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1931 teilte sich der Tag einst sauber in zwei Hälften. Bei Sonnenhochstand gehörte Schloss Dracula den Amerikanern, die im Auftrag von Universal die eigentliche Literaturadaption über den Vampirfürsten drehten. Nachdem die Sonne untergegangen war, übernahm dann das spanische Team und drehte denselben Film noch einmal. Es verfolgte grundlegend keine anderen Ambitionen als die amerikanischen Kollegen, die Parallelverfilmung richtete sich lediglich an ein alternatives, ein spanisch sprechendes Publikum. Es handelte sich somit um eine frühe Art der Synchronisationsarbeit. Gewisse Unterschiede in Inhalt und Aussage entstanden in dieser Konstellation dennoch, begünstigt durch unterschiedlichste Faktoren, insbesondere die kreativen Anlagen der Schaffenden, gewisse Zensurauflagen sowie die allgemeinen Produktionsbedingungen. Man konnte sie aber einfach als natürliche Abweichungen betrachten in dem Versuch, etwas grundsätzlich Identisches zu erschaffen. Repräsentiert werden die Unterschiede letztlich ziemlich adäquat durch den Akzent auf „Drácula“ - es bleibt das gleiche Sujet, lediglich die Betonung ist anders.

In vollkommener Simultanität zu seinem Konterpart hingegen entstand „Cuadecuc ,Vampir“ von Pere Portabella, ein Experimentalfilm, der sich wie ein Parasit an den Körper von Jess Francos ungewöhnlich zahmer Bram-Stoker-Adaption „Nachts, wenn Dracula erwacht“ heftet, um seinerseits Vampirismus zu betreiben und das Blut aus den Adern des Vampirs zu saugen, ihn also sozusagen zu einem Verbindungsschlauch für den Lebenssaft umzufunktionieren. Anders als „Dracula“ und „Drácula“ trafen diesmal beide Werke tatsächlich in zeitlicher Koexistenz aufeinander und konnten sich auf ein und dieselbe Projektionsfläche beziehen. Es standen lediglich die Faktoren Distanz/Perspektive, Schnitt und audiovisuelle Bearbeitung zur Verfügung, um Abweichungen zu erzeugen, nicht mehr länger der vollständige Prozess der Neuerschaffung.

Paradox daran ist, dass ausgerechnet dieser Bezug auf einen geteilten Fixpunkt zu Kontrasten in der Perspektive der Künstler führt, die radikaler kaum sein könnten – und das, obwohl Franco und Portabella im Grunde ihres Herzens ja sogar Sympathisanten derselben Geisteshaltung waren, gerade auch hinsichtlich ihrer Position zur Diktatur Francisco Francos und den daraus gezogenen Rückschlüssen für ihr eigenes Kunstverständnis.

Weil aber „Nachts, wenn Dracula erwacht“ eine der kommerzielleren Arbeiten Francos ist, wird es Portabella ermöglicht, die von Franco angeleiteten Takes, die Bewegungen der Schauspieler darin, den Lichtfall am Set, die Ergebnisse der Nebelmaschinen, Spinnenseidenwerfer und alle weiteren Variablen auf eine völlig neue Art zu interpretieren und zu inszenieren.

Die Farbe völlig eliminiert, die Kontraste bis zum Anschlag hochgeschraubt, das Filmkorn sich windend wie eine Grube voller Maden, während Dialoge und Umgebungsgeräusche auf dem Nullpegel stehen, erweist sich „Cuadecuc, Vampir“ auf den ersten Blick als fast klischeehaftes Experimentalkino, dem hauptsächlich daran gelegen scheint, so andersartig wie möglich zu sein. Von Selbstzweck allerdings, das spürt man früh, sind diese Aufnahmen zu keiner Zeit befallen. Offenbar geht es darum, das abgebildete Objekt und den darauf projizierten Bedeutungskonsens so weit wie möglich auseinanderzureißen und regelrecht von innen heraus zu sprengen. Rücksichtslos posaunt die Tonspur markerschütternde Drone-Effekte aus, die oft nicht zum Bild zu passen scheinen und dadurch systematisch Irritation hervorrufen, auch weil sich die Geräusche (etwa ein nervtötendes Klopfen oder die wiederholten Anschläge dissonanter Pianoklänge) durch ihre arhythmische Taktfrequenz tief ins Mark bohren. Wenn auf der visuellen Ebene womöglich eine nette Unterhaltung am Set gezeigt wird, vernimmt man auf akustischer Ebene einen Alptraum; was wiederum im Originalfilm als Alptraum deklariert wurde, könnte nun einen komödiantischen oder wenigstens satirischen Anstrich bekommen.

Konventionell bleibt lediglich der lineare Aufbau, da sich Portabella der vorgegebenen Bausteine Francos bedient, die er entgegen des experimentellen Ansatzes auch zeitlich synchron wieder zusammensetzt. Dadurch entsteht bisweilen die Ästhetik einer gerafften Super-8-Fassung, die sich als Erzählform ja durchaus damit auszeichnen kann, dass sie gegenüber der originalen Langfassung eines Films andere Akzente setzt und so eine eigene Quintessenz zu erschaffen weiß. „Cuadecuc, Vampir“ ist aber mehr als nur ein Konzentrat, alleine schon aufgrund der drastischen Bildverfremdungen, die wie Fußnoten funktionieren, in denen klammheimlich die eigentliche Intension ausgebreitet wird. Aber mehr noch, er greift er ins Dokumentarische ein, indem er nicht konsequent in der Kadrage der eigentlichen Filmszene verweilt, sondern mitunter auch die Dreharbeiten selbst einbezieht – Make-Up-Künstler, Effektleute, Kamera und Lichttechniker gesellen sich dann zu den Schauspielern, die manchmal innerhalb und manchmal außerhalb ihrer Rollen miteinander agieren, manchmal auch direkt mit der Kamera, um die vierte Wand zu durchbrechen. Gedreht quasi von den hinteren Rängen, gerade so, dass die primären Aufnahmen nicht gestört werden, kann der Regisseur nach Belieben entscheiden, wann er in der sekundären Form aus der Fiktion ausbricht und sie als solche entlarvt, oder wann er einfach eine grobkörnige Rohkopie eines ohnehin schon detailarmen Films anfertigen will. Verknüpft werden diese Ausprägungsstufen des Dokumentarischen und Fiktiven meist mit einem harten Schnitt, um die Illusion zu zerstören, die Film erschafft.

Womöglich war es einfach nur die reine Gelegenheit, mit der ausgerechnet „Nachts, wenn Dracula erwacht“ von Portabellas Bekanntem (je nach Quelle sogar Freund) Jess Franco als Wirt auserkoren wurde; ebenso gut hätte es es einen anderen Film innerhalb oder auch außerhalb des Horror-Genres treffen können. Dracula allerdings eignet sich aufgrund seiner Eigenschaften hervorragend für die Zwecke dieses Werks hinter dem Werk. In der vorliegenden Form ist nun sicherlich auch eine Parodie auf Dracula selbst entstanden, doch das zentrale Augenmerk dürfte auf der Dekonstruktion der spanischen Filmindustrie liegen, deren Entwicklung unter Francos Regime nicht mit dem gesamteuropäischen Kino im Einklang war, obgleich eben gerade die Barcelona-Schule, der Portabella angehörte, Einflüsse etwa aus Frankreich, Großbritannien, Italien oder Polen verarbeitete, um das heimische Kino zumindest subversiv unterwandern zu können. Letztlich aber kommt es zur Bluttransfusion zwischen Dracula und Francisco Franco, und auf einmal ist es sein Schatten, der im Chiaroscuro flackert. Spätestens, als der spektakuläre Leinwandtod Draculas durch Verbrennen und Sturz in die Tiefe (zwei der wohl dramatischsten Todesarten, die das Kino für seine Schurken vorgesehen hat) gegen die nüchternen Zeilen aus dem Roman eingetauscht wird, vorgelesen von Christopher Lee persönlich in den ersten gesprochenen Zeilen und letzten Minuten des Films, da ist der im Vergleich eher unspektakuläre Abgesang einer Ära vorweggenommen.

Nicht nur formell jedenfalls ist „Cuadecuc, Vampir“ beachtlich, eine nahezu einzigartige Fügung von Umständen, die in der vielmals übersehenen Grauzone zwischen filmischer Fiktion und der Produktion filmischer Fiktion lebt und von dort aus eine praktisch unbesetzte Nische unterhält, die sich in der dichotomen Natur des Films kaum im sichtbaren Frequenzbereich bewegt. Von Frame zu Frame, von Schnitt zu Schnitt, schwarzweiß oder in Farbe, on- oder offscreen, Ton oder stumm... dieses Werk lauert im Schatten gängiger Kategorisierungen und ernährt sich von jenen, die ihm eine körperliche Gestalt geben, ob nun innerhalb der Fiktion oder außerhalb.

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