualpartnerin endlich wieder ihre Monatsblutungen hat...
Ich kann mich echt nicht entscheiden, wie ich diesen Film bewerten soll.
Amira Casar ist toll, einige der kurzen Aufnahmen der französischen Küste bei Nacht ebenfalls, die Gesamtatmosphäre überzeugt. Mir gefällt es sehr gut, dass ein großer Teil des Films in einem einzigen Zimmer spielt. Der spärlich eingerichtete Raum wird nur leicht ausgeleuchtet. Die Hauptakteurin, mit ihrer schneeweißen Haut, liegt meistens nackt auf dem Bett, der Mann (im Anzug) sitzt meistens auf einem Stuhl in ihrer Nähe. Interessant!
Nebst den beiden bereits erwähnten fragwürdigen Aufnahmen, hat der Film doch einige Schwächen. Zum Beispiel der männliche Hauptdarsteller Rocco Siffredi. Nach ROMANCE wollte Catherine Breillat ihn nochmals als Hauptakteur engagieren. Warum nur? Es gibt auch in Frankreich viele fähigere Schauspieler, die bereit gewesen wären, einige Sekunden lang ihren Penis zu präsentieren.
Eine Qual sind meiner Meinung nach auch einige der (sehr langen) Dialogpassagen. Da hat man von Siffredi in einigen Pornos gescheiteres gehört...
Zudem kann ich durchaus nachvollziehen, dass einige homosexuelle Menschen Mühe damit haben, dass man den Inhalt des Films teilweise so interpretieren kann, dass man den schwulen Hauptakteur "heilen" kann/sollte.
Ich wünsche mir, dass etwa gleich viele Leute hier in der OFDb ein Review über ANATOMIE DE L'ENFER schreiben, wie dies normalerweise bei einem Mainstream-Horrorfilmchen der Fall ist. Leider wird dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen.