„Glaubt Ihr, dass dies hier ein von Gott verlassener Ort ist?“ – „Kannst du mir einen Ort nennen, wo Gott sich je zuhause gefühlt hätte?“
„Der Name der Rose“, Mitte der 1980er in deutsch-italienisch-französischer Koproduktion entstanden, ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans des italienischen Schriftstellers Umberto Eco. Den Roman habe ich nie gelesen und kann daher keine inhaltlichen Vergleiche ziehen. Auf diesen im Mittelalter spielenden Historien-Krimi stieß ich, als ich eines Tages in einer antiquarischen „Cinema“-Ausgabe blätterte und ob der Produktionsländer und der namhaften Besetzung neugierig wurde. Regie führte der Franzose Jean-Jacques Annaud („Sieben Jahre in Tibet“).
1327: Der Franziskaner William von Baskerville (Sean Connery, „James Bond“) aus England und sein Novize, der junge Adson von Melk (Christian Slater, „True Romance“) aus Niederösterreich, besuchen eine in den italienischen Bergen gelegene Abtei, um sich am Disput zwischen Franziskanern und Benediktinern um Glaubensfragen zu beteiligen. Doch in der Abtei geschehen rätselhafte Todesfälle. Selbstmorde, Morde, Vorboten der Apokalypse? William geht der Sache auf den Grund, setzt sich gegen verängstigte, abergläubische Franziskaner durch und stellt fest, dass das Ableben der Mönche mit einem rätselhaften Buch, das in der versteckten Bibliothek unter Verschluss gehalten wird, zu tun hat. Als schließlich auch noch die Inquisition auftaucht, geht es konkret darum, weitere Tötungen zu verhindern.
„Der Name der Rose“ zeichnet ein extrem düsteres Bild kirchlicher Umtriebe vor Zeiten der Aufklärung. Wunderschöne Landschaftsaufnahmen stehen im Kontrast zu den lebensfeindlichen Bedingungen in der Abtei, die atmosphärisch brillant in fast erdrückend schaurige, unbehagliche Bilder getaucht wird. Die in ihr lebenden und arbeitenden Mönche sind eine Bande wenig vertrauenserweckender Freaks, die unter der Maxime eines knorrigen Alten in Selbstkasteiung vor sich hinvegetieren und nur schwer in der Lage sind, das ihnen auferlegte strenge Regelwerk einzuhalten. In diese Szenerie platzt der erstaunlich fortschrittlich und aufgeklärt denkende und handelnde William von Baskerville, der zusammen mit seinem jungen Begleiter nach bester Holmes-und-Watson-Manier die Ermittlungen hinsichtlich der Todesfälle aufnimmt – womit er sich nicht überall beliebt macht. Ein weiterer nicht gern gesehener Gast ist ein armes Bauernmädchen, das den jungen Novizen verführt und dem bemitleidenswerten Jungen damit gehörig den Kopf verdreht, seinen Lebensentwurf in Frage stellt. Die Kirche ist hier weder Heilsbringer, noch Erlöser, sondern eine auch intern um Macht und Einfluss ringende, menschenfeindliche Organisation, der man besser aus dem Wege geht.
Die in jenen Gefilden angesiedelte Kriminalgeschichte ist also nur Aufhänger für eine zutiefst religionskritische Geschichte, die mit Starbesetzung aufwartet. Die maskenbildnerische Arbeit, die den gruselig wirkenden Franziskanern zuteil wurde, gibt in Zusammenhang mit den hochwertigen, authentisch und abgrundtief unheimlich erscheinenden Kulissen den Rahmen vor, den die Schauspieler auszufüllen haben – was ihnen mit Bravour gelingt. „Der Name der Rose“ wurde bis in sämtliche Nebenrollen hinein ansprechend besetzt. Im direkten Vergleich wirkt Connery in all seiner Souveränität beinahe emotionslos und fast schon eindimensional, wenngleich der von ihm verkörperte Charakter den größten Tiefgang besitzt, Diese Schablonenhaftigkeit ist etwas schade, wird jedoch zu einem großen Teil mit Connerys starker persönlicher Ausstrahlung wettgemacht. Christian Slater wird an seiner Seite die Rolle des lernenden, staunenden, auch zweifelnden Jünglings zuteil, der stellvertretend für eine hoffnungsvolle neue Generation steht und daher auch eher allgemeingültig als individuell angelegt wurde. Er wird in eine erotische, freizügige Sexszene verwickelt, die für die Freiheit des Individuums und die Lust am Leben sowie für Jugend und Leidenschaft steht – Charakteristika, die den Mönchen komplett abgehen.
Welches Ausmaß die betriebene, mutige Entromantisierung des Mönchlebens annimmt, wird deutlich im nahezu infernalischen Finale, das zwei spannend konstruierte Handlungsstränge parallel dramaturgisch ihren Höhepunkt erreichen lässt. Da wird als gefährlich eingestuftes, in Schriftform festgehaltenes Wissen zurückgehalten und dafür über Leichen gegangen, Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt und der Arroganz der Macht ihr hässliches Antlitz verliehen. Der Wahnsinn grassiert und regiert, Vernunft, Menschlichkeit und Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke. Nach dieser Schärfe wirkt das offenbar von der Romanvorlage abweichende, halbwegs versöhnliche Ende erholsam und befriedigend auf den Zuschauer, der, um bereits während der Erstsichtung der Handlung komplett folgen zu können, ein gewisses Maß an Konzentration aufbringen musste und dafür fast ausschließlich mit immer weiteren menschlichen Abgründen im Namen der Religion konfrontiert wurde.
Fazit: Starker Tobak, nicht ganz leicht verdaulich, aber optisch imposant und handwerklich einwandfrei umgesetzt. Eine eigenwillige, starke Melange, sowohl für Historiendrama-, Krimi- und sogar Horrorfreunde goutierbar und konsequent provokant den Finger in eine der vielen klaffenden Wunden der Geschichte der christlichen Religion legend – und dabei kein langwieriges, selbstverliebtes Epos, sondern ein trotz gewisser Überlänge pointierter Unterhaltungsfilm mit Anspruch und Aussage.
„Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben. Wer keine Furcht vor dem Teufel hat, der braucht keinen Gott mehr!“