Atmosphäre wird großgeschrieben in diesem neuen Beitrag zur Geschichte der Serienkiller im Film. Mathieu Kassovitz' Film ist sicherlich ein heißer Kandidat für den düstersten, feuchtesten und ungemütlichsten Thriller des Jahres. Gleichzeitig ist er ein visuelles Feuerwerk, das vor allem im letzten Drittel die ihm zugrunde liegende Geschichte überrundet.
Doch der Reihe nach: "Die purpurnen Flüsse" sind vieles auf einmal, Buddy-Movie, Serienkillerfilm, Krimi und Drama. Die daraus entstehende Mixtur ist hochexplosiv, doch es gelingt Kassovitz, das Gebräu bis kurz vor Schluß in der Waage zu halten.
Das liegt vor allem auch an den hervorragenden Darstellern. Jean Reno gibt den wortkargen Einzelgänger Niemans mit einer Leon-erprobten Ruhe, die einfach umwerfend ist. Wie ein tapsiger Bär stapft er durch den Film, ohne sich von irgendjemand aufhalten zu lassen.
Genau das Gegenteil von ihm ist Cassel Kerkorian: jung, agil, ständig in Bewegung und überemotional. Diese Gegensätze ergänzen sich hervorragend, obwohl sie die erste Hälfte vollständig getrennt agieren.
Leider liegt darin auch ein großes Problem, das zunächst nicht offensichtlich wird: die beiden Figuren und ihre Suche nehmen soviel Platz ein, daß es dem eigentlichen Fall zunehmend eng wird.
Von Anfang an nicht allzu kompliziert konstruiert, kann man sich über die Zustände an der Uni schon früh so seine Gedanken machen. Auch ist der Kreis der Verdächtigen nicht eben groß, so daß man schon weiß, auf wen es hinausläuft.
Leider driftet der Film im letzten Drittel stärker auseinander, als gut für ihn wäre. Plötzlich bekommt der so kühle Niemans Gefühle für jemand anderen und anstelle eines gerechtfertigten Showdowns an der Uni findet die finale Auseinandersetzung vermutlich des Effekts wegen auf einem Gletscher statt.
Die Auflösung des Geschehens ist leider komplett hanebüchen, ebenso wie die Tatsache, daß am Schluß die Polizisten als Opfer herhalten sollen, anstelle der Uni-Verantwortlichen. Der wichtige und auch interessantere Handlungsstrang rund um die Vorgänge an der Uni wird so zu einem Action-Ende umgeformt, das zwar visuell zu beeindrucken weiß, der erzählten Geschichte aber überhaupt nicht dient.
Zum Glück verdirbt das nicht den Gesamteindruck, doch es beschleicht einen beim Heimgang das leise Gefühl, daß man am Schluß etwas mehr hätte erwarten können.
Trotzdem bleibt genug Nährwert für einen klaren Punktsieg über ähnlich gelagerte, visuell ausgerichtete Ware wie "The Cell". Die Flüsse schwelgen in opulenten Kamerafahrten durch die Naturpanoramen der französischen Bergwelt, malen düstere Bilder einer geheimnisvollen Gegend. Kassovitz setzt Kontrapunkte, läßt auf dunkle Katakomben und finstere Löcher mit schnellem Schnitt Eislandschaften folgen, die in den Augen schmerzen. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, die Stimmung stets bedeutungsschwanger, untermalt von einem intensiven, aber nicht allzu aufdringlichen Score.
Bei alldem läßt er sich trotzdem Zeit, die Panoramen wirken zu lassen. Die Kamera bleibt in Bewegung, doch das Motiv (Landschaft oder Bauwerk) ist dasselbe. Dadurch entsteht der Eindruck beim Zuschauer, ständig aufmerksam sein zu müssen.
Gewalt und Gore finden keinen regen Anklang während des Films. Es gibt zwar ein paar beachtlich zugerichtete Leichen, doch die ekligen Details zeigt Kassovitz stets indirekt, als Reaktion Beteiligter, mit kurzem Schnitt oder als Foto, daß durch die beleuchtete Rückseite wahrgenommen wird.
Ein flottes Gemetzel hätte auch die Atmosphäre als Ganzes verdorben.
Der Showdown schien leicht geschnitten zu sein, doch das fiel kaum ins Gewicht.
So bleibt unter dem Strich ein optisch hervorragender Serienkillerfilm mit einer interessanten Prämisse, die jedoch nicht voll ausgespielt werden kann. Wer an "Sieben" seine Freude hatte, dem wird "Die purpurnen Flüsse" auch gefallen, allein wegen Atmosphäre und der Gewichtung auf die Charakter der Hauptfiguren. Leider erscheint er am Ende nicht so clever wie der Vorgänger, doch reicht es für einen überaus positiven Gesamteindruck und die Gewißheit, daß die atmosphärischeren Filme in letzter Zeit doch eher aus Europa kommen.
Vollauf zufriedene 8/10.