„Im Lahn-Wirtshaus herrscht Sodom und Gomorrha!“
Kurz vor Durchbruch der sexuellen Revolution in Westdeutschland bzw. der mit ihr einhergehenden Liberalisierung des Erotikfilmmarkts, die Rede ist vom Jahre 1967, meldete sich der Neue deutsche Film mit dem in Liebes-, Libido- und Beziehungsfragen Tabus thematisierenden und damit aufbrechenden, mit einer, neuen frischen Bildsprache aufwartenden „Mädchen Mädchen“ zu Wort. Im Milieufilmbereich arbeitete „St. Pauli zwischen Nacht und Morgen“ mit subtiler Erotik und Adrian Hoven gab dem spanischen Sexploitation-Filmer Jess Franco deutsches Geld, damit er ihm „Succubus“ alias „Necronomicon – Geträumte Sünden“ drehte. Jess‘ Landsmann Luis Buñuel machte derweil in Frankreich Catherine Deneuve für „Belle de Jour“ zur Prostituierten und in Schweden provozierte Bergman-Schüler Vilgot Sjöman mit seinem semidokumentarischen „Ich bin neugierig – gelb“.
Und was machte „der alte deutsche Film“, „Opas Kino“? Der trug seinen Teil aus Österreich in Koproduktion mit Ungarn, Italien und Frankreich bei und hievte im Dezember des Jahres, zwei Tage, nachdem überm Teich der New-Hollywood-Meilenstein „Die Reifeprüfung“ angelaufen war, eine Mischung aus Historien-, Heimat- und Erotikfilm, nein, vielmehr eine Erotiploitation (für Sexploitation ist er zu harmlos) des historischen Heimatfilms, in die Kinos: „Die Wirtin von der Lahn“ basiert auf frecher antiautoritärer Lyrik des 18. Jahrhunderts und ist eine weitere Zusammenarbeit von Drehbuchautor Kurt Nachmann mit Fließband-Regisseur Franz Antel („Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“), die bevorzugt Heimatfilme miteinander erarbeiteten und offenbar ein Jahr zuvor in „Happy End am Wolfgangsee“ bereits die Grenzverschiebung hin zu etwas schlüpfrigeren Inhalten austesteten. „Die Wirtin von der Lahn“ geriet zum Startschuss einer sechsteiligen Filmreihe und zum Vorreiter für die Verquickung historischer mit erotischen Stoffen.
Der Film spielt im Jahre 1810 in Gießen an der Lahn, wo sich die Studenten um ihren Anführer Anselmo (Mike Marshall, „Drei Bruchpiloten in Paris“) in zivilem Ungehorsam und Auflehnung gegen Napoleons Statthalter Graf Dulce (Jacques Herlin, „Der Dämon und die Jungfrau“) üben. Gastwirt Goppelmann (Oskar Sima, „Unsere tollen Nichten“) hat es derweil auf das Wirtshaus abgesehen, doch dessen greise Besitzerin hat keinerlei Interesse daran, es ihm zu veräußern. Stattdessen vererbt sie es kurzerhand an die ziehende Schauspielerin Suzanne (Teri Tordai, „Ferien mit Piroschka“), die damit zur titelgebenden „Wirtin von der Lahn“ avanciert. Goppelmann versucht nun, diese mit Schmäh- und Spottliedern in Verruf zu bringen, wofür er Anselmo auf erpresserische Weise einspannt. Angeblich sei das Wirtshaus ein Sündenpfuhl. Goppelmann verspricht sich davon, dass man Suzanne und ihre Schauspieltruppe aus der Stadt jagt. Stattdessen freunden sich Suzanne und die Studenten miteinander an und unterstützt sie sie sogar beim Druck antifranzösischer Pamphlete. Der Gouverneur lässt nach der Druckpresse forschen, doch der eigens dafür eingesetzten Kommission spielt man das aus den Reimen mittlerweile bekannte lasterhafte Etablissement vor – was den Gouverneur derart neugierig (und geil) macht, dass er ihm höchstpersönlich einen Besuch abstattet. Doch er ahnt nicht, dass er damit in die Sittlichkeitsfalle seiner Gegner läuft…
Der Auftakt ist sehr gewitzt: Im Vorspann werden alte Gemälde gezeigt, die eine barocke Stimmung generieren, und ein Lauftext erläutert den geschichtlichen Hintergrund, die Besatzung Westfalens durch Frankreich. Dann erscheint direkt ein weiblicher Nackedei, doch prompt wird der Film unterbrochen: Ein Erzähler aus dem Off verweist auf Eingriffe der Sittenkommission – der von 1810, nicht der von heute, wie er betont. Ein Spiel mit der Erwartungshaltung an den Film und dessen Schauwerte und zugleich ein Kommentar zum Umgang mit Freizügigkeit, der sich seit damals (vielleicht dann doch noch gar nicht so sehr?) geändert hat. Die eigentlich gar nicht einmal so doofe Handlung indes wird dann leider in Form einer schlüpfrig-frivolen Klamotte mit diversen Gesangseinlagen dargereicht, in denen fleißig die despektierlichen Wirtin-Verse rezitiert werden, wobei, wie ich an anderer Stelle lesen musste, diese sogar einer Selbstzensur zum Opfer fielen, für den Film also abgeschwächt worden. Ausgerechnet im Jahre 1967 einen Film zu drehen, der unter anderem gegen eine Besatzungsmacht revoltierende Studenten zum Inhalt hat, dürfte entweder ein Versuch Antels sein, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus eine neue Klientel zu erschließen – oder gar eine Art von Sympathiebekundung?
Der französische Befehlshaber spricht Deutsch mit französischem Akzent, sodass keinerlei Sprachbarrieren den Filmgenuss stören, Anselmo fechtet gegen die von der Ungarin Teri Tordai verkörperten sehr attraktive Wirtin, die ihn später bei sich verstecken wird, Harald Leipnitz („Playgirl“) tritt der Armee bei und fungiert als Informant, ansonsten treffen eine orientalische Dessouschau und ein bisschen nackte Haut auf ein paar ganz nette Wortspielereien und alberne Slapstick-Einlagen inklusive beschleunigter Bildwiedergabe.
Wie Antel hier Sexyness und ein wenig Nudität einwebt, ist, betrachtet man die Produktionsumstände noch vor der sexuellen Revolution, geschickt gelöst und vermutlich ein Spagat zwischen dem, was er gern zeigen würde und dem, was noch erlaubt und opportun ist. Wirklich sinnliche Erotik darf man so oder so aber nicht erwarten, dafür über eine bestens aufgelegte Teri Tordai und generell ein spielfreudiges Ensemble. Erwartungsgemäß ist ein solches Kind seiner Zeit nicht sonderlich gut gealtert, mit dem entsprechenden Hintergrundwissen aber nichtsdestotrotz – wie so viele Filme, die sich damals dem Erotikbereich näherten – aber ein interessantes, damals überaus kassenträchtiges Stück Filmgeschichte, das im Guten (zeigefreudige attraktive Darstellerinnen, Verklemmtheit und Doppelmoral aufs Korn nehmende Handlung) wie im Schlechten (schwache Dramaturgie, klamaukiger Humor) einiges vorwegnimmt, was kurz darauf mit der Sexfilmwelle auf das Publikum zurollen sollte…