Something Aels
„Tod, Tod, Tod – und draußen scheint die Sonne!“
Der deutsche Regisseur Veit Harlan war Reichspropagandaminister Goebbels‘ wichtigster Filmemacher, da er es perfekt verstand, dessen Vorstellungen von manipulativen Propagandafilmen publikumswirksam umzusetzen. Auf dem Kerbholz hat Harlan heutige Vorbehaltsfilme wie das antisemitische Machwerk „Jud Süß“ oder den angesichts der nahenden Befreiung Durchhaltewillen, Opferbereitschaft und Politik der verbrannten Erde propagierenden „Kolberg“, aber auch ein vermeintlich harmloser Film wie „Die goldene Stadt“ transportiert Teile der NS-Ideologie. Harlan stellte seine Filmkunst bereitwillig in den Dienst der Nazis und machte sich somit mitverantwortlich für deren Gräueltaten. Das 1942/’43 parallel zu Harlans „Immensee“ in Agfacolor gedrehte, aber erst im Dezember 1944 veröffentlichte Melodram „Opfergang“, eine freie Adaption der gleichnamigen Novelle aus dem Jahre 1912 des späteren opportunistischen Nazi-Schriftstellers Rudolf G. Binding, ist jedoch überraschend ideologiefrei und in seiner Ästhetik zumindest partiell recht weit vom üblichen, von Harlan mitgeprägten NS-Kintopp entfernt, womit es, wie man liest, auch nicht sonderlich auf Goebbels‘ Gegenliebe stieß.
„Ich will leben, ich will nicht vegetieren!“
Albrecht Froben (Carl Raddatz, „Stukas“) kehrt nach drei Jahren von seinen Reisen für den Deutschen Kolonialbund in seine Heimat Hamburg zurück und verlobt sich recht bald mit Octavia (Irene von Meyendorff, „Die letzten Vier von Santa Cruz“), einer vermögenden Senatorentochter, die zusammen mit ihren Eltern in einer Villa direkt an einem pittoresken See lebt. Von Octavias Familie und deren Wochenendbeschäftigungen ist Albrecht jedoch bald angeödet: Das Wohnzimmer verdunkeln, Chopin auf dem Klavier spielen und Nietzsche rezitieren, während draußen die Sonne lacht. Als Albrecht eines Tages allein auf dem See rudert, begegnet er Aelskling (Schwedisch für „Liebling“), genannt Aels (Kristina Söderbaum, „Jud Süß“), aus der Nachbarschaft, einer freizügigen, frechen und attraktiven jungen Blondine skandinavischer Abstammung, die sich nacktbadend an sein Boot hängt und ihn in einen Flirt verwickelt. Bald verbringen die beiden regelmäßig Zeit miteinander und verlieben sich ineinander. Problematisch daran ist jedoch nicht nur Albrechts bevorstehende Ehe mit Octavia, sondern vor allem der Umstand, dass Aels an einer nicht näher definierten unheilbaren Krankheit leidet, aufgrund derer sie bereits ihre kleine Tochter in eine Pflegestelle geben musste und sich eigentlich schonen sollte. Ihre Lebens- und Abenteuerlust steht im Kontrast zu den Empfehlungen ihres Arztes, doch sie möchte lieber die Zeit, die ihr bleibt, in vollen Zügen genießen. Nach ihrer Heirat gehen Albrecht und Octavia nach Düsseldorf, wo sich Octavia jedoch unwohl fühlt, weshalb man zurück in die Elbmetropole zieht. Notgedrungen findet sich Octavia mit ihrer Rolle in der Dreiecksbeziehung ab und opfert sich sogar auf, die bald im Sterben liegende Aels zu Pferde vom Torbogen ihrer Villa aus als Albrecht verkleidet zu grüßen, als dieser mit einer Typhusinfektion ans Bett gefesselt kämpft. Aels stirbt dadurch glücklich in der Gewissheit der Zuneigung Albrechts, während dieser seine Ehefrau mit neuen Augen zu sehen beginnt.
Harlans „Opfergang“ ist eine mit dem ganz dicken Pinsel aufgetragene düsterromantische und zugleich kitschige Liebesmär, die in der Welt wohlhabenden Oberschicht spielt, in der es nicht nur keine Nazis und keinen Krieg, sondern auch keine Arbeit zu geben scheint. Die Geschichte würde sich bestimmt auch gut in einem auf eine weibliche Zielgruppe zugeschnittenen Groschenroman machen, derart realitätsentrückt und auf zwischenmenschlichen, ergreifenden Herzschmerz fokussiert ist sie. Zum Paralleluniversum, in dem sie offenbar angesiedelt ist, passen auch die Drehorte, die Hamburg und Düsseldorf zu sein vorgeben, zu denen neben der Hansestadt jedoch auch Berlin, Potsdam, Eutin, Rügen und Hiddensee zählen. So finden sich Aelskling (nicht zu verwechseln mit Else Kling) und Albrecht ohne Weiteres an prächtigen Ostseestränden wieder, die sich in Harlands Welt unweit Hamburgs zu befinden scheinen. Interessanter ist jedoch die für die damaligen Umstände relativ unverhohlene erotische Komponente, die die „Reichswasserleiche“ genannte (ihre Rollen überlebten selten einen Harland-Film) Lebensgefährtin Harlands in ihre Rolle als Aels einbringen durfte: Ob nacktbadend oder nur in weißer Unterwäsche bogenschießend auf ihrem Pferd am Strand reitend, sie bildet einen eindeutig auf Körperlichkeit und Lebendigkeit ausgerichteten Kontrast zur zugeknöpften, unterkühlten Octavia.
Fast schon surreal mutet die Düsseldorfer Maskenballsequenz an, in der eine zum riesigen Clownsmund geformte Rutsche maskierte Feierlustige ausspuckt und Albrecht eigenartige, Trugbildern ähnliche Begegnungen macht. So wenig Octavia die dortige Atmosphäre auch behagt, so sehr muss man konstatieren, dass Harlan hier Bilder erschuf, die ihrer Zeit voraus schienen bzw. die man, wüsste man’s nicht besser, nicht dem NS-Kino zugeordnet hätte – und innerhalb dieses schweren Melodrams auch wie ein drogeninduzierter Fremdkörper wirken. Doch damit nicht genug: Als es mit Aels zu Ende geht, treten Albrecht und sie telepathisch miteinander in Kontakt; Harlan visualisiert sein tränendrüsendrückendes Finale in transzendentalen, orgiastischen Fieberträumen aus Überblendeffekten. Tatsächlich lässt sich darin die nekrophile Todessehnsucht des NS-Kinos wiedererkennen, wenn auch auf eine derart entfremdete Weise, dass Goebbels‘ kritische Haltung diesem Film gegenüber kaum verwunderlich ist.
Die eigenartige Mischung aus melodramatischem Fatalismus und Happy End, die den Ausgang dieser Romanze prägt, rückt die bisher lediglich eine untergeordnete Rolle eingenommen habende Figur Octavias in den Vordergrund, die ihre Eifersucht schnell in den Griff bekommen und ihrem Mann – weshalb auch immer – alles durchgehen lassen hat, um ihn nach Aels‘ Tod vorbehaltlos weiter zu unterstützen und treu an seiner Seite zu bleiben. Einerseits siegt so das sicherlich NS-genehme Frauenbild gegenüber Abenteuer und Sinnlichkeit (in der literarischen Vorlage stirbt Albrecht statt Aels, Überlieferungen zufolge bestand Goebbels auf diese Modifikation), doch wird Aels und das, was sie verkörpert, kaum diskreditiert, sondern im Gegenteil offen mit ihr und ihrem Lebens- (und Sterbens-)entwurf sympathisiert. Die kaum ins NS-Kino passenden Besonderheiten dieses Films sind dabei nicht etwa unter dem permanenten Orchesterkleister respektive den von der Musikspur aufjaulenden Frauenstimmen oder den übertriebenen Gefühlsduseleien, den an Heimatfilme gemahnenden Landschaftsbildern und den Großaufnahmen Söderbaums puppenhaften Antlitz‘ mühsam zu bergen, sondern dominieren zumindest größere Teile des Eindrucks, den „Opfergang“ hinterlässt.
Das macht diesen Film Harlans zu einer zwar überkonstruierten, morbiden Kitschromanze, die aufgrund ihrer genannten bemerkenswerten Ansätze im Zusammenspiel mit der bunten Agfacolor-Farbenwelt und den nicht von der Hand zu weisenden schauspielerischen Leistungen der ausstrahlungsintensiven Hauptdarsteller(innen) jedoch nicht ohne Reiz ist und insbesondere vor ihrem historischen Hintergrund Widersprüche offenbart und Fragen aufwirft. Widersprüche zogen sich nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus offenbar auch durch Harlans weiteres Leben und Schaffen, aber das ist eine andere Geschichte.