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Es ist [Achtung: Spoiler!] sicher kein Zufall, dass das Genre des Horrorfilms mit "Dracula" (1931) und "Frankenstein" (1931) zu seiner Form fand: eine der besten aller gothic novels, deren Geschichte sich vergleichsweise leicht zusammenfassen & nacherzählen ließ, deren Greuelmomente noch im 20. Jahrhundert nichts von ihrer Skandalösität verloren hatten und die schnell zum Musterbeispiel der Kunstmenschen- & mad scientist-Thematik geriet, und der mit Abstand erfolgreichste Beitrag der victorian gothic, der alsbald zum Hauptwerk der Vampirliteratur avanciert war, waren zu Beginn des Tonfilmzeitalters nicht nur in nicht enden wollenden Neuauflagen auf dem Buchmarkt nach wie vor erhältlich, sondern waren auch in Form von Stummfilmen bereits verfilmt worden. Universal hatte mit beiden Stoffen nicht nur seine Phase von Horror-Tonfilmen begonnen, sondern an beiden Stoffen auch die Serialisierung erprobt, welche bis heute den Genrefilm insgesamt und den Horrorfilm insbesondere durchzieht. Gerade Universals Dracula-Filme zeugen von der Schwierigkeit, ein gewisses Maß an Kontinuität zu wahren und dennoch am Namen der eigentlich längst vernichteten Hauptfigur festzuhalten: zunächst ließ man "Dracula's Daughter" (1936) auf das Publikum los, dann den "Son of Dracula" (1943)... die Blutlinie fortzusetzen, erschien damals noch am naheliegendsten; in den befremdlichen Crossover-Zusammenstellungen ihrer Werwolf-, Frankenstein- und Dracula-Filme "House of Frankenstein" (1944) und "Haus of Dracula" (1945) belebte man schließlich den gepfählten Leichnam des Grafen wieder, um ihn dann im Sonnenlicht zu Asche zerfallen zu lassen, bevor man ihn dann im kläglichen Abschluss der glorreichen Zeit des Universal-Horrorfilms - und in der Parodie "Abbott and Costello Meet Frankenstein" (1948) - ganz einfach ohne jede Erklärung wieder sein Unwesen treiben ließ.

Kein Wunder, dass man auch bei Hammer zum bekanntesten Vampir und zum bekanntesten mad scientist & bekanntesten Kunstmenschen der Literatur- & Filmgeschichte griff: Nachdem im Voraus jeweils allerlei Verhandlungen mit Universal abgeschlossen waren, startete Hammer mit "Curse of Frankenstein" (1957) und "Dracula" (1958) eine eigene, ruhmreiche Horrorfilm-Karriere, in welcher sie zugleich das Genre insgesamt erheblich prägten. Stärker noch als AIP in den USA oder Mario Bava und Konsorten in Italien prägten die Hammer Studios das Bild des gothic horror; und mit beiden genannten Titeln erhoben sie - gleichwohl knallig-rotes Blut in Farbfilmen 1957 grundsätzlich keine Neuheit darstellte - das satte, genüsslich zelebrierte und in Großaufnahmen bedeutungsschwer betonte Blut zu einer Ikone des Genres, in der sich - weniger im Fall von Frankenstein, aber umso deutlicher im Fall von Dracula - die Gewalttätigkeit des Todes ebenso veräußerlichte wie die Gewalttätigkeit der Sexualität.
Letztere war - das liegt in der Natur des Vampirismus! - in Hammers Dracula-Reihe freilich überaus präsent: gemäß der kruden, wenngleich geschickt verschleierten Erotik von Stokers Romanvorlage - in der Dracula als egoistischer Machtmensch mit seinen begehrten Frauen umspringt und in der sexuelle Handlungen und Körperflüssigkeiten immer wieder in zweideutigen Beschreibungen präsent sind - agierte Lee als herrisches Monstrum, dessen Interesse vor allem dem weiblichen Geschlecht gilt, welches sich über die 60er Jahre hinweg bis in die 70er Jahre hinein immer freizügiger und großbusiger den Gelüsten des Grafen darbot. Und Draculas vampirische Gefährtinnen traten seit Fishers "Dracula" als becircende Verführerinnen auf, als blutlüsterne femme fatales, die eine Umarmung und einen Kuss versprechen, um dann in die Nacken der Umgarnten zu beißen... in der Karnstein-Trilogie nach Le Fanu sollte diese sexuelle Komponente des Vampirfilms dann am deutlichsten bei ihnen zutage treten.

Nun hatte also Hammer Ende der 50er Jahre vollbracht, was Universal Anfang der 30er Jahre gelungen war: Man hatte - nachdem man zuvor bereits mit ein paar recht unheimlichen SciFi-Filmen glänzen konnte - den Phantastischen Film, insbesondere den Horrorfilm, nachhaltig prägen können und den Namen Hammer geradezu zu einem Synonym für Horror werden lassen. Mit Filmen wie "The Mummy" (1959), "The Hound of the Baskervilles" (1959), "The Two Faces of Dr. Jekyll" (1960), "Curse of the Werewolf" (1961), "The Shadow of the Cat" (1961), "The Phantom of the Opera" (1962), "Kiss of the Vampire" (1963), "The Gorgon" (1964), "Plague of the Zombies" (1966), "The Reptile" (1966), "The Witches" (1966), "The Devil Rides Out" (1968) und - natürlich! - den vielen Sequels der Frankenstein-, Dracula- und Mumien-Filme feierte man im Genre Erfolge.
Während sich die Frankenstein-Reihe recht schnell (bereits 1958) fortsetzen ließ, indem man nicht die erschaffene Kreatur, sondern den - von Peter Cushing großartig verkörperten - Schöpfer als Hauptfigur präsentierte (welche dem scheinbaren Tod am Ende eines Films laut den Enthüllungen des folgenden Films dann doch insgeheim entgangen war), tat man sich bei der Dracula-Reihe etwas schwerer. Zwar folgte bereits nach zwei Jahren "The Brides of Dracula" (1960), aber wie in der Frankenstein-Reihe konzentrierte man sich hier noch auf den Menschen - in diesem Fall also auf Van Helsing, ebenfalls von Peter Cushing wunderbar gegeben - und nicht auf seinen Wiedersacher (Christopher Lee als Monster in "Curse of Frankenstein" und als Dracula), den man kurzerhand durch dessen titelgebenden Bräute und einen gewissen Baron Meister ersetzte.
Erst ein zweites Sequel entdeckte nach acht Jahren die schon in Universals "House of Frankenstein" praktizierte und später in Slasher-Filmreihen wie "Friday the 13th" (1980) exzessiv betriebene Wiedererweckung der Monstren: "Dracula: Prince of Darkness".

Man kann "Dracula: Prince of Darkness" aber sehr schön anmerken, wie unbehaglich man sich mit einer ganz eigenen Weiterführung der Geschichte Draculas fühlte: Jimmy Sangster, der nach einer Idee von Anthony Hinds das Drehbuch verfasste - so wie er es für viele Dracula-, Frankenstein- und Mumienfilme getan hatte -, schien vom Verlangen getrieben worden zu sein, Bedeutsames aus Stokers Roman aufzugreifen, das im 1958er "Dracula" - welcher Figurenkonstellationen und Handlungsorte des Romans erheblich eingedampft und einige Schlüsselszenen des Romans vollkommen ausgelassen hatte - noch unbenutzt geblieben war.
"Dracula: Prince of Darkness" verfügt nun über einen eigenen Renfield-Handlungsstrang, den man im Vorgänger noch vermisst hatte, "Dracula: Prince of Darkness" lässt den Grafen ein begehrtes weibliches Opfer (beinahe) vampirisieren, indem er die Frau (letztlich erfolglos) nötigt, sein Blut zu trinken, welches er mittels Fingernagel aus seiner Brust strömen lässt (was die Beziehung zu seinem Opfer anders als in der 1958er Verfilmung stärker in die Nähe des Romans rückt), "Dracula: Prince of Darkness" orientiert sich bei der Anreise in der unheimlichen Kutsche des Grafen etwas stärker am Roman. Fehlen nun zwar die von Stoker ersonnenen Figuren neben Dracula, so konnten zumindest ein paar populäre Aspekte des Romans aufgegriffen werden, die 1958 - sowohl von Sangster, als auch von Fisher - unberücksichtigt geblieben waren.
Zudem wurde der herrische Charakter des Grafen stärker hervorgekehrt, was auch für seine geradezu hypnotische Macht gilt; und auch der sexuelle Aspekt nimmt hier breiteren Raum ein: Von den zwei Paaren, die sich bei ihrem Karpaten-Urlaub trotz der Warnungen des recht weltlich-bodenständigen Paters Sandor ins Schloss des einst vernichteten Grafen Dracula verirren, werden es gerade die biederen, zugeknöpfteren Figuren sein, die Draculas Erweckung (durch einen treuen Diener) behilflich sind bzw. den Bludurst des Grafen stillen. Wer sich in die strenge Moral des viktorianischen Zeitalters sperrt, ist besonders anfällig für das, was diese zu verdrängen versucht (was den Film zugleich zu einem Kommentar auf Stokers Romanerfolg macht, zu einem Kommentar auf die unterschwellig sexualisierte Literatur jener Zeit, zu einem Kommentar auf die obzönen Blüten- & Knospen-Tapeten jener Zeit); das andere, ungezwungenere Paar wird die Nachstellungen der Vampire hingegen überleben - nicht zuletzt dank Pater Sandor, der zwar im Gegensatz zum strengen Wissenschaftler Van Helsing, dem die christlichen Praktiken quasi von der Notwendigkeit vorgeschrieben worden waren, ein Mann des Glaubens ist, der jedoch sehr unkonventionell seinen Vorlieben für körperliche Genüsse nachgeht: der Herrgott wird schon nichts dagegen haben, dass es sich ein guter Mensch gut gehen lässt. Diejenigen, die inmitten der gesellschaftlich etablierten moralischen Strenge ein Ventil für ihre Bedürfnisse und Begierden finden, entgehen dem vampirischen Treiben. Und wenn die große Barbara Shelley - von Georg Seeßlen einst zur personifizierten "Kehrseite der Prüderie"[1] erhoben - nach ihrer Vampirisierung von zugenöpfter Frömmigkeit in lüsterne Raserei umschlägt, bis ihr mehrere Mönche gegen ihre unbändigende Gegenwehr ankämpfend einen Pflock in den Leib jagen, dann tritt die Ausrichtung dieses Films am deutlichsten zutage. In "Taste the Blood of Dracula" (1970) wird sich diese Ausrichtung nochmals wiederholen. Hammers Dracula-Filme sympathisieren nicht mit dem rebellischen Exzess (wie es in den Vampirfilmen Rollins oder Francos geschieht), sie stehen nicht auf der Seite der entstehenden/entstandenen Gegenkultur, der man sich in späteren Beiträgen erfolglos anbiedern wollte, sie stellen sich allerdings auch nicht auf die Seite strenger Frömmelei, spießbürgerlicher Erzkonservativität: Hammer geht den Mittelweg, in welchem sich Selbstbeherrschung und Befreiung die Waage halten. Die Raserei der Vampire und die Strenge der Ehrwürdigen werden gleichermaßen als unvollkommen geschildert und zum Untergang verdammt: nur diejenigen, die Lust und Anständigkeit zusammenbringen können, enden glücklich.

"Dracula: Prince of Darkness", ein zweites Sequel, das aber direkt an den 1958er "Dracula" anknüpft, greift also - nach ganzen acht Jahren! - auf den (fortan immer wieder genutzten) Kniff der Wiedererweckung zurück, wobei eine möglichst große Nähe zu Stokers Roman anvisiert wird, ohne Elemente des 1958er Films zu wiederholen. Dabei greift der Film nicht bloß den Renfield-Strang, die Mina-Dracula-Beziehung und das Motiv der unheimlichen Kutschfahrt auf, sondern versucht sich sogar an einer Deutung des viktorianischen Romanerfolgs, die ein besonders großes ungestilltes Verlangen genau dort vermutet, wo es am nachdrücklichsten verboten wird. Und damit wiederum sichert man sich die Sympathien bei einer neuen, rebellischeren Jugendkultur - in der man teilweise eine wichtige Zielgruppe sehen musste -, ohne jedoch ihren Vorstellungen weitreichender Freiheiten völlig folgen zu müssen: stattdessen wollen Fisher (Jahrgang 1904) und Sangster (Jahrgang 1927) ihr einen noch recht angepassten Mittelweg schmackhaft zu machen. Insofern ist "Dracula: Prince of Darkness" charakteristisch für den Tonfall vieler kommender Hammer-Horrorfilme.
Handwerklich liefert der Film freilich souveräne Hammer-Routine, die Inszenierung ist zudem auf üblichem Fisher-Niveau. Sangsters Drehbuch vereinigt erfreulicherweise viele Elemente des klassischen Horrorfilms, des wohligen Grusels (à la old dark house-Stil) - Wälder bei Nacht, das unheimliche Schloss, Kellergewölbe, abergläubische Dörfler, christliche Symbolik, unheimliche Butler - mit moderneren Schocks: Nach der Hälfte der Laufzeit wird eine erdolchte Hauptfigur kopfüber über Draculas Gruft hängend einen Kehlenschnitt erhalten, um dann auszubluten; eine Vampirin lässt ihre Pfählung nicht mehr still über sich ergehen, sondern tobt und leistet Gegenwehr. Einer gebissenen Frau brennt man die vampirischen Wundmale mit einer Öllampe aus... Die Ansätze von Hammers ersten - und für die Geschichte des Splatterfilms bereits ausgesprochen bedeutenden - Horrorfilmen haben sich in acht Jahren merklich radikalisieren können.
Herausgekommen ist letztlich ein durchaus ambitionierter gothic horror-Streifen, der Schock und Schauder gleichermaßen bietet und all das liefert, was man sich von Hammer-Filmen erhofft: malerische Studiokulissen, einen charismatischen Star (wenngleich Lee insgesamt nur wenig Leinwandpräsenz erhält), James Bernards markantes Dracula-theme... die lange Exposition, das Fehlen von Peter Cushing, welcher erst in "Dracula A.D. 1972" (1972) wieder mitmischte, mögen manchen Fan der Hammer-Draculas ein wenig betrüben; nach dem richtungsweisenden Erstling dürfte es sich hierbei aber um einen der besten Teile der Reihe - neben Freddie Francis' "Dracula Has Risen from the Grave" (1968) und Roy Ward Bakers schön ausgestatteten "Scars of Dracula" (1970) - handeln.
6,5/10


1.) Fernand Jung, Georg Seeßlen, Claudius Weil: Der Horror-Film. Regisseure, Stars, Autoren, Spezialisten, Themen, Filme von A-Z. Enzyklopädie des populären Films. Bernhard Roloff 1977; S. 380.

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