"Das Teufelskreuz! Nie habe ich von einer so sinnlosen Verschmelzung zweier sich gänzlich feindlicher Begriffe gehört!"[1]
(Gustavo Adolfo Bécquer)
"... der Ritter sammelte sein Gesinde, rief den Teufel um Beistand an und bereitete sich auf seinem hohen Felsen zum Kampf."[2]
(Gustavo Adolfo Bécquer)
"... die Kapelle der Templer, [...] in deren Vorhof man Freund und Feind bunt durcheinander begraben hatte, begann zu zerfallen. [...] ... und die Geister der Toten, in ihre zerfetzten Schweißtücher gehüllt, sollen zwischen Busch und Dorn umherrennen – eine Phantastische Jagd ... Die Hirsche schreien vor Schrecken, die Wölfe heulen, die Schlangen zischen grauenhaft – und am anderen Tage hat man schon oft im Schnee Abdrücke gesehen – Fußspuren der Knochenmänner!"[3]
(Gustavo Adolfo Bécquer)
Amando de Ossorios "La noche del terror ciego" ist [Achtung: Spoiler!] unbestreitbar einer der einflussreichsten spanischen Horrorfilme der 70er Jahre und ein Aushängeschild des fantaterror im engeren Sinne: drei Fortsetzungen in drei Jahren, ein unverfilmtes Drehbuch de Ossorios für einen fünften Teil, die von Paul Naschy geschriebene und von John Gilling inszenierte Abwandlung "La cruz del diablo" (1975), Jess Francos Plagiat "Mansión de los muertos vivientes" (1982), ein spätes (und ausgesprochen minderwertiges) Reboot von Raffaele Picchio und deutliche Anleihen in John Carpenters "The Fog" (1980) oder Peter Jacksons "The Lord of the Rings"-Trilogie (2001-2003) sprechen da neben zig Heimkino-Veröffentlichungen in Europa und Amerika und allerlei Merchandise eine deutliche Sprache.
Zugleich ist "La noche del terror ciego" durchaus ein strittiger Kult-Klassiker des europäischen Horrorfilms, der die Gemüter merklich spaltet. Und man muss sich gar nicht einmal groß anstrengen, um die Defizite des Films herauszuarbeiten: Die Scham- und Eifersuchtsgeschichten, die die Figuren aus- und zueinander – und den untoten Templern in die Arme – treiben, bleiben vordergründig, werden kaum psychologisch entwickelt und sind durchschaubare Mittel zum Zweck, die Handlung und die Figuren in Bewegung zu halten. Die über Gebühr gedehnte Erinnerungssequenz, die ein homoerotisches Spiel zweier Internatsschülerinnen präsentiert, wirkt dabei so selbstzweckhaft wie unbeholfen. Und die Flucht der vermeintlichen Hauptfigur Virginia, die sich ihrem aktuellen love interest Roger und ihrer einstigen intimen Schulfreundin Bella beim unbedachten Ausflug zu dritt mit einem beherzten Sprung vom fahrenden Zug entzieht, ist nur die erste einer ganzen Reihe wenig überzeugender Handlungen. Fast keine der Haupt- und Nebenfiguren wird frei von irritierend abwegigem Verhalten bleiben: nicht der über Gebühr idiotische Leichenbestatter, nicht der allzu bereitwillig ans Übernatürliche glaubende Historiker, nicht Bellas ungeschickte Mitarbeiterin im Mannequin-Atelier, nicht der zu sonderbarsten Schlüssen befähigte Inspector Oliveira, nicht der bemerkenswert rasch vom aggressiven Vergewaltiger zum schockstarren Feigling mutierende Schmuggler, nicht seine idiotisch-zickige Geliebte, deren Gezänk dem vermeintlichen Helden des Film erst den Arm und dann das Leben kosten wird, nicht Bella, die gegen Ende ihre Rettung fast schon mutwillig zu sabotieren scheint, und auch nicht das Schaffner-Duo auf der Lokomotive, das mitverantwortlich für dutzende Tote sein wird. Der gesunde Menschenverstand muss sich bei der Sichtung des Films schon ein wenig quälen – auch weil erschwerend noch die genre-immanenten Klischees ausgereizt werden und man etwa starr vor Angst den langsamen, zerbrechlichen und blinden Templer-Skeletten erliegt, die – kaum den Gräbern entstiegen – auch gleich wieder über ihre adäquat kostümierten Gäule aus Fleisch und Blut verfügen. Hier passt vieles ganz offensichtlich nicht... und das teils unbeholfen zurückhaltende, teils heiter changierende Spiel ist kaum imstande, diesen Eindruck zu kaschieren. Weniger gelungene Trickeffekte wie etwa die Verbrennung der vampirisierten/zombiefizierten Virginia tun noch ein übriges...
Und doch gibt es Vorzüge zu entdecken, die dem Film seinerzeit seinen Status verschafft haben. Gerade auch für das heimische Publikum in Spanien dürfte dabei die spürbare Bezugnahme auf den spanischen Romantiker Gustavo Adolfo Bécquer von Belang sein, dessen folkloristischen Schauergeschichten zwischen Legenden- und Sagencharakter, seine "Leyendas" (1858-1864), hierzulande einst als achter Band in der von Hanns Heinz Ewers herausgegebenen Galerie der Phantasten erschienen waren (und fortan gelegentlich, wenngleich spärlich, erneut veröffentlicht wurden). Dort geht es wieder und wieder um verrufene Orte, an denen Geister oder Skelette umgehen, dort geht es immer wieder um Frömmigkeit und Sünde, um Glauben, Aberglauben und Teufelswerk, um Ritter, Templer und Mönche, bisweilen durchsetzt von angespielten Grausamkeiten und oftmals ansprechend verschachtelt, als Berichte und Sagen innerhalb von Anekdoten innerhalb der Geschichten. Häufig wiederkehrende Motive – der Aberglaube, die Furcht vor unheimlichen Ereignissen im Umfeld verfluchter Orte, frevel- oder sündhaftes Verhalten von Templern oder auch Mönchen, unheimliche Racheakte – tauchen vielfach in "La noche del terror ciego" auf; und selbst die Struktur, die das Ende als Prolog verwendet und in dessen fast laufzeitfüllende Vorgeschichte zwei weitere Vorgeschichten (diejenige von Bella und Virginia sowie diejenige der Templer) unterbringt, kann als Hommage an Bécquer verstanden werden. Bécquer war zuvor bloß – mit mindestens sechs seiner Arbeiten – seit knapp zehn Jahren ca. acht Male für das spanische Fernsehprogramm adaptiert worden; insbesondere mit seiner unheimlichen Erzählung "El rayo de luna" (1862), aber auch mit der Erzählung "El monte de las ánimas" (1861), die de Ossorio bei der Arbeit an "La noche del terror ciego" neben "La cruz del diablo" (1860) ganz besonders als Inspirationsquelle im Sinn gehabt haben dürfte. Die Entdeckung für das Fernsehen kurz nach dem 100. Jubiläum vieler der Geschichten mag dazu beigetragen haben, dass de Ossorio ernsthaft auf Bécquer aufmerksam wurde und ihn für ein Filmprojekt in Erwägung zog; aber es war erst "La noche del terror ciego", der einen kurzen Bécquer-Boom in TV und Kino lostrat, zu der in den folgenden vier Jahren de Ossorios "La noche del terror ciego"-Fortsetzungen, Gillings spanische Arbeit "La cruz del diablo" sowie insgesamt fünf Folgen der Serien "Cuentos y leyendas" (1968-1976), "Ficciones" (1971-1981) und "El quinto jinete (1975-1976) gehören sollten.
"La noche del terror ciego" greift also im nationalen Bewusstsein verankerte phantastische Motive der spanischen Romantik auf, die naheliegenderweise mit typischen, vor allem von Hammer bekannten gothic horror-Anleihen des klassischen Horrorfilms vermengt werden: Grabsteine, Grabplatten, Ruinen bei Nacht, Spinnweben, Skelette... Vom britischen Hammer-Horror-Feeling unterscheidet sich dabei das Flair der spanischen Landschaft und mehr noch der portugiesischen Landschaft (in die man die Geschichte verlegte, um somit der spanischen, franquistischen Zensur Genüge zu tun, die die Gräuel des heimischen Horrorfilms in aller Regel ins Ausland verlegen ließ). Zugleich aber setzt "La noche del terror ciego" auch auf modernere Motive filmischen Horrors: So scheint der von einer Werbetafel immer wieder blutrot erleuchtete, von Mannequins gesäumte Korridor in Virginias Atelier vage von Mario Bavas giallo "Sei donne per l'assassino" (1964) inspiriert zu sein. Eindrücklicher dürften aber 1972 die wenigen, kurzen, aber doch recht blutigen Splatter-Szenen gewirkt haben, die im Horrorfilm bis dahin eher kleineren, niedriger budgetierten Nischenproduktionen à la H. G. Lewis und Konsorten vorbehalten waren. George A. Romero hatte zwar schon mit seinem immens erfolgreichen Independent-Horrorfilm "Night of the Living Dead" (1968) damit begonnen, eine neue Härte mainstreamfähig zu machen, aber eine neue Drastik der Darstellung, die explizit von sowohl farbigen (d.h. blutroten) als auch grafischen Wunddarstellungen Gebrauch machte, kam in international kommerziell verwertbaren Genrefilmen erst Anfang/Mitte der 70er Jahre mit Filmen wie "Reazione a catena" (1971), "Sisters" (1972), "The Last House on the Left" (1972), "Carne per Frankenstein" (1973), "Non si deve profanare il sonno dei morti" (1974) oder "Deranged" (1974) so richtig in Mode. "La noche del terror ciego" reiht sich da als früher Vertreter ein, der mit vampirisch-kannibalischen Akten der untoten Templer auch an Romeros "Night of the Living Dead" denken lässt, seine blutigen Höhepunkte aber eher dort feiert, wo die Klingen der Templer in einer Rückblende tief in das blanke Fleisch einer zu opfernden Jungfrau schneiden, aus deren Wunden die abtrünnigen Tempelritter sodann begierig trinken.
Diese Mixtur aus neuen Horrorfilm-Eindrücken und Aspekten des klassischen Horrorfilms ist de Ossorio insgesamt eher gelungen als etwa den Hammer-Studios mit einem "Dracula A.D. 1972" (1972). Und der Look der untoten Tempelritter, die in Zeitlupe durch die Dämmerung galoppieren – schmutzig-gräuliche, teilmumifizierte Skelette mit strähnigen Barthaaren in modrigen Kutten –, Antón García Abrils bedrohlich pulsierender, gedehnt wummernder, von Chorälen und gregorianischen Gesängen sowie dissonanten Klängen durchsetzter Soundtrack sowie die stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen entfalten vor diesem Hintergrund eine Wirkung, die heutzutage wohl nur diejenigen nachvollziehen können, die sich in die Seherfahrung zur Zeit der frühen 70er Jahre einfühlen können. (Es ist auch nicht verwunderlich, dass nicht allein der Filmkomponist Abril nicht bloß auf kostengünstige Genrefilme beschränkt war, sondern vor allem als langjähriger Stamm-Komponist mit einem renommierten Filmemacher wie Mario Camus arbeitete; auch der Kostümdesigner Humberto Cornejo hat als Gründer der Sastreria Cornejo eine so angesehene wie erfolgreiche Institution geschaffen, die schon Monumentalfilme wie Anthony Manns "El Cid" (1961) und "The Fall of the Roman Empire" (1964) oder Nicholas Rays "55 Days at Peking" (1963) begleitet hatte und künftig noch an Projekten vom Autorenfilm à la Carlos Saura oder Pedro Almodóvar bis hin zu Großproduktionen wie "Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl" (2003) oder "Game of Thrones" (2011-2019) partizipieren sollte.)
Mit etwas Wohlwollen lässt sich dann auch manche Idiotie als Ausreizung naiver Genreklischees, hart der Grenze zur Parodie, akzeptieren: alle, auch der aggressive Kriminelle, sind dann eben wie gelähmt vor Angst vor den gemächlich nahenden Knochenmännern, weil das Genre es so will – und weil Bécquer es so will.[4] Und die einfachen Schlussfolgerungen – des Historikers, der (womöglich aus bloßer List zum Schutz des kriminellen Sohnes, den aber auch eine unterschwellige abergläubische Furcht vor der verrufenen Gegend umtreibt) an die alten (und letztlich wahren) Templerlegenden zu glauben vorgibt, weil es ja auch Voodoo-Berichte sowie Faust- und weitere Teufelspakt-Legenden gebe; oder des Polizisten, der schnell den Sohn des Historikers im Verdacht hat und iberische Räuberpistolen und Bandoleros in Erinnerung ruft – sind nicht als vernünftige Stimmen eines rationalen Dialogs zu verstehen, sondern als fast schon rührend naive Reihung vordergründiger Motive der Schauerliteratur, die hier quasi wie von selbst fungieren und auf Psychologie und Vernunft keine Rücksicht nehmen.
"Und da sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen! Aus dem Grunde des Gewässers sah er die Gerippe der Mönche, die über das Steingeländer der Kirche in jenen Abgrund hinabgeschleudert worden waren, herauskommen. [...] Ihre zerfetzten Ordenskleider verhüllten nur zum Teil ihre Blöße. Die Kapuzen hatten sie über den Kopf gezogen. Ihre fleischlosen Kinnladen und die weißen Zähne bildeten einen seltsamen Gegensatz zu den dunklen Augenhöhlen der Totenschädel."[5]
(Gustavo Adolfo Bécquer)
Es ist kein Wunder, dass der Film die Gemüter spaltet und es gerade bei einem jüngeren Publikum – so es den Film denn überhaupt zur Kenntnis nimmt – nicht leicht hat. Er funktioniert eher bloß unter Prämissen, die im Grunde nur für jene gewillten Genrefans relevant bzw. akzeptabel sind, die entweder betagt, nostalgisch eingestellt oder (genre)filmhistorisch interessiert sind. Andernfalls wird sich einem die (einstige?) Beliebtheit des Films kaum erschließen.
Spannender als die Frage, welche Qualitäten "La noche del terror ciego" nun aufweist oder eben auch nicht aufweist, ist da eigentlich auch eher die Frage, was der Film denn überhaupt vermittelt – neben der bloßen Mär exekutierter und postum von Krähen geblendeter Templer,[6] deren Teufelspaktiererei ihnen allerdings das Geheimnis des Untodes enthüllt hat, sodass sie nun diejenigen richten und beißen, die nächtens das feine Gehör der blinden Leichen reizen (und späterhin selbst als infizierte Untote umgehen)[7].
Ins Auge springt natürlich die (nach Portugal ausgelagerte) Erzählung von Tempelrittern – "Ritter und Mönche zugleich"[8] –, die als Verbindung von weltlicher und geistlicher Autorität mit dem Teufel paktieren und Unheil über die Menschen im eigenen Wirkungsfeld bringen. Gerade einem spanischen Publikum am Ende der eng mit der katholischen Kirche verbundenen Franco-Diktatur – die sich zwar in späten Jahren gemäßigter zeigte, aber immerhin noch bis 1974 Todesurteile mit der gefürchteten Garotte vollstreckte – hat sich hier die Gelegenheit geboten, das Franco-Regime und die Kirche selbst metaphorisch vorgeführt zu bekommen. De Ossorio bleibt nämlich deutlich vager als Bécquer, bei dem sich – neben antisemtischer Herabsetzung des Judentums – alles in allem ein über Gebühr positives Bild des Christentums findet. Angesichts der Tatsache, dass aber nach dem Ende der Franco-Diktatur zwei Jahrzehnte verstrichen sind, ehe überhaupt – anlässlich eines Erstarkens der rechtskonservativen Partido Popular – eine breite gesellschaftliche Aufarbeitung dieser Ära begonnen hatte, und angesichts der Tatsache, dass der Katholizismus in Spanien nach der Diktatur einen eher bloß schleichenden Stellenwertsverlust erlebte[9] (und sich durchaus weiterhin radikale rechtskonservative Positionen leisten konnte), ist davon auszugehen, dass eher bloß kleine Teile des spanischen Publikums von einer progressiven Lesart des Films Gebrauch gemacht haben dürften. Dem größeren Teil des Publikums dürften Fragen nach politischen Implikationen gänzlich egal gewesen sein – und den Zensoren bot sich ohnehin ein ins Ausland verlagertes Szenario, das letztlich keine Allianz aus Ritter- und Mönchstum an sich desavouierte, sondern nur eine solche Allianz, die sich zugleich auch noch blasphemisch dem Teufel verschrieben hat (was für Franquismus und Staatskatholizismus aus der Eigenperspektive freilich selbst im übertragenen Sinne nicht galt). Das metaphorische Potential der mörderischen Tempelritter bei de Ossorio ist also doppelcodiert und kann aus progressiver wie auch aus konservativer bis reaktionärer Warte genossen (und natürlich ausgeblendet) werden. Die Frage nach der Intention ist schon schwieriger zu beantworten. Dafür, dass de Ossorio das Franco-Spanien keinesfalls unkritisch gesehen haben dürfte, spricht der Umstand, dass er 38-jährig – nach seiner Zeit als Journalist, Hörspielautor bei Radio Nacional de España und Drehbuchautor – zu Beginn seiner Regiekarriere den aus vermögender Familie stammenden Jurastudenten Francisco Javier Pérez de Rada y Díaz Rubín, Marqués de Jaureguizar, dazu überredet hat, eine Verfilmung von Horacio Ruiz de la Fuentes Theatermonolog "Bandera negra" zu finanzieren: die Schilderung eines Vaters, der in den letzten Stunden vor der Vollstreckung des drohenden Todesurteils seines Sohnes – Tod durch Erhängen –, alkoholisiert seine Situation reflektiert und zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankt. Der für seinen Stoff recht dynamische und leicht avantgardistisch wirkende Film "La bandera nagra" (1956) ist dann schließlich teils ohne Drehgenehmigung entstanden, wurde von Geldstrafen begleitet und letztlich mit einem rigorosen Verbot belegt, das auch Vorführungen im Ausland verhindern sollte, sodass es zu de Ossorios Lebzeiten kaum zu Vorführungen – aber zumindest einer Vorführung auf dem Exprmntl im belgischen Knokke-le-Zoute – kam; weshalb erst Luis García Berlangas "El verdugo" (1963) als erster großer, kritischer Film aus Spanien zur Todesstrafe Filmgeschichte schrieb... ein Jahr, bevor de Ossorio die Möglichkeit hatte, endlich ein zweites Filmprojekt anzugehen. Und schon in diesem ersten Film fährt die Kamera solange auf das Schwert der Justitia zu, bis dessen Griff in Großaufnahme als Kreuz erscheint, welches in ein anderes Kreuz überblendet, das sich, als die Kamera wieder zurückfährt, als Teil des Gitters einer Gefängniszelle entpuppt. Ort des Geschehens: irgendein Land, in dem die Todesstrafe existiert (wie eine Texteinblendung lapidar verrät, während dahinter die Kirchturmuhr Mitternacht zu verkünden beginnt). Von der eher angepassten Haltung de Ossorios im späten Franco-Spanien zeugen hingegen seine kurzen dokumentarischen Arbeiten wie "Centro nacional de promoción profesional" (1973), die als zuversichtliche, stilvolle Werbefilme (in diesem Fall für das der Generaldirektion des Arbeitsministeriums unterstellte Centro nacional de promoción profesional) daherkommen und Spanien von seiner ansprechenden Seite zeigen: chic ausgestattet kommt das Zentrum daher, mit einem besonderen Bewusstsein für – bis Mitte der 70er Jahre freilich mit Genehmigung des Gatten – berufstätige Frauen (für die der Franquismus überhaupt erst seit den 60er Jahren Verwendung hatte).
"Sie war schön, so schön, daß man schwindelig wurde, wenn man sie ansah. Ihre Schönheit war nicht von jener Art, wie wir uns die Engel vorstellen, dennoch hatte sie etwas Übernatürliches ... etwas Faszinierendes – jenen Zauber, mit dem der Teufel vielleicht dieses oder jenes Geschöpf ausstattet, um es auf Erden zu seinem Werkzeug zu machen."[10]
(Gustavo Adolfo Bécquer)
Ähnlich zweigleisig wie im Fall des metaphorischen Potentials der Templer fährt "La noche del terror ciego" allerdings auch hinsichtlich seiner Präsentation von Geschlechterrollen: Das Verhältnis von Männlich- und Weiblichkeit bildet den zweiten spannungsreichen inhaltlichen Aspekt fernab der bloßen Schauermär.
Diese Rollenbilder sind freilich auch geprägt durch das 1972 in Spanien erst seit Kurzem Gestalt annehmende Genre selbst mit seinen Stereotypen, Klischees und Standards. Es empfiehlt sich daher ein Blick auf die restlichen Horrorfilme de Ossorios, auf die sich der Regisseur ab "Malenka: La sobrina del vampiro" (1968) verlegt hatte. Lockerungen der Zensur sowie der Erfolg von Enrique López Eguiluz' erstem Paul-Naschy-Horrorfilm "La marca del Hombre-lobo" (1968) – mit Naschy in seiner Paraderolle des Werwolfs Waldemar Daninsky – hatten dem Horrorfilm Ende der 60er Jahre immerhin eine lukrative Zukunft im spanischen Kino versprochen.
In "Las garras de Lorelei" (1973) ist tatsächlich die Loreley das Monstrum des Films: teils in monströser Gestalt, teils als becircende Frau, die auch dem Helden der Geschichte den Kopf verdreht. In "La noche de los brujos" (1974) treiben attraktive Leopardenfrauen zwischen Hexerei und Vampirismus ihr Unwesen in einem fiktiven afrikanischen Dschungel und im angeblich in einer Woche abgedrehten "La endemoniada" (1974) ist es einmal mehr das Motiv der zauberkundigen Zigeunerin, die die Tochter jenes Mannes verflucht und zu Untaten anstiftet, dem sie das im Freitod mündende Verhör ihrer Mutter anlastet. In diesen drei Filmen sind die bedrohlichen Figuren weiblich, attraktiv und becircend; wer ihrer Verlockung erliegt, setzt dabei sein Leben aufs Spiel: Die Besessene in "La endemoniada" wird noch bezeichnender zur Entmannung greifen, nachdem sie ihr Opfer mit der Stimme seiner Partnerin in die Falle gelockt hat. In all diesen Filmen sitzt hinter der verführerischen weiblichen Oberfläche aber noch eine hässliche, wahre Seite: das Monstrum, die Bestie, die hässliche alte Vettel. Das Böse ist hässlich bei de Ossorio, seine Verführungskraft aber sündhaft hübsch.
Damit knüpft de Ossorio an eine lange Tradition an, die man bis zum Sündenfall der christlichen Theologie zurückdatieren kann und die in der literarischen und filmischen Phantastik vor allem Stoffe des Vampirismus, aber auch der Hexerei und des Geistertreibens und Spuks begleitet. Im Film erlebte dieses Muster ab Mitte der 60er Jahre Aufwind; in einer Phase, in der einerseits der Sexuelle Revolution eine neue Direktheit in der Darstellung ermöglichte, in der andererseits eine langsam einsetzende Frauenbewegung zumindest als Bedrohung früherer patriarchalischer Strukturen diskutiert worden ist. Und wo Jess Franco, einer der umtriebigsten spanischen – wenngleich vornehmlich im Exil tätigen – Horrorfilmer, mit seinen "women detectives, female vampires, lesbian guards, and women killers"[11] noch starke Frauen zwischen sadomasochistischer Männerfanatasie und Empowerment-Attitüde präsentierte, deren Souveränität selbst im Scheitern vergleichsweise gewahrt bleibt, da lässt de Ossorio seine Frauen immer wieder die schöne Maske verlieren: Sie verwandeln sich ins wahre Ich zurück, in monströse Scheusale, bestenfalls in alte Vetteln mit langen Haarsträhnen bei kreisrundem Haarausfall, schlimmstenfalls in ein grünschuppiges Seeungeheuer aus der Tiefe. Es mag da sogar naheliegen, auch die durchweg und ausschließlich monströse Hydra, die titelgebende "Serpiente de mar" (1984) in de Ossorios letztem Horrorfilm nach längerer Horrorfilmpause, in diese Sparte zu stecken: Hier gibt es keine verführerische weibliche Hülle des Bösen mehr, aber es haust dafür im Wasser, im Ozeanischen und Fluiden, der Auflösung fester Formen, worin sich seit Klaus Theweleits "Männerphantasien" (1977) das Bild des Weiblichen dem soldatischen Mann und dem faschistischem Bewusstsein zeigt. Die weibliche Bedrohung bei de Ossorio ist immer auch monströse Bedrohung: Sie hat weniger mit Jess Francos Superschurkinnen und femme fatales gemeinsam als vielmehr mit H. P. Lovecrafts latentem Unbehagen gegenüber der Weiblichkeit, das die nur selten vorkommenden Frauenfiguren wie in "The Case of Charles Dexter Ward" (1927/1941) begleitet und die Bedrohung oft genug ans Ozeanische und Fluide bindet.
Zugleich aber kontextualisiert de Ossorio diese Weiblichkeitsbilder auf eine Weise, die das eindeutige Gut/Böse-Schema dann doch wieder etwas aufbricht: In "Las garras de Lorelei" ist die monströse Loreley etwa vor allem auch für die Mädchen des Internats eine Bedrohung; in "La noche de los brujos" sind die Leopardenfrauen das Produkt eines gemischtgeschlechtlichen Kultes unter männlicher Führung; und in "La endemoniada" – der hinsichtlich seiner Geschlechterrollen am problematischsten bleibt und auch mit (nicht bloß im Genrefilm) verbreiteten antiziganistischen Klischees befremdlich anmutet – paktiert die alte Vettel zwar schon zu Filmbeginn mit finsteren Mächten und ist an einer Kindsentführung beteiligt, zugleich wird ihre Ausgegrenztheit als Zigeunerin ebenso frühzeitig thematisiert wie auch eine Kritik der (zum Freitod der Alten führenden) Polizeiarbeit durch einen Priester; der wiederum mit seiner Entscheidung für das Zölibat das Schicksal seiner früheren, sich nun als Prostituierte verdingenden Freundin besiegelt zu haben scheint.
Dieses Arbeiten mit dem Aufbauen und Infragestellen von Gut/Böse-Schemata kommt am deutlichsten in "Malenka: La sobrina del vampiro" zum Tragen. Dort ist es je nach Fassung entweder (in der von de Ossorio intendierten Version zwischen giallo und "Gaslight"-Variante) ein niederträchtiger Mann, welcher der weiblichen Hauptfigur einzureden gedenkt, sie drohe unter dem Einfluss ihre Ahnin, einer angeblichen Hexe, zu einer Vampirin zu werden – oder aber (in einer alternativen Version) tatsächlicher Vampirismus, der womöglich auf besagte Ahnin zurückgeht.
Ganz anders präsentiert sich hingegen – auf den ersten Blick, um dann ebenfalls wieder das zunächst so klar erscheinende Schema ausdiffundieren zu lassen – die mit "La noche del terror ciego" begonnene Horrorfilmreihe de Ossorios: Denn hier wird ausdrücklich ein Jungfrauen opfernder Männerbund als Quell des Bösen etabliert. Die Templer, so zeigt es die Rückblende beim Gespräch der Hauptfiguren mit dem Historiker, haben Frauen entführt, gefesselt, von berittenen Ordensmitgliedern mit dem Schwert traktieren lassen (wobei die spärliche Kleidung bald fast gänzlich in Fetzen hängt) und dann zur Erlangung des ewigen Lebens bzw. Untodes das Blut aus den Wundern an Armen, Brüsten und Baust getrunken.
Es ist – gerade auch mit dem sexualisierten Saugen an den bloßen Frauenbrüsten, aber auch bereits mit der Fixierung am Andreaskreuz und den entsprechend (gewaltsam) gespreizten Beinen sowie mit der Wahl unbefleckter Frauen – eine noch heute peinlich berührende Szene, die 1972 geradezu skandalös anmutete und teils harsche Abneigung produzierte. Denn so eindeutig die Taten der Templer von den restlichen Figuren des Films verurteilt werden, so spekulativ setzt "La noche del terror ciego" mit der zunehmenden Nacktheit, der Attraktivität des weiblichen Opfers und der Sexualisierung in dieser Szene auf die Möglichkeit des sadistischen Vergnügens an der dargebotenen Marter. Zumindest wird die sadoerotische Komponente, die sich überraschend zur Schauermär gesellt, in Kauf genommen oder vielmehr heraufbeschworen – wobei gerade der Verlust der Kleidung unter den Schwerthieben aufstößt, der weit eher von den Filmschaffenden herbeikonstruiert und weniger von den Tempelrittern zufällig erzeugt wirkt. Die Darstellung der Misogynie zieht selbst den Misogynie-Verdacht auf sich. Dass de Ossorio vergleichbare Szenen auch in "La noche de los brujos" sowie in "El ataque de los muertos sin ojos" und "La noche de fas gaviotas" (1975) folgen ließ, spricht zumindest dafür, dass er um die Zugkraft dieser Szene beim Publikum wusste.
Und noch ein anderer Umstand zieht – heute wohl noch weit mehr als damals – einen Misogynie-Verdacht auf sich: es ist die Unbeholfenheit, Hilflosigkeit, Einfältigkeit und Ungeschicktheit der weiblichen Figuren, kulminierend in der Unfähigkeit der Assistentin Bellas, eine verriegelte Tür zu öffnen, und in dem folgenschweren, unnötigen Zwist zwischen Bella und der Geliebten des Schmugglers. Frauen sind hier vielfach an die damsel in distress angelehnt, wobei immerhin keine tatkräftigen Männer als erfolgreiche Hilfe in der Not in Szene gesetzt werden. (Der junge Schaffner rettet zwar unter Protest seines betagten Kollegen Bella am Schluss das Leben, kommt aber mit mutmaßlich allen mitreisenden Passagieren infolgedessen um. Und Roger darf Bella beim Anblick von Virginias Leiche zwar im Ohnmachtsanfall auffangen, wird aber während der Bedrohung im Finale selbst derjenige sein, der Hilfe bräuchte, aber nicht erhält.)
All das wäre kaum weiter bemerkenswert, würde de Ossorio nicht noch im Folgenden zu betrachtende kleine Details einbauen, die irritierend das Verhältnis der Geschlechter zueinander ansprechen: es handelt sich um den Rückblick in Bellas und Virginias Vergangenheit, um einen kurzen Dialog in der Leichenhalle sowie um Bellas Vergewaltigung durch Pedro, den Schmuggler, gegen Ende des Films...
Virginia White, die mit ihrem sprechenden Namen im Grunde als unbefleckte Jungfrau und optimales Templer-Opfer ausgewiesen wird, befindet sich zu Beginn der Handlung mit Roger im Urlaub. Es sei nichts Ernstes, lässt sie ihre alte Internatsfreundin Bella Turner wissen, die ihr zufällig am Hotelpool über den Weg läuft, in der Nähe ein Mannequin-Atelier betreibt und aus beruflichen Gründen für Beziehungen keine Zeit zu haben vorgibt. Roger scheint Sympathien für Virginias Jugendfreundin zu haben und lädt sie zu Virginias Leidwesen zu einem gemeinsamen Ausflug ein. Bella verspricht, sich ihrerseits einen männlichen Begleiter für die Reise zu besorgen, kommt dann aber (angeblich durch unglückliche Fügung) ohne diesen am Bahnhof an. Im Zug flirten Roger und Bella ein wenig, woraufhin Virginia aus dem Abteil entflieht. Bella folgt ihr und es kommt zwischen beiden Frauen zu einer Aussprache über die alten Zeiten, in welche der Film nun Einblick gibt. Zwischen Kruzifix und Marienbild amüsieren sich beide als Internatsschülerinnen über ein Hochzeitsfoto in einem Hochglanzmagazin. Bella formt sich eine Strähne ihrer langen Haare zum Schnurrbart um und Virginia steigt in das Spiel ein, das schnell eine homoerotische Komponente erhält: die Frauen tanzen miteinander, Bella küsst die Freundin, die ihrem Namen alle Ehre macht und verschämt reagiert, aber die folgenden Streicheleinheiten und Küsse über sich ergehen lässt. (Auch Bella Turner macht ihrem Namen dabei alle Ehre: als Schöne, die die heterosexuelle Begierde ihre Freundin in bicurious-Gefilde wendet und verdreht.) Bellas Dialogzeilen vor der Rückblende und die zwischengeschnittenen Bilder der Stöße des Stangenantriebs der Lokomotive implizieren, dass noch Intimeres zwischen ihnen vorgefallen ist.
Für Bella ist diese Erinnerung endgültig zu viel des Guten: Aus Scham, Irritation und noch nicht abgeklungenem Ärger über Roger wagt sie während der Fahrt den Absprung und wandert zu jener Ruine, bei der ihr nachts die Templer den Garaus machen werden – angelockt wohl auch von ihrem Transistorradio. (Über ein Drittel der Laufzeit wird da bereits vergangen sein; Bella – wie die zentrale Hauptfigur schlechthin eingeführt – ist aber nur noch als (Un)Tote zu sehen. Ein Einfluss von "Psycho" (1960) darf durchaus angenommen werden – zumal de Ossorios folgende Fortsetzung gegen Ende auch sehr deutlich Hitchcocks "The Birds" (1963) zitiert.)
Auf der Handlungsebene mutet dieser Einstieg willkürlich und banal an; wie ein schlampig zusammengeschriebenes Konstrukt, das eine überschaubare Gruppe samt verhängnisvoller Trennung etablieren soll und sich dabei unnötig im teils zerdehnten Beziehungs-Klein-Klein verliert.
Doch "La noche del terror ciego" wirft mit Virginias Ermordung die Frage auf, mit welchem Antrieb diese lesbische Parodie einer Hochzeitsnacht in überdeutlich katholisch aufgeladener Kulisse in Szene gesetzt worden ist. Der Verdacht einer moralisierenden Handlung, die Fehltritte straft, liegt nahe: Haben hier unzüchtige Lesbierinnen mit ihrer geilen Parodie auf den heiligen Bund der Ehe einen Frevel begangen, der bei ihrer Wiederbegegnung und nach Störung der Totenruhe endlich geahndet wird? Das würde "La noche del terror ciego" freilich zu einem recht reaktionären Film machen; doch zwei Details sprechen gegen diese Lesart: zum einen die negative Konnotation jener Templer, die über Virginia herfallen, zum anderen die folgenden Dialoge in der Leichenhalle.
Der Pathologe und Inspector Oliveira tauschen sich vor Roger und Bella darüber aus, dass keine inneren Verletzungen bei Virginia feststellbar und keinerlei Anzeichen für eine Vergewaltigung vorhanden sind. Eher sähe alles nach der Tat mehrerer Tiere oder Sadisten aus; nach einem Ritualmord vermutlich, wie der Pathologe sinniert. Ganz anders läuft das Gespräch zwischen dem Leichenbestatter und weiterem Personal unmittelbar neben Virginias Leichnam ab: Der Leichenbestatter, eingeführt als kleiner, etwas idiotischer Sadist, der seinen Frosch im Wasserglas und scheinbar auch Insekten ganz gerne quält – soweit das bei Insekten möglich ist –, der unverhohlene Freude beim Enthüllen der aufgebahrten Leichen vor anwesenden Angehörigen erkennen lässt und der scheinbar auch über nekrophile Neigungen verfügt, zeigt reges Interesse an den Bissspuren der Toten. Ein nochmals deutlich kleinerer Mitarbeiter beantwortet seine Frage, wer das getan haben könne, mit einem Klassiker der misogynen Phrasen: Man brauche sich ja nur anzuschauen, wie sie rumgelaufen sei; sie habe ja geradezu danach verlangt, dass sich ein Perverser auf sie stürze. Wenig später wird die auferstandene Virginia den Bestatter entleiben (was diesmal wohl tatsächlich eine moralisierende Geste des Films ist).
Nüchterner Ausschluss der Vergewaltigung hier, Fabulieren über klammheimlich ersehnte und dann auch erhaltene sexualisierte Gewalt dort: In der Gegenüberstellung dieser Positionen – von denen die misogyne einem so idiotischen wie gestörten Sadisten zugeschrieben wird, der wie sein Gesprächspartner durch geringe Körpergröße auffällt, welche aber über Handlungen an und Äußerungen über Wehrlose kompensiert wird – ergreift der Film wieder gegenüber misogynen Positionen Partei (verschmilzt aber etwas unglücklich körperliche Merkmale und sozialen Status mit ideologischen Haltungen), die hier auch fernab der abtrünnigen Templer verortet werden (über deren Riten einige Filmminuten später der Historiker bereitwillig Auskunft gibt).
Ein weiteres Mal wird dann das Motiv der Vergewaltigung gegen Ende aufgegriffen: nachdem Bella und Roger von Nina, Bellas Assistentin, die Spukgeschichten über Berzano erzählt und vom Historiker bekräftigt bekommen, brechen sie mit Pedro, dem kriminellen Sohn des Historikers, der seinerseits von der Polizei verdächtigt wird und der Sache somit aus reinem Eigeninteresse auf den Grund zu gehen gedenkt, nach Berzano auf. Dort schauen sich dann Pedro und Bella um, während Roger mit Pedros Freundin Maria zurückbleibt. Diese Auftrennung resultierte aus einer winzigen Stichelei, derweil man sich noch zu viert verschanzt hatte, um nach dem Rechten zu sehen: Pedro tut trotz eigener Bedenken die Gerüchte über den Ort als Aberglauben ab, Maria nennt ihn einen Feigling, er sieht sich herausgefordert und will ins Freie gehen, fragt Bella, ob sie mitkommen wolle, die – als Maria ihr das nicht zutraut – ebenfalls zusagt und Roger mit Maria zurücklässt. Maria umgarnt Roger einigermaßen (aber nicht völlig) erfolglos; Pedro wird da schon deutlicher von Bella zurückgewiesen, als sie ihm erklärt, dass sie nach einem schlimmen Erlebnis in der Zeit, als sie noch jung war, für keinen Mann etwas empfinden könne. (Unklar bleibt, ob die homoerotische Erfahrung mit Virginia gemeint ist, oder ob eine negative Erfahrung mit dem männlichen Geschlecht gemeint ist, die in einen Zusammenhang mit einer lesbischen Neigung gesetzt wird.) Pedro verkündet ungeniert, Bella heilen zu können und beginnt eine Vergewaltigung, in deren Rahmen er deutliche Gegenwehr mit Schlägen quittiert. Lone Flemings Schauspiel lässt dann ein wenig offen, ob Bella bloß resigniert alles über sich ergehen lässt oder ob doch auch ein Moment der Befriedigung einsetzt und – gemäß der Fantasie besonders bekloppter Männer – der maskuline Mann somit die vermeintliche Lesbe bekehrt. Im Anschluss lehnt sie jedenfalls die angebotene Zigarette danach ab, macht aber keinerlei Anstalten, Pedro an Ort und Stelle zurückzulassen. Der Soundtrack greift dafür wieder jenes Leitmotiv auf, das eingangs schon die nach-/vorgestellte Hochzeitsnacht zwischen Bella und Virginia begleitete. Erst einsetzendes Glockengeläut treibt Bella dann in die Flucht. Pedro zückt sein Messer, geht verärgert bis ängstlich von einem eher irdischen Streich aus, aber die Grabesruhe der Templer ist gestört – ob durch die Vergewaltigung oder den Glockenklang, welcher womöglich auch bloß spukhafte Begleiterscheinung ihres Auferstehens ist, sei dahingestellt – und sie ermorden erst Pedro, dann Roger, den Maria und die zurückgekehrte Bella nicht hereinlassen, als sie in einen heftigen Streit geraten, der mit Marias Eifersucht beginnt und in ihrer egoistischen Sorge ums eigene Wohlergehen endet, und schließlich Maria; nur Bella gelingt die Flucht, bis sich einer der Schaffner im Vorbeifahren ihrer erbarmt und ihr Leben – aber eben auch nur ihr Leben zum Leidwesen aller Mitfahrenden – rettet.
Auffälligerweise setzt de Ossorio alle mit Erfolg gekrönten Attacken der Templer und ihrer vampirisierten Opfer in einen – eher korrelativen, weniger kausalen – Zusammenhang mit der Sexualität: Virginia stirbt, als sie sich überfordert der Dreierkonstellation mit ihrem eher unverbindlichen Freund Roger und ihrer intimen Jugendfreundin entzieht und in der Ruine nächtigt (wobei hier ihr nächtlicher Lärm die Aufmerksamkeit der blinden Templer erregt). Der offenkundig perverse Bestatter wird von Virginia attackiert, nachdem er mit Kollegen Despektierlichkeiten und misogyne Schuldumkehrungen ausgetauscht hat. Und Pedros Vergewaltigung geht der letzten großen, langwierigen Attacke des Films voraus, die unzählige Opfer findet. Unbeschadet gehen indes Nina und Bella aus der Angelegenheit hervor.
Diese Korrelationen zwischen Sexualität und Templer-Gewalt ergeben mehrere unterschiedliche Deutungsmuster, von denen jedoch keines ohne Lücken daherkommt: Man könnte annehmen, dass die erfolgreiche Attacke der Templer als moralisierende Strafe für eine sexuelle Abweichung von der Norm erfolgt, seien es nun frauenfeindliche Statements, sadistische Neigungen, Vergewaltigungen oder aber homoerotische Akte; es sterben auch der untreue Roger und die untreue Maria. Hingegen überstehen Nina – mit keinerlei Abweichung konnotiert – und Bella – nach einer Vergewaltigung von ihrer lesbischen Neigung geheilt – die Attacken: Das wäre der Vorwurf, mit dem man "La noche del terror ciego" als reaktionäres Machwerk betrachten dürfte. Dann bliebe aber die schon weiter oben aufgeworfene Frage, weshalb gerade ein misogyner Männerbund solche Strafen vollstrecken sollte; und es bliebe die Frage, weshalb gerade die forsche Bella mit dem vergleichsweise offenen homoerotischen Verlangen solch einen glücklichen Verlauf erhält, die reine, verschämte Virginia White, die sich letztlich sogar Bella und Roger entzieht, allerdings für eine fast vergessene homoerotische Erfahrung gestraft wird... Und das, obgleich Bella als selbstständige Unternehmerin auch noch fernab der Sexualität gegen des traditionelle franquistische Frauenbild verstößt.
Man könnte aber auch umgekehrt – da die schon Anfang der 70er Jahre als problematisch erkannte Schuldumkehrung im Fall von Vergewaltigungen und Belästigungen den am wenigsten vertrauenswürdigen Figuren in den Mund gelegt wird – eine eher progressive Kritik am Machismo und dem Frauenbild des Franquismus (der ja wie die Falangisten auch über die Sección Femenina die republikanischen Frauenrechte frühzeitig empfindlich zurückgestutzt hatte) unterstellen. Immerhin machte sich auch in Spanien Anfang der 70er Jahre ein neues weibliches Selbstverständnis bemerkbar, das etwa in einem selbstbewusst-trotzigen Song wie Mari Trinis "Yo no soy esa" (1971) aufscheint. Die Männer jedenfalls, die in "La noche del terror ciego" mit Frauen in Interaktion treten, sind entweder überlegen und belehrend, untreu, explizit frauenfeindlich oder gewaltbereit in unterschiedlichen Ausmaßen, von der Vergewaltigung bis hin zum Ritualmord. Da bleibt im Grunde nur – wie in "La novia ensangrentada" (1972) – die Hinwendung der Frau zum Lesbismus, der aber aufgrund innerer Hemmnisse und äußerer Übergriffe kaum auf Entfaltung hoffen kann. Dann wäre bloß die Frage, weshalb die Bedrohung durch die Templer vor allem auch als Bedrohung der negativ konnotierten Männer auftritt; und weshalb neben reichlich viel Dummheit und Ungeschick der Frauen mit Maria auch noch eine egoistische, kriminelle Weiblichkeit ins Spiel gebracht wird.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Weder lassen sich die abtrünnigen Templer mit der Korrelation von Sexualität und tödlicher Attacke in eine konsequente, sinnhafte Beziehung zueinander bringen, noch taugen die abtrünnigen Templer für sich als eindeutige Metapher – oder die Korrelationen als eindeutige Statements.
"La noche del terror ciego" bleibt diesbezüglich ein sinnloser Film, der sich in keine Richtung definitiv lesen lässt; der aber eben doch immer wieder und keinesfalls zufällig den Anschein erweckt, er würde genau das ermöglichen und erwarten. Das erotische Zwischenspiel am Anfang, die Vergewaltigung am Ende und der kurze Austausch über angebliche weibliche Mitschuld an männlichen Übergriffen dazwischen tauchen keinesfalls zufällig in der Geschichte über Jungfrauen opfernde Männerbünde auf, in der die vermeintliche Hauptfigur einen Namen wie Virginia White trägt. Anregungen, sich mit Männer- und Frauenbildern, mit der Beziehung der Geschlechter – gerade in der franquistischen Gesellschaft – und den Rollen von weltlicher und geistlicher Autorität zu beschäftigen, präsentiert einem der Film dafür zuhauf. Und es ist sowohl möglich, dass de Ossorio gerade auch in der Kürze der Zeit kein in sich schlüssiges, eindeutiges Konzept erarbeiten konnte, als auch, dass es selbst 1972, in der Spätphase des Franquismus, nicht vorteilhaft für einen war, allzu direkte progressive Regime- oder Gesellschaftskritik – und sei es im fremdländischen Setting – zu üben, wenn man mit kommerziellen Unterhaltungsfilmen seinen Lebensunterhalt verdienen wollte.
Es steht zu vermuten, dass sich das Bild erhellt, wenn man de Ossorios gesamtes filmisches Werk inklusive eines Dramas wie "Escuela de Enfermeras" (1968) über den gewissen- und tugendhaften Wandel einer jungen Frau von der launigen Unverantwortlichen zur bedächtigen Krankenschwester oder seine Imagefilme wie "Centro nacional de promoción profesional" (1973), in dem Frauen einen großen Teil der Aufmerksamkeit erhalten, einer detaillierten Betrachtung unterzieht. Dafür aber scheint de Ossorios Werk jenseits der Horrorfilme und Western zu sehr in der Versenkung verschwunden zu sein.
Dass de Ossorio mit seinem Abschluss der Filmreihe, "La noche de las gaviotas", dann sowohl auf H. P. Lovecraft mit seinen latent misogynen Erzählungen anspielte als auch den Männerbund der Templer um einen zu entscheidenden Teilen weiblichen, Menschenopfer darbietenden Kult erweiterte, stellte dann im Grunde eine Verbindung zu seinen restlichen Horrorfilmen außerhalb der Filmreihe dar, in denen die Bedrohung vor allem weiblich schien, die Ausdeutungsmöglichkeiten aber dennoch breiter gefächert daherkamen.
Schwache 7/10 für einen kleinen Kultfilm mit Schwächen und Stärken, Ecken und Kanten...
1.) Gustav Adolf Becquer: Das Teufelskreuz. In: Ders.: Von Teufeln, Geistern und Dämonen. Georg Müller 1922; S. 69.
2.) A. a. O.; S. 73.
3.) Becquer: Der Geisterberg. A. a. O.; S. 160.
4.) In "El monte de las ánimas" heißt es etwa gleich an zwei Stellen: "[...] und nun werden die Geister mit ihren gelben Schädeln aus dem Gebüsch auftauchen, das ihre Gebeine bedeckt ... Die Geister! Bei ihrem bloßen Anblick' gefriert dem Mutigsten vor Entsetzen das Blut im Leibe und sein Haar erbleicht ..." (A. a. O.; S. 165. Das erbleichende Haar wird im Falle Bellas auch bei de Ossorio auftauchen.) "... und nun vernahm sie auch ein langsames Tappen von Schritten auf dem Teppich ... kaum vernehmbar, so dumpf war der Hall der Schritte – aber es dauerte an ... und bei jedem Schritt knackte etwas mit ... wie Holz ... oder ... oder wie Knochen ... und sie kamen näher ... immer näher ... da – das Betpult neben ihrem Bette hatte sich bewegt!! Beatrix stieß einen schrillen Schrei aus, wickelte sich bis über die Ohren in die Bettdecke ein und wagte nicht mehr zu atmen ..." (A. a. O.; S. 168)
5.) Becquer: Das Misere. A. a. O.; S. 121.
6.) Sind es im ersten Teil der Filmreihe noch die Krähen, die gemäß einer Illustration und den Worten des Historikers den Gehenkten die Augen aus dem Schädel gepickt haben, so setzt die Fortsetzung "El ataque de los muertos sin ojos" (1973) noch einen drauf: Hier ist es der wütende Mob, der die Templer vor ihrem Ende auf dem Scheiterhaufen mit Fackeln blendet.
7.) Auch dieser Teil findet sich nicht mehr in den Fortsetzungen de Ossorios: In diesen kehren die von den Templern Totgebissenen nicht mehr zurück.
8.) Becquer: Der Geisterberg. A. a. O.; S. 160.
9.) 30 Jahre nach Francos Tod lag der Anteil derjenigen, die sich als katholisch auswiesen, noch bei fast 80 %, vor drei Jahren noch bei fast 58 %. Vgl.: Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland: Spanien: Religion und Konfessionsfreie 2005 - 2022. Hierzulande gaben etwa zeitgleich keine 63 % bzw. keine 48 % der Befragten an, römisch-katholisch oder evangelisch zu sein. Auf: https://fowid.de/meldung/spanien-religion-und-konfessionsfreie-2005-2022 (29.04.2025). Der Anteil der sich als nicht religiös ausweisenden Personen lag 1980 bei etwa 8,5 %, um 1990 bei etwa 10 %, um 2000 bei etwa 13 %, um 2010 bei etwa 22 % und um 2020 bei etwa 34 %. Vgl.: Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland: Religion in Spanien 2021. Auf: https://fowid.de/meldung/religion-spanien-2021 (29.04.2025).
10.) Becquer: Das goldene Armband. A. a. O.; S. 243.
11.) Tatjana Pavlovic: Despotic Bodies and Transgressive Bodies. Spanish Culture from Francisco Franco to Jesus Franco. University of New York Press 2002; S. 2.