Erbsen auf halb 6 - das ist eine Hilfestellung für Blinde, um sich beim Essen gedanklich ein Bild von der Anordnung der Speisen auf dem Teller machen zu können. Die geburtsblinde Lilly Walter weiß diese Gedankenstütze zu schätzen. Jakob Magnusson, durch einen Autounfall erblindet, muss es erst noch lernen. "Erbsen auf halb 6", eine Mischung aus Tragikomödie und klassischem Road-Movie, erzählt die Geschichte dieser Menschen, die trotz ihrer Blindheit und der anfänglichen Antipathie schließlich einander lieben lernen.
Im Grunde ist es die traditionelle Liebesgeschichte, die Regisseur Lars Büchel hier inszenierte, nur mit der natürlich nicht unbedeutenden Besonderheit, dass es sich bei seinen Hauptprotagonisten um Blinde handelt. Als Geburtsblinde weiß Lilly mit Farben nichts anzufangen. Rot, Gelb, Blau - für sie nichts als Worte, die höchstens phantasievoll umschrieben werden. Jakob allerdings kennt die Farbenpracht einer blühenden Sommerwiese oder die atemberaubende Schönheit eines traumhaften Sonnenuntergangs. Lediglich das Festklammern an Erinnerungen bleibt ihm nach dem Verlust seines Sehsinnes. Ein Umstand, aus dem Lars Büchel den größten Konflikt erwachsen lässt, der Jakob zunächst in einen tiefen Abgrund bitterer Melancholie, ja sogar bis an das Ende seines Lebensmutes stößt. Ein Leben ohne Sehen - schlicht und ergreifend nicht vorstellbar für ihn.
Allmählich während der abenteuerlichen Reise nach Russland zu Jakobs todkranker Mutter vermag die ausgesprochen willensstarke Lilly, Jakobs persönliche Tragik zu ersticken; die Liebesgeschichte kommt ins Rollen und endet schlussendlich natürlich erwartet glücklich. Geradezu einen verträumten Charakter erhält Büchels Werk bei der sehr märchenhaft angelegten Story, den vielen Klischees und der regelrechten Postkartenoptik, durch die vor allem das symbolträchtige Element Wasser optisch erstklassig in Szene gesetzt wird. Das womöglich größte Kunststück sollte hier aber mit der zusätzlichen Bedienung des Komödien-Genres gelingen. Eine Kür, die auch gänzlich von Erfolg hätte gekrönt sein können, würde der überwiegend eigentlich sehr ansprechende Humor nicht ab und zu in völlig unpassende Regionen eines Teeniefilmes abdriften. So findet Büchel neben dem Hauptstrang mitunter noch stets Zeit, Lillys Schwester bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht extremst pubertär zu filmen, ohne dass es für die Handlung von irgendeiner Bedeutung wäre.
Der Gesamteindruck aber bleibt nichtsdestotrotz positiv. Insbesondere die großen schauspielerischen Anforderungen an die Darstellung eines Blinden wurden von Fritzi Haberlandt und dem Isländer Hilmir Snær Guðnason bravourös bewältigt und lassen über Schwächen hinwegsehen. Beeindruckend ist außerdem die künstlerische Qualität, sodass sich "Erbsen auf halb 6" als nicht zu vergessen auch geschicktes Plädoyer für die inneren Werte wärmstens empfiehlt.