Viele Zuschauer sind so: im gleichen Moment, in dem sie merken, daß ein Film ein sehr kleines Budget hat, schalten sie sofort auf Verachtung. Da kommt dann nur noch:
„Billig-Film“, „Der letzte Scheiß“, „Rotz“, „D-Picture“, „Ich hab vorgespult“.
Gute Eigenschaften, die auch mit billigen Mitteln umgesetzt werden können, werden so regelmäßig übersehen.
Die Bild- und Tontechnik von „Goth“ sind nicht toll. Da haben wir keine brillante Auflösung und offensichtlich auch kein gigantisches Technikteam mit 1A-Equipment. Aber was nützt uns eben jenes teure Technikvolumen bei millionenschweren Filmen wie „The Grey“ und „Godzilla 2014“, die dann trotzdem so dunkel sind, daß man in entscheidenden Momenten fast nichts sehen kann? Da nehme ich doch lieber einen „Goth“, der mit bescheidenen Mitteln aber wenigstens alle Bilder hell genug liefert, um die wichtigen Dinge zu erkennen.
Die Handlung: Ein junges Paar besucht einen Gothic-Music-Club und trifft dort die aggressive Goth (Phoebe Dollar), welche sie zu einem Trip mit ihrem Kleinbus nebst heftigem Drogenkonsum einer neuen Substanz überredet. Schrittweise merken die beiden, daß Goth sehr gefährlich und oft richtig bösartig ist. Der Trip ist bald von Sex und Leichen gesäumt.
Übertrieben sind die Kommentare von Zuschauern, welche sich darüber aufregen, daß die Antiheldin dieser Geschichte mordend, drangsalierend und auf Sexabentuer versessen ist. So wären Gothics und Gruftis nicht – die hätten ganz anderes im Kopf. Diese hysterischen Äußerungen übersehen, daß der Film weder als Dokumentation über die Gothic-Szene gemeint ist noch seine bösartige Goth als Muster-Beispiel für Grufties konzipiert ist. Sie ist eben als Einzelfall eine richtig fiese Schlampe – wobei offengelassen wird, ob sie unter Einfluß von Teufeln/Dämonen steht oder einfach nur ein brutales Arschloch ist. Rationale wie mystische Interpretationen sind erlaubt.
Extrem hoch sollte bewertet werden, wie süffisant und genüsslich Phoebe Dollar dieses kriminelle Biest spielt. Sie schafft es einerseits das Überdrehte glaubhaft zu machen, andererseits aber nicht zu sehr aufzudrehen, sodaß keine durchgeknallte Irre bei ihrer Darstellung herauskommt, sondern eine Extreme, die ihre Überlegenheit ausspielt.
Als ihr Widerpart Crissy ist Laura Reilly wundervoll. Sie sieht auch mit schwarzer Szene-Schminke immer noch aus wie der Traum aller Männer und spielt die Mischung aus aufkeimender Gefährlichkeit, unschuldiger Opferrolle und immer mehr in der Faszination für die böse Goth Versinkende hervorragend. Ihr Partner Dave Stann (Boone) ist auch okay.
Mehr als okay ist die Musik. Zwar wird schon wieder bemängelt, es wäre keine Orininalmusik aus der Gothic-Szene, aber das ist dem Standard-Zuschauer herzlich egal. Viele Stellen sind gefahrvoll und spannend vertont. Das erlesene Sahnestück ist „Twisted & Broken“ (Abney Park), was eine herrliche psychodelische Melodie hat, die süchtig machen kann.
Der zweite Genussfaktor ist der Sex. Zwar enthält der Film keine Pornoszenen und auch die Nacktheit ist nicht extrem aufregend, da es eher billig aussehende Nebendarstellerinnen sind, die unbekleidet auftreten. Aber trotzdem gelingt es dem Film eine sinnliche und drängende Atmosphäre aufzubauen. Der mit Todessymbolen übersäte Wohnbus von Goth hat fast eine Art Gemütlichkeit, wenn das Paar mit ihr durch die nächtliche Stadt fährt. Die fordernde und aggressive Sexualität, die von Goth ausgeht, ist anregend dargestellt. Sie nimmt z.B. einen schönen, harmlosen, fremden Mann in den Bus und vergewaltigt ihn mit harter Gewaltandrohung vor den Augen des Paares, die in nächster Nähe in dem kleinen Fahrzeug bei ihr sind. – Später zwingt sie Boone in einem Bordell Verkehr mit Prostituierten zu haben vor seiner Freundin. Zwar ist es etwas übertrieben, welche Angst alle vor der gering bewaffneten Goth haben, aber die Schauspieler, allen vorn Phoebe Dollar, lassen uns diese Diskrepanz vergessen, da sie so spielt als hätte sie nicht den geringsten Zweifel an ihrer Überlegenheit.
Der dritte Genussfaktor ist Blut. Wir sind ja von Regisseure/Autor Brad Sykes bereits primitive Schlachtplatten gewohnt wie „Camp Blood 1+2“, zünftigen harten Horror wie „Death Factory“ (der allerdings von seinen zweiten Teil, der ohne Sykes war, klar übertroffen wurde). Sogar Zombies im Weltraum hatte er mit „Plaguers“ (2008). Bei „Goth“ wird in den härteren Szenen nicht mit Blut gespart und es werden zahlreiche Menschen brutal abgestochen, geschlitzt, usw.
Was dabei aber gut ist: Dies ist kein dummer Schlitzerfilm, bei dem vorhersagbar ein Unschuldiger nach dem Anderen abgeschlachtet wird, sondern die provokanten Aktionen von Goth sind nicht immer nur Leute killen, sondern eben oft auch sexuelle Nötigung, Leute zum Ausleben der Triebe anstacheln und dominieren. Damit sogar näher an der Realität als Slasher-Gemetzel, denn in der realen Welt ist Sexualität als Triebfeder menschlichen Handelns wesentlich häufiger als verschobener Tötungstrieb.
Außerdem positiv bei der Gewalt: Nur einige der Opfer sind sympathisch und unschuldig, viele sind aber selbst gewalttätig oder verkommen und als Unsympathen nicht so ein Verlust, wie die unzähligen sympathischen Opfer, die in handelsüblichen Slasherfilmen reihenweise und sinnlos umgebracht werden. Und wie gesagt: Bei „Goth“ ist nie klar, was sie machen wird. Jemanden demütigen, ihn sexuell befriedigen, ihn verletzten oder töten. Aus dieser völligen Ungewissheit erwächst Spannung, da sie ständig neue Aktionen startet. Wesentlich besser also als vorhersagbare Schlitzer- oder Tierhorrorfilme, bei denen man bereits nach 10 Minuten sagen kann, wer wann sterben wird.
„Goth“ tritt dabei gegen Horrorfilme an, welche das zehn- bis zwanzigfache an Budget haben und gegen alle dieser teureren Filme, die ein altbekanntes Schema einfallslos herunterspulen, gewinnt „Goth“.
Erwähnt werden muss auch, was nicht so gut gelungen ist. Als das Paar dem Club am anfang betritt, da ist die Band E-RACE, die einen raubtierartigen Punksong („Fingers crossed“) daher schreit asynchrom. Lippen und Bewegungen stimmen überhaupt nicht mit dem Song überein, der wohl von der CD kommt.
Bei einigen Actionmomenten später sind einzelne Bewegungen nicht voll im Bild. Das liegt wohl an den kurzen 6 Tagen Drehzeit.
Generell sind aber Ungeschicklichkeiten in Bewegungen für Filme gar nicht so schlimm, wie sie von Mainstreamzuschauern empfunden werden, denn der normale Mensch ist etwas ungeschickt – oder bewegt euer Nachbar sich vielleicht wie Jackie Chan? Somit sind Ungeschicklichkeiten also eher realistisch. Allerdings stört asynchron mehr.
Bin kein Fan von dem in den letzten 20 Jahren exzessiv in Filmen und Serien gezeigten Drogenkonsum. Hier sind die Rauschzustände und Träume/Halluzinationen allerdings überzeugend gemacht.
Aufpassen bei den Versionen:
a) Auf youtube kursiert eine miese Version von 66 Minuten, bei der Gewalt und Erotik komplett raus sind (21 min gekürzt, also 25 % des Films).
b) Der Film wird sowohl als Einzel-DVD als auch in der Packung „Gothic Queens Box“ in der 13 Minuten gekürzten Fassung (71 min) angeboten (fast alle Gewalt ist raus).
c) Die anderen deutschen DVDs sind zum Glück nahe zu ungekürzt (85 min) und es fehlen nur 4 Sekunden vom noch mal und noch mal zustechen, wobei auch in der leicht gekürzten Fassung 90 % dieses Zustechens drin ist. Es ist also nicht nötig die uncut aus Holland zu holen. Man sieht alles auch in der deutschen „Juristisch geprüft“.
Alles in allem ein sehr kleiner, billiger Film, den ich aber wegen Atmosphäre, Situation, sexuell aufgeladenem Flair, Dialogen und Musik immer und immer wieder sehen kann.
Schulnote 2+
oder
8 / 10